Sprachlabor (270):Befüllen nach DIN-Norm

Institut für Deutsche Sprache

Ein Buch mit der Aufschrift "Grammatik der deutschen Sprache2 wird in Mannheim (Baden-Württemberg) in der Bibliothek des Instituts für Deutsche Sprache (IDS) aus einem Bücherregal genommen.

(Foto: dpa)

Ein Leser bemängelt die Meldung, dass der Speichersee am Sudelfeld bald "befüllt" werde. Ein Speichersee ist jedoch kein Hohlraum oder Behälter, der nach DIN-Norm befüllt wird. Hier wäre "füllen" das richtige Wort.

Von Hermann Unterstöger

ALS "SISYPHOS-KOLUMNE" bezeichnet Leser R. das Sprachlabor, hoffentlich ohne dessen Verfasser Verbrechen à la Sisyphos zuzutrauen. Wohlan also, wälzen wir den Stein wieder in die Höhe, nämlich die dem Sportteil entnommene Formulierung, dass Jérôme Boateng "zur Spiel entscheidenden Persönlichkeit gereift" sei. Herr R. liefert dazu die Gegenprobe "Er entscheidet Spiel", die wegen Ungrammatikalität zu verwerfen ist. Entgegen einer Stammtischweisheit, wonach seit der Rechtschreibreform alles beliebig sei, gibt es für Spiel entscheidend vs. spielentscheidend den famosen § 36 Abs. 1 Ziffer 1.1 der amtlichen Regeln: Komposita dieser Art werden zusammengeschrieben, wenn ihr erster Bestandteil paraphrasierbar ist. Wer jetzt "Para was?" fragt, dem sei das Wort milieubedingt mitgegeben, dessen erster Bestandteil mit durch das Milieu umschrieben werden kann. Ergo ist Milieu bedingt so falsch, wie wenn diese Glosse mit Hochachtungs voll beendet würde.

WOHIN, fragt Leser Dr. A., ist das in Generationen erlernte Wissen gekommen, dass auf füllen und füllte nicht befüllt folgt, sondern gefüllt? Anlass war die Meldung, dass der Speichersee am Sudelfeld bald "befüllt" werde, es ging demnach weniger um ein unkorrektes Partizip Perfekt Passiv als um das Verb befüllen. Es hört sich nicht nur preziös an, sondern auch irgendwie technisch, und in der Tat scheint es seine Heimat in der DIN-Norm 8593 zu haben. Darin geht es um die Fertigungstechnik des Fügens, zu der, für den Laien erstaunlich, auch das Befüllen gehört. Man versteht darunter das Einbringen von Stoffen in Hohlräume oder Behälter - und dass ein Speichersee kein Hohlraum oder Behälter im Sinn dieser Norm ist, dürfte unstrittig sein.

Sprachlabor (270): undefined

AMTLICHE SCHREIBUNGEN verursachen immer wieder Konflikte, weil sie zwar für Behörden gelten, nicht aber unbedingt für Hinz und Kunz. Ein Paradebeispiel sind die Steuern, die der Laie gern mit einem "s" in der Mitte schreibt, wohingegen sie offiziell ohne Fugen-s geschrieben werden: Körperschaftssteuer vs. Körperschaftsteuer. Ein verwandtes Phänomen macht unserem Leser Prof. Dr. F. Kummer: die Mitgliedstaaten, die bei uns und in der übrigen Presse mal als Mitglied-, mal als Mitgliedsstaaten firmieren, grob geschätzt in einem Verhältnis von 2:1. Die EU schreibt ausschließlich Mitgliedstaaten, der Duden lässt beide Varianten gelten. Pflicht oder Kür, das bleibt die Frage.

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