2. Bundesliga:Power schafft bei 1860 ein Klima der Angst

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Schnell mal Löwe, immer Löwe, hey, hey! Wer den Maschinenbauer und 1860-Geschäftsführer Anthony Power beim Jubeln beobachtet, könnte meinen, der Amerikaner sei seit seiner Kindheit Sechzig-Fan. Das wäre vermutlich ein Irrglaube.

(Foto: Rauchensteiner)
  • Das Klima unter den Angestellten von 1860 München ist angesichts von Anthony Powers Mitarbeiterführung gedrückt wie nie zuvor.
  • Der neue Geschäftsführer lässt sich offenbar auch Kleinst-Rechnungen vorlegen.
  • Wer neuer Trainer wird, ist immer noch unklar.

Von Markus Schäflein und Philipp Schneider

Über Anthony Power ist nach wie vor relativ wenig bekannt. Der neue Geschäftsführer des Fußball-Zweitligisten TSV 1860 München hat sich bislang ja noch nicht allzu ausführlich vorgestellt. Was man weiß: Seine Angaben zur Karriere, die ihn rund um den Globus führte, sind auch in beruflichen Netzwerken im Internet zu finden: mit Immobilien, Luftfahrt, Einzelhandel, erneuerbaren Energien, Telekommunikation und Nahrungsmitteln hatte er unter anderem schon zu tun.

Und nun eben mit Fußball: Der 50-jährige Amerikaner, nicht verwandt mit dem Gesangsduo Al Bano und Romina Power (und leider anders als sein geheimdienstlicher Fast-Namensvetter Austin Powers ohne S), zeigt sich bei den Spielen gerne mit Fanschals und in der Nähe der Mannschaft. Den Profis machte er Mut, indem er sie im Chor "We are Lions" brüllen ließ. Was der Vertraute von Investor Hasan Ismaik, der als Finanzfachmann vorgestellt wurde, auf der Geschäftsstelle plant, hat er allerdings bislang nicht kommuniziert.

Dabei hat Power offenbar sehr genaue Vorstellungen, wie man ein Unternehmen zu restrukturieren hat, und auch klare Aufträge Ismaiks. Von den Mitarbeitern auf der Geschäftsstelle lässt er sich dem Vernehmen nach sogar Kleinst-Rechnungen von Nahrungsmitteln vorlegen, die im Falle eines Diebstahls vor dem Jahr 1975 noch als Mundraub durchgegangen wären.

Das Klima unter den Angestellten, die schon viele schwere Zeiten mitgemacht haben, ist angesichts von Powers Mitarbeiterführung gedrückt wie nie zuvor: Dass er nicht zur Weihnachtsfeier der Mannschaft eingeladen war, sorgte für ebenso großen Ärger wie ein kleiner Abschiedsbrunch einer Empfangssekretärin, den Power als Diebstahl von Arbeitszeit empfand. Die Führungsebene kommuniziert mit den Mitarbeitern auf Englisch, untereinander aber auch auf Arabisch - so dass manche sich fragen, ob möglicherweise gerade über sie geredet wird.

Etliche Mitarbeiter denken über eine Kündigung nach, und einige, die mit dem komplizierten Spezialthema Lizenzierung befasst waren, sind ohnehin schon nicht mehr da. Die korrekte Abgabe der Unterlagen dürfte für Power zur Herkulesaufgabe werden. Dass beispielsweise zum 31. Dezember wegen der Regelung der Deutschen Fußball-Liga zum Eigenkapital mal wieder Darlehen Ismaiks in Genussscheine umgewandelt werden müssen, verblüffte den Finanzberater des Investors dem Vernehmen nach gewaltig.

Was schon allein daran liegen könnte, dass Genussscheine eine deutsche Konstruktion sind, die es andernorts gar nicht gibt. Oder auch daran, wie ein Verantwortlicher meint, der aus Respekt vor Power namentlich nicht in Erscheinung treten möchte: dass Power "keinen blassen Schimmer von Finanzen hat". Nachdem Ismaik sich im Vorjahr aus "pädagogischen Gründen" weigerte umzuwandeln (oder es nicht vermochte, weil seine Firma keinen zusätzlichen Verlust mehr in der Bilanz vertragen konnte, wie er bei einer weiteren Gelegenheit erzählte), droht den Löwen bei einem neuerlichen Verstoß nicht nur eine Geldstrafe, sondern auch der Abzug von zwei Punkten (SZ vom 11. November 2016).

Für den dritten Torwart soll Power eine sechstellige Ablöse gefordert haben

Währenddessen wissen die Fußballer immer noch nicht, wer ihr neuer Chef wird: Vitor Pereira, der beim deprimierenden 0:1 in Bochum auf der Tribüne saß, hat wohl im Gegensatz zu türkischen Presseberichten noch nicht final abgesagt - aber eben auch noch nicht unterschrieben. Der von Ismaiks Berater Kia Joorabchian vermittelte Übungsleiter wird definitive Zusagen zum Budget des Spielerkaders und sicherlich Verstärkungen in der Winterpause fordern; in der Vergangenheit hat Ismaik sich aber äußerst ungern, meist gar nicht, auf ein perspektivisches Budget festgelegt.

Präsident Peter Cassalette, der Ismaiks Wunschpersonalie Power unterstützte und dem Jordanier auch bei der Trainerwahl alle Freiheiten gab, ist angesichts der Geschichten über den neuen Führungsstil an der Grünwalder Straße einigermaßen irritiert. Zumal Power auch sportliche Entscheidungen an sich reißt: Für den dritten Torwart Vitus Eicher, der sich bei Sechzig keine Hoffnung mehr auf Einsätze macht und dessen Vertrag zum Saisonende ausläuft, soll er vom 1. FC Heidenheim eine Ablöse im mittleren sechsstelligen Bereich gefordert haben.

Entsprechenden Berichten ließ 1860 am Abend gar eine "Richtigstellung" folgen, die eher eine Bestätigung war. In ihr wurde Power zitiert (was Seltenheitswert besitzt) mit einem Satz, der nicht dazu führen dürfte, dass Eichers Marktwert steigt: "Wir können einen Spieler wie ihn nicht an die Konkurrenz verschenken. Auch Vitus hat einen gewissen Marktwert." Auch Vitus. Wahnsinn alles. Nun könnte sich Cassalette einmischen, der dem langjährigen Löwenspieler eine faire Lösung ermöglichen will: Das Präsidium ist gegenüber dem Geschäftsführer weisungsbefugt.

Doch wenn es diese Option ziehen würde, wäre Cassalette ziemlich sicher der Nächste in einer kaum noch überschaubaren Reihe von Präsidenten, die Hasan Ismaik gegen sich aufgebracht hatten. Und dann, das lehrt die Vergangenheit, bleibt nur noch der Rücktritt.

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