Sprachlabor (144):Scheu vor dem Tod

SZ-Redakteur Hermann Unterstöger beschönigt nichts und lässt auch Umgangssprache zu.

MIT KOPFSCHÜTTELNquittierte Leser W. den Umstand, dass die Leichen der bei dem schweren Busunglück in der Schweiz ums Leben Gekommenen bei uns als "sterbliche Überreste" bezeichnet wurden. Er hält diesen Ausdruck nicht nur für eine grobschlächtige Wortschöpfung, sondern auch insofern für unsinnig, als "die Sterblichkeit eine Eigenschaft der Lebenden ist, man also, wenn überhaupt, von den gestorbenen Überresten zu reden hätte, was aber natürlich stilistisch die ganze Sache nur noch verschlimmern würde". Ob Herr W. damit recht hat, dass der Terminus dem "klerikalen Milieu" entstammt, in dem man es nicht gern sieht, wenn wir Laien die Existenz der unsterblichen Seele vergessen, bleibe dahingestellt. Schlüssiger scheint die Erklärung zu sein, dass die Menschen, ob geistlich oder nicht, den Tod generell mit einer gewissen Scheu betrachten und beim Reden über ihn nach Ausdrücken suchen, die den Gegenstand etwas glimpflicher machen. Man bezeichnet solche Ausdrücke als Euphemismen, was von griechisch euphemía kommt und Sprechen guter, glückbedeutender Worte heißt; wie unwohl uns bei ihrer Verwendung ist, zeigen die deutschen Synonyme, als da sind Glimpfwort, Beschönigung, Hehlwort, Hüllwort oder Verbrämung . Wir werden die Euphemismen nicht mehr losbringen, und manchmal sind sie ja unstrittig von Nutzen. Da sie indessen, Stichwort Endlösung , auch für Schrecklichstes schon haben herhalten müssen, sollte man sie sich von Fall zu Fall gut ansehen. Anstelle der in der Tat eher peinlichen "sterblichen Überreste" haben wir das altersschöne Wort "Leichnam", in dessen Gebrauch - Herr W., bitte mal kurz weghören! - nach theologischem Verständnis das Wissen zutage tritt, dass im Todesgeschehen der Mensch als Ganzes, als geistig-(seelisch-)leibliche Einheit betroffen ist und in geheimnisvoller Weise überdauert. An Ostern kann so etwas doch ruhig mal anklingen, oder?

Trauerfeier in Leuven

Trauerfeier in Leuven: Tausende nahmen am 22. März 2012 Abschied von den Opfern des Busunglücks in der Schweiz .

(Foto: action press)

"WER BRAUCHENohne zu gebraucht, braucht brauchen gar nicht zu gebrauchen." Was wurde uns dieser eselsbrückengleich geschwungene Satz nicht eingebläut, und zwar mit Erfolg: Die meisten gebrauchen brauchen mit zu , jedenfalls in der geschriebenen Sprache. Leser G. hat in der SZ nun ein paar Stellen gefunden, an denen diese Regel missachtet wurde, unter anderem den wackeren Satz "Aber wir brauchen keinen Schiss haben", der freilich ein Zitat war. Seine ebenfalls sehr beherzte Nachfrage lässt sich in Kürze dahingehend beantworten, dass unser Blatt an brauchen . . . zu festzuhalten gedenkt, was Ausrutscher nicht ausschließt. In Germanistenkreisen ist es indessen kein Geheimnis mehr, dass der Infinitiv mit zu nach brauchen mehr als wackelig ist. Das hängt mit dem Status von brauchen zusammen, das drauf und dran ist, zu den Modalverben überzulaufen. Die Umgangssprache hat daraus längst die Konsequenz gezogen und gebraucht brauchen wie dürfen, müssen oder wollen , also "mit ohne zu ".

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