1. FC Köln:Chaos mit Ansage

Tausende Fans des Fußball-Bundesligisten drängen ohne Tickets ins Stadion des FC Arsenal. Die Tumulte halten sich glücklicherweise in Grenzen beim ersten Europa-League-Spiel der Rheinländer nach vielen Jahren.

Von Philipp Selldorf, London

Der Hausherr wurde allmählich ungeduldig: "Ladies and Gentlemen", rief er wie ein Wirt zur Sperrstunde in die Runde, "wir schließen jetzt, bitte gehen Sie!" Aber die Gäste blieben und sangen weiterhin ihr Lied vom Europapokal. Wie der kubanische Revolutionär Fidel Castro einst bei seinen berüchtigten abendfüllenden Ansprachen fingen sie immer wieder von vorn an, und womöglich haben das sogar die genervten englischen Stewards im Emirates-Stadion verstanden: Dass die Fans des 1. FC Köln nach 25 Jahren Verzicht ihre Rückkehr in den Europacup so lang wie möglich auskosten wollten.

Die rheinischen Fußballtouristen hielten den Abend für sehr gelungen - trotz der 1:3-Niederlage beim FC Arsenal und trotz der von den Engländern um 60 Minuten verlängerten Wartezeit auf den Anstoß um 22.05 Uhr. Was macht eine Stunde aus, wenn es ohnehin schon ein Vierteljahrhundert gedauert hat?

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Für die führenden Vertreter des Klubs war es hingegen ein Abend voller Stress und Hektik. Man sah es ihnen noch lange nach dem Spiel an, als sie sich am Bus versammelt hatten: "Gott sei Dank hat das Spiel stattgefunden", sagte der Finanz-Geschäftsführer Alexander Wehrle und bestätigte damit eher ungewollt, dass es auch anders hätte ausgehen können. Eine Spielabsage hatte aufgrund von Sicherheitsbedenken - unter anderem nach einem versuchten Blocksturm einiger Dutzend FC-Fans - ziemlich konkret zur Debatte gestanden, weshalb der 1. FC Köln nun nicht nur ein ungutes Presseecho verkraften, sondern auch mit einer Bestrafung durch die Uefa rechnen muss. Der Verband hat wegen verschiedenartiger Fan-Tumulte Ermittlungen aufgenommen.

Englische und deutsche Medien erklärten die Geschehnisse zur "Schande" für Köln und den deutschen Fußball. Den Tatsachen entspricht das allerdings nicht. Das Kommuniqué der Londoner Polizei vermerkte am späten Abend außer Momenten von "Disorder", Störungen, keine ernsten Vorfälle, es gab fünf Festnahmen.

Das war wenig in Anbetracht von Tausenden Kölner Fans, die sich sozusagen illegal am und im Stadion aufhielten, weil sie entweder keine Eintrittskarten erworben hatten - oder solche, die vom Schwarzmarkt und aus dem Internet-Handel stammten und nicht zum Kontingent der nur 2900 von Arsenal offiziell gebilligten Auswärtstickets gehörten. Manche hatten sich schlau verkleidet, damit man sie auf die Stadionplätze ließ, die den Einheimischen vorbehalten sein sollten: Sie trugen Lukas-Podolski-Trikots - aus dessen Zeit beim FC Arsenal. Andere beschafften im Fanshop Arsenal-Utensilien. Größte Provokation im Kölner Block: Fans hielten eine Europafahne hoch.

Europa League - Arsenal vs 1. FC Koln

Mit diesen Fans, die gelassen vor dem Stadion warten, dürfte die Londoner Polizei zufrieden gewesen sein.

(Foto: Reuters)

Der FC Arsenal erklärte, er finde die Schwarzmarktgeschäfte "sehr enttäuschend" - und das war erstaunlicherweise nicht scherzhaft gemeint. Dabei hatte der 1. FC Köln nicht einmal oder zweimal, sondern ein halbes Dutzend Mal die Londoner vor den Gefahren ihrer Kartenverkaufspolitik gewarnt. Denn das war ja lange vorher klar: Es würden weniger Arsenal-Fans als üblich ins Stadion gehen (absehbare englische Europa-League-Allergie) - aber es würden viel mehr Kölner kommen als die 2900 Glücklichen, die im Losverfahren ein Ticket aus dem Auswärtskontingent ergattert hatten. Für diese Partie hätte der FC 10 000 und noch mehr Karten vermitteln können. Doch er war dazu auf das Wohlwollen des FC Arsenal angewiesen, und von dort hieß es: Es gibt so viele Tickets, wie die Uefa vorschreibt, keines mehr.

Wie viele FC-Fans letztlich live dabei waren, ist statistisch nicht erfasst. Auf jeden Fall waren es weit mehr, als die Engländer in ihrer bemerkenswerten Ignoranz erwartet hatten. Das war ihnen spätestens dann klar, als eine Kolonne von mehreren Tausend FC-Fans auf ihrem organisierten Marsch zum Stadion am Ziel eintraf und dort in einen Engpass der Polizei geriet. Es gab Unruhe und Ärger, als zwei Dutzend Beamte die Eintrittskarten zu kontrollieren versuchten, was ein hoffnungsloses Unterfangen blieb.

Als dann eine Horde von etwa 50 Leuten versuchte, in den Gästeblock zu stürmen (vermutlich, um entweder Kumpane ohne gültige Karten oder Feuerwerk ins Stadion zu schleusen), riefen die Organisatoren den Notstand aus und verschoben den Anstoß um eine Stunde. Das Dilemma: Zwar war der Tumult schnell beigelegt, aber da waren ja auch noch die vielen Kölner Fans, die sich mit Eintrittskarten ausgestattet hatten - bloß nicht für den Gästeblock.

Arsenal wollte aber verhindern, dass sich einheimische und auswärtige Anhänger auf den Tribünen mischen. Der drohenden Spielabsage traten die Kölner mit dem Argument entgegen, dass dann erst recht Sicherheitsprobleme entstehen könnten. Daraufhin öffnete Arsenal die Tore auch für jene Kölner Fans, die keine Karten für den Gästebereich hatten. Sie erhielten die Order, sich unauffällig zu verhalten.

Europa League - Arsenal vs 1. FC Koln

Massenandrang: Kölner Fans ohne Ticket trafen vor dem Stadiontoren auf Londoner Stewarts.

(Foto: Social Media/Reuters)

Manchem Fan wurde der Jubel nach Cordobas 1:0 untersagt, in Einzelfällen setzten Stewards Kölner vor die Tür, ansonsten war die Atmosphäre während des Spiels fröhlich und harmlos. Viele Einheimische hatten ihren Spaß an den lauten Gästen aus Deutschland. "Highbury the Library", die Bücherstube, wurde schon Arsenals altes Stadion spöttisch genannt, weil es dort immer so still war wie jetzt auch im neuen. Das war diesmal anders.

Matthias Lehmann, 33, fand die Umstände des Abends zunächst allerdings bedrückend. Der Kölner Kapitän sah am Donnerstag dem ersten Europacup-Spiel seiner langen Karriere entgegen, und auf einmal hieß es: "Eine Stunde Zeit totschlagen - nicht so einfach, wenn da 30 Mann in der Kabine auf der Hühnerstange sitzen." Im Spiel musste sich der FC dann trotz früher Führung der spielerischen Überlegenheit des FC Arsenal beugen, zudem kam Nationalspieler Jonas Hector verletzt abhanden. Bittere Diagnose: Syndesmosebandriss. Hatte sich also all die Mühe gelohnt?

"Auf jeden Fall", schwärmte Lehmann, "der Rasen hatte Golfplatzniveau - der beste Rasen, auf dem ich je gespielt habe."

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