Sprachlabor (180):Wenn etwas anderes gemeint ist

Lesezeit: 2 min

Ein undatiertes Foto der US Air Force zeigt eine Drohne vom Typ MQ-1 Predator. (Foto: dpa)

SZ-Redakteur Hermann Unterstöger erklärt eine Wendung.

DIE DROHNEN wurden bei uns als "Kohlefaserkonstrukte" bezeichnet, was Leser H. die wahrscheinlich unwillkommene Gelegenheit gab, etwas ausführlicher auf den Unterschied zwischen Konstrukt und Konstruktion einzugehen. Obwohl beide Wörter auf das lateinische construere (errichten) zurückgehen, meint jedes von ihnen etwas anderes. Konstrukte sind, so ein Lexikon, gedankliche Hilfskonstruktionen für die Beschreibung von Phänomenen, die der direkten Beobachtung nicht zugänglich sind und aus anderen, beobachtbaren Dingen erschlossen werden müssen, zum Beispiel der Intelligenz. Unter einer Konstruktion hingegen versteht man zunächst die Bauart eines technischen Erzeugnisses, sodann auch das Erzeugnis selbst, weswegen man von einer Drohne sagen kann: Was für eine Teufelskonstruktion! Ihre friedensstiftende Wirkung dürfte nur über ein Gedankenkonstrukt zu erschließen sein.

DA HERR H. schon mal dabei war, nahm er sich auch die Wendung "Gefahr ist im Verzug" vor, die in derselben Ausgabe auf bayerische Verhältnisse gemünzt war. Nach seinem Sprachgefühl ist die Gefahr nicht im Verzug, sondern im Anzug, eine These, die zu den Wurzeln des Ausdrucks führt. Dort steht der römische Geschichtsschreiber Livius, der davon spricht, dass bei einer Schlacht mehr Gefahr darin lag, noch länger zu warten, als Sicherheit darin, in der Schlachtordnung zu verharren - eine Stelle, woraus die im Verfahrensrecht angesehene Formel periculum in mora (Gefahr bei Verzögerung) abgeleitet wird. Herr H. hat also im Prinzip recht, doch wie immer, wenn jemand im Prinzip recht hat, hat er in der Praxis nicht recht, jedenfalls nicht so recht, wie er gern hätte. Im 19. Jahrhundert setzte sich, wie im Grimm nachzulesen, die bis heute geläufige Bedeutung Gefahr im Anzug durch. Warum lieber Verzug als Anzug gesagt wird, darüber kann man gut spekulieren. Was dabei möglicherweise mitwirkt, ist der Umstand, dass schon über die Redensart "Ein Sturm ist im Anzug" allerlei in der Tat anzügliche Scherze im Umlauf sind - Scherze, die man der im Anzug steckenden Gefahr ersparen wollte.

AUCH BEIM MILITÄR ist Gefahr im Anzug, etwa bei der Verwendung militärischer Metaphern. In einem Porträt des Schauspielers Tom Schilling hieß es, dieser laufe in seiner neuen Rolle "immer wieder in die offene Flanke", ohne schwermütig zu werden. Aus dem Zusatz erhellt, was die Filmfigur wirklich macht: Sie bietet entweder Angreifern die offene Flanke oder sie rennt ins offene Messer. Beides ist schmerzvoll und würde zu jeder Art von Schwermut berechtigen. Unser Leser Sch. findet, dass der Kollege, der Schilling porträtierte, ähnlich handelte: Er bot als Stilist eine offene Flanke und lief einem Bildbruch ins offene Messer. Den Bildbruch nennt man auch Katachrese; im Militärjargon kommen beide nicht vor.

© SZ vom 22./23.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: