Sprachlabor (166):Diskretionäre Gewalt

SZ-Redakteur Hermann Unterstöger fordert Genauigkeit ein.

"LOHNSUDLEREI" habe Schopenhauer so etwas genannt, sagt Leser H., und er gedenke es ihm gleichzutun. Herr H. meint den Satz, mit dem bei uns das Straubinger Gäubodenfest angekündigt wurde: "Wo einst Hengste und Stuten prämiert wurden, ziehen heute Hendl und Dirndl die Blicke auf sich." So stand es im Vorspann, und dass es im Text anders formuliert war, macht die Sache nicht besser. Die Lohnsudlerei war bei Schopenhauer übrigens nicht zu finden, dafür diese schöne Grobheit: "Was, in aller Welt, soll aus der deutschen Sprache werden, wenn Sudler und Zeitungsschreiber diskretionäre Gewalt behalten . . ."

Trachtenumzug zum Gäubodenfest Straubing

Teilnehmer des traditionellenTrachtenumzugs zum 200. Gäubodenfest gehen am 10. August 2012 in Tracht durch die Innenstadt von Straubing (Niederbayern).

(Foto: dpa)

DIE ORNITHOLOGIE ist eine reizvolle Disziplin, und unser Leser Dr. H. hat ersichtlich ein Faible dafür. Als Freund wissenschaftlicher Präzision stieß er sich an der Behauptung, wonach Vögel, die wenig Schlaf benötigen, bei Balz und Paarung "die Nase vorn" hätten. So viel Genauigkeit fordert naturgemäß Widerspruch heraus, in diesem Fall ein Wort zugunsten der metaphorischen Nase, die auch ein Vogel vorn haben kann. Er hat, um es mit einem anderen Bild zu sagen, fortpflanzungstechnisch die besseren Karten, und wir hoffen sehr, dass Herr H. uns Nasenwesen jetzt nicht rät, endlich den Schnabel zu halten.

QUISQUILIEN sind Belanglosigkeiten, die kaum der Rede wert sind. Nichtsdestoweniger greifen viele Leser gerade da mit größter Lust zu, und dieser Lust entsprangen, als die Azteken bei uns kürzlich "Atztheken" hießen, ein paar sehr lustige Briefe. Dank an alle Freunde der . . . - nein, wir werden das Wort hier nicht wiederholen!

DAS LATEINISCHE lebt in unserer Sprache fort, mögen gleich die Zeiten vorbei sein, da man es durchwegs in originaler Deklination mitlaufen ließ: "Sein Buch ward denen Pastores vorgeleget . . ." Bei manchen Wörtern hat sich die lateinische Deklination im Deutschen erhalten: der Bonus, die Boni; das Visum, die Visa . Bei anderen ist sie verschwunden, etwa bei den erwähnten Pastoren . Wieder andere hängen sowohl hierhin als auch dorthin. Zu ihnen zählt der Kodex , dessen Plural bei uns, zum Verdruss unseres Lesers E., nach deutscher Manier gebildet wurde: Kodexe . Können wir uns darauf verständigen, dass der deutsche Plural Kodexe korrekt ist, der ans Lateinische angelehnte, nämlich Kodizes , dafür schöner?

"DIE DÜRFEN DAS!", schreibt Leser R. mit Blick auf die Dichter, die zwei Subjekte mit einem Singular-Prädikat verbinden: "Still schweigt Kummer und Harm." Wir dürfen das auch, aber nur, wenn die zwei Subjekte als Einheit aufzufassen sind: "Da geht doch Hinz und Kunz hin." Was aber weder Hinz noch Kunz noch Herr R. mag beziehungsweise mögen, ist ein Satz wie dieser, der bei uns stand: "Vernunft und Disziplin kann lebensrettend sein . . ."

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