Sprachlabor (290):Rasanter Roland

Schneefall am Spitzingsee

Ruder- und Tretboote am Ufer des oberbayerischen Spitzingsees (Landkreis Miesbach).

(Foto: dpa)

Zwischen dem rasenden und dem rasanten Roland liegen Welten, das würde auch der ehemalige SZ-Chefredakteur K. bestätigen. Und die Zwischenstellung des Hilfsverbums "hatte" ist immer eine Hungeroption.

Von Hermann Unterstöger

ZWAR HALLT ES aus dem Wald so heraus, wie man hineinruft, aber deswegen muss nicht jedes Durcheinander in der Politik auch gleich mit einem Durcheinander in der Berichterstattung beantwortet werden. Die Miesbacher Affäre zeitigte bei uns diese - hier verkürzt wiedergegebene - Konstruktion: "Fest, das sich Kreidl von der Sparkasse und dem Landkreis bezahlen hatte lassen." Unserem Leser H. kam die Reihenfolge der drei Verben ähnlich dubios vor wie der Anlass des Textes, und in der Tat scheint es dessen Verfasser ergangen zu sein wie Buridans Esel, der sich zwischen zwei Heuhaufen nicht entscheiden konnte und verhungerte. In unserem Fall wären das die Varianten hatte bezahlen lassen und bezahlen lassen hatte gewesen, von denen jedoch die zweite stilistisch leicht anrüchig ist. Die Zwischenstellung des Hilfsverbums hatte war indessen die Hungeroption.

DER EINSTIGE Chefredakteur K. liebte es, gegen das Adjektiv rasant zu Felde zu ziehen, und wenn ihn diese Lust überkam, referierte er über die Kunst der Artillerie. Was darin das Wort rasant bedeutet, liest sich im Brockhaus von 1886 so: "Rasant oder bestreichend heißt die Flugbahn eines Geschosses in den Grenzen, innerhalb welcher sich dieses nicht mehr als bis zur Höhe der gewöhnlichen lebenden Ziele (Manns-, Reiterhöhe) über den Boden erhebt." Unser alter Chef hätte sicher seine Freude über Leser P. gehabt, der uns anlässlich der Schlagzeile "Soziale Ungleichheit wächst rasant" eine Zusammenstellung mehrerer Lexikoneinträge zu rasant schickte, ohne Tadel übrigens an besagter Schlagzeile. Wie auch? Der artilleristische Sinn des Wortes ist entflogen, hoffentlich über Manns- und Reiterhöhe, und die Volksetymologie hat mit der ihr eigenen Gründlichkeit dafür gesorgt, dass man unter rasant heute Eigenschaften wie schnittig, schnell, stürmisch oder begeisternd subsumiert. Nicht getroffen hat es das Adjektiv rasend: Zwischen dem rasenden Roland und einem rasanten Roland liegen nach wie vor Welten

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