Sprachlabor (147):Einen Tusch bitte!

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SZ-Redakteur Hermann Unterstöger hat Adjektivbildungen und ein Verkehrsmittel im Visier.

DASS DIE STADT LEIPZIG das Markenrecht auf den Satz "Wir sind das Volk" erhält, ist in Ordnung. Nicht in Ordnung war hingegen die bei uns vertretene Ansicht, das sei ein "Satz mit zwei Subjekten". Unser Leser Th. hat getan, was die Kollegin unterlassen hatte, nämlich die klassische Frage nach dem Subjekt gestellt: "Wer oder was ist das Volk?" Antwort: "Wir." Die weiterführende Frage "Was sind wir?" ist mit "das Volk" zu beantworten, doch ist dies, selbst wenn es im Nominativ steht, kein weiteres Subjekt, freilich auch kein Objekt. Es handelt sich - Tusch für die gute alte Grammatik! - um ein Gebilde namens Gleichsetzungsergänzung oder Prädikativ, das sich vom Subjekt auch darin unterscheidet, dass es auf Person und Zahl des Prädikats keinen Einfluss hat. Man kann also nicht sagen: "Wir ist das Volk."

Die Stadt Leipzig will den Revolutionsruf von 1989, "Wir sind das Volk", auch nach Auslaufen des Markenschutzes weiterhin vor Missbrauch vor allem durch Rechtsextremisten schützen. (Foto: dpa)

"O EWIGKEIT, DU DONNERWORT" dichtete Johann Rist einst, und damit könnte es, was die Donnerworte angeht, sein Bewenden haben. Nun aber trat unserer Leserin K. ein, wie sie pathetisch sagt, weiteres "Donnerwort" entgegen: das auf die Titanic gemünzte Adjektiv "unsinkbar". Wie Frau K. dazu ausführt, sind Adjektivbildungen aus dem Wortstamm von Verben und dem Suffix -bar nur zulässig, wenn es sich um transitive Verben handelt, die üblicherweise ein Akkusativobjekt nach sich ziehen: Ich verzehre ein Schnitzel - das Schnitzel ist verzehrbar . So gesehen sei die Titanic zwar versenkbar gewesen (der Eisberg versenkte sie), nicht aber sinkbar beziehungsweise, wenn sie oben geblieben wäre, unsinkbar . Da hat Frau K. im Kern recht, und dass sich mit den Adjektiven auf -bar "bequem ganze Sätze zusammenraffen" lassen, hat schon der Sprachwissenschaftler Rudolf Hotzenköcherle anerkennend festgestellt. Nun gibt es allerdings auch Derivate auf -bar , die von intransitiven Verben hergeleitet werden. In ihnen drückt sich, so Wolfgang Fleischer in seiner Wortbildungslehre, "die Möglichkeit aus, dass sich der bezeichnete Vorgang vollzieht": brennbarer Stoff - der Stoff kann brennen . In diese kleine Gruppe zählt Fleischer auch das Wort sinkbar , womit unser unsinkbar ebenfalls fein heraus ist.

ALS FAHRRADHÄNDLER, der er einst war, weiß unser Leser M. natürlich, dass das Radfahren kein Verkehrsmittel ist, sondern allenfalls die Nutzung des Verkehrsmittels Fahrrad. Bei uns hatte es geheißen, Radfahren sei Verkehrsmittel und Bekenntnis dazu. In einer späteren Ausgabe war das dahingehend korrigiert worden, dass das Rad Verkehrsmittel und Bekenntnis dazu sei, was auch wieder schief ist: Nicht das Rad ist das Bekenntnis, sondern das Fahren damit.

© SZ vom 05./06.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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