Sprachlabor (282):Doppelpunkt

Sprachlabor (282): Silvesterparty 2014 am Brandenburger Tor in Berlin.

Silvesterparty 2014 am Brandenburger Tor in Berlin.

(Foto: Britta Pedersen/dpa)

Da das Jahr 2014 nun seinem Ende zustrebt, sei dieses Labor, als Rausschmeißer, in Reue und Leid einem einzigen Thema gewidmet: dem Doppelpunkt.

Von Hermann Unterstöger

"REUE UND LEID erwecken", damit fing einst das Geschäft der Sündenvergebung an. Da das Jahr 2014, das für uns Zeitungsleute auch ein Jahr der Fehler und Irrungen war, nun seinem Ende zustrebt, sei dieses Labor, als Rausschmeißer, in Reue und Leid einem einzigen Thema, nämlich dem Doppelpunkt: gewidmet.

Auf einschlägigen Foren wird darüber seit geraumer Zeit geschrieben. Theodor Ickler, dem nichts entgeht, datiert die in Zeile 8 angedeutete Perversion des Doppelpunkts ins beginnende Jahr 2012. Ungeachtet dessen, dass er auch schärfer urteilen könnte, findet er dafür fast heitere Worte. Sätze mit wichtigtuerisch ins Gefüge hineingrätschenden Doppelpunkten wirken auf ihn, "als werfe jemand die Orgel an, um dann ,Hänschen klein' darauf zu spielen". Wolfgang Wrase, auch er ein wacher Sprachbeobachter, sagt's etwas deutlicher: "Der Sprachwitz des Verfassers soll dem Leser nicht entgehen, und eine normale Aussage wird zur irren Pointe aufgemotzt."

Im Labor häufen sich Belege von aberwitziger Doppelpunktbesessenheit, und leider ist zu sagen, dass die SZ in dieser Manie die Nase vorn hat. Es ginge ja noch an, wenn dahinter ein ernster Stilwille zu sehen wäre, der Wille, einen außerordentlichen Sachverhalt durch außerordentliche Zeichensetzung sichtbar zu machen. Ein Beispiel dafür: "Er personifiziert hier die Opposition im Parlament, seine Fraktion besteht aus: ihm." Was aber ist in diesem Satz außerordentlich: "Am nächsten Morgen (. . .), um sieben Uhr, es ist: wieder niemand da."

Sprachlabor (282): SZ-Zeichnung: Luis Murschetz

SZ-Zeichnung: Luis Murschetz

(Foto: Luis Murschetz (Illustration))

Bei Erörterungen wie dieser wird üblicherweise Adornos Essay "Satzzeichen" herangezogen. Dem zufolge ist die Sprache in keinem ihrer Elemente so musikähnlich wie in den Satzzeichen; dem Doppelpunkt entspricht dabei der Dominantseptakkord. Dieser Akkord verlangt zwingend nach Auflösung, doch muss das harmonische Umfeld danach sein. Grundlos verwendet man ihn nicht.

Es böte sich nun der Schlusssatz "Zum neuen Jahr alles: Gute!" an. Schenken wir ihn uns.

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