Sprachlabor (269):Doch sanktioniert

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Zwei Krähen streiten sich bei Rott (Bayern) bei trübem Wetter um einen Sitzplatz auf dem Kreuz einer Kirchturmspitze. (Foto: dpa)

Für bedenklich erweitert hält Leser Sch. das Wort "Sanktion", das sich doch vom lateinischen Wort für heilig herleite und somit nicht im Sinn einer Strafmaßnahme verwendet werden könne. Da ist was dran, aber nicht alles.

Von Hermann Unterstöger

DAS GEHT ZU WEIT, findet Leser S. und meint die "semantische Begriffserweiterung" von streitig in der Formulierung "streitige Debatten". In der Tat beschränkt sich die alltägliche Verwendung dieses Adjektivs auf jemandem etwas streitig machen und jene streitigen Fragen, die in Prozessen geklärt werden müssen. Vieles von dem, was in dem Wort sonst noch steckt oder steckte, ist außer Gebrauch, etwa die streitigen Feinde Luthers oder die streitige Arbeit, die Schmeller Kummer machte. Ältere Bayern kennen noch die Wendung, man sei, ehe es zünftig ans Raufen ging, streitig geworden, eine Nuance, die auch aus den "streitigen Debatten" herausgehört werden kann.

FÜR BEDENKLICH ERWEITERT hält Leser Sch. hingegen die Sanktion, die sich vom lateinischen Wort für heilig herleite und somit nicht im Sinn einer Strafmaßnahme verwendet werden könne. Da ist was dran, aber nicht alles. Das lateinische sancire, das der Sanktion und dem Sanktionieren zugrunde liegt, bedeutet nämlich nicht nur als heilig und unverbrüchlich festsetzen, anerkennen usw., sondern auch bei Strafe verbieten. Insofern ist die Sanktion sanktioniert, sprachlich jedenfalls.

(Foto: Luis Murschetz (Illustration))

ES GIBT SPRACHFRAGEN, die alle paar Wochen auftauchen, die aber weniger mit dem Regelwerk der Sprache zu tun haben als mit der Autonomie der Sprachgemeinschaft. Leser R. hat wieder so ein Problem vorgelegt, nämlich die Frage, ob das Verb nach der Million oder der Milliarde im Singular oder Plural zu stehen habe. Konkret ging es um die betrübliche Meldung, wonach weltweit eine Milliarde Kinder täglich geschlagen wird/werden. In Fällen wie diesem kann man sich an den trefflichen Dr. Bopp (canoo.net/blog) wenden. Ihm zufolge ist bei der Mengenangabe eine Million Menschen das Substantiv Million der Kern der Wortgruppe und müsste ein Verb im Singular nach sich ziehen. Indessen werde das Verb oft nicht formal der Maßbezeichnung (dem Wortgruppenkern) angeglichen, sondern sinngemäß dem Gemessenen (dem Attribut), und dann heiße es eben eine Million Menschen kamen, so wie es, noch sinnfälliger, ein Pfund Nudeln reichen nicht heißen könne. Herrn R.s Frage, ob das alles "eh wurscht" sei, dürfte sich hiermit erledigt haben, genauso auch sein Verdacht, die Numerus-Unsicherheit sei der Rechtschreibreform zu verdanken. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.

© SZ vom 27.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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