Nach der Prügelattacke von Solln:Entwertetes Menschenleben

Nach dem Mord von Solln fordern einige Politiker härtere Sanktionen gegenüber jugendlichen Straftätern. SZ-Leser kommentieren diese Debatte.

Zur Debatte um ein schärferes Jugendstrafrecht nach dem Mord von Solln:

Nach der Prügelattacke von Solln: Nach dem Mord von Solln, den zwei Jugendliche begangen haben, wird offen über eine Verschärfung des Jugendstrafrechts nachgedacht.

Nach dem Mord von Solln, den zwei Jugendliche begangen haben, wird offen über eine Verschärfung des Jugendstrafrechts nachgedacht.

(Foto: Foto: ddp)

"Die bayerische Justizministerin Beate Merk hat recht mit ihrer Forderung, die Strafobergrenze von zehn Jahren für Jugendliche anzuheben. Das gebetsmühlenhafte Argument, etwa der Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, junge Leute würden sich davon nicht abschrecken lassen, weil sie bei ihren Taten nicht an das Strafmaß dächten, ist zwar nicht falsch.

Es trifft aber - unter Fachleuten völlig unbestritten - genauso auf die erwachsenen Täter zu. Nach dieser Logik könnte man dann auch "Lebenslang" und überhaupt jede hohe Strafe abschaffen. Das will aber (noch?) keiner Abschreckung ist nämlich nur ein Aspekt von mehreren. Die Strafhöhe hat vor allem erzieherische Bedeutung: Sie drückt aus, welche Wertschätzung die Gesellschaft dem verletzten Rechtsgut zollt.

Für diese völlig verrohten jungen Intensivtäter hat ein Menschenleben (außer ihrem eigenen natürlich) praktisch keinen Wert mehr; sie zertreten es wie ein lästiges Insekt. Dieser "Entwertung" muss die Gesellschaft energisch gegensteuern. Eine deutliche Anhebung der Jugendhöchststrafe ist gewiss kein Allheilmittel, aber genau das richtige Signal.

Das auch reflexartig wiederholte Gegenargument, selbst die derzeitige Höchststrafe werde nur selten verhängt, ist ebenso untauglich. Es ignoriert beharrlich, dass Höchststrafen nach dem Willen des Gesetzgebers nur den allerschwersten Verbrechen und größter Schuld vorbehalten sind.

Auf der völlig emotionslosen juristischen Skala wiegt aber - so makaber dies anmutet - eine von seelisch verwahrlosten, menschlich abgestumpften Jugendlichen in hemmungsloser Rage begangene Tötung weniger schwer als etwa ein planvoller, heimtückischer, besonders grausamer oder gar mehrfacher Mord. Täter wie die von Solln kommen deshalb konseqenterweise und juristisch unangreifbar meist mit einer geringeren Strafe davon.

Lässt sich dann später vor Gericht auch nicht völlig ausschließen, dass das Opfer möglicherweise "unglücklich gestürzt" und dabei "hart aufgeschlagen" ist, dann verschmächtigt sich ein angeklagter Mord oder Totschlag zur "Körperverletzung mit Todesfolge" mit vier oder fünf Jahren. Vor allem deshalb ist es so wichtig, die Höchststrafe heraufzusetzen, weil dadurch das ganze Strafmaßgefüge mit nach oben gezogen wird, so dass solche furchtbaren Taten wenigstens einigermaßen angemessen bestraft werden können.

Frau Merk hat auch recht, wenn sie auf Abschaffung der Anwendbarkeit des sowieso schon zu milden Jugendstrafrechts auf Erwachsene zwischen 18 und 21 Jahren plädiert. Diese Wohltat für "Heranwachsende" ist überflüssig wie ein Kropf. Denn auch nach Erwachsenenstrafrecht wären Erziehungsdefizite und Entwicklungsstörungen zwingend mildernd zu berücksichtigen. Hinzu kommt, dass leider nur allzu viele Richter sich auf diese ihnen "sicherer" erscheinende Schiene flüchten, weil sie mit Verfahrens- und Begründungserleichterungen einhergeht und weniger (Rechtsmittel-)Angriffsfläche bietet. Die vom Gesetzgeber eigentlich als Ausnahme konzipierte Option ist dadurch in der Praxis zum Regelfall mutiert, und nur wenige Richter haben den Mut (wie etwa im Fall der Münchner U-Bahn-Schläger), diese Weichspülerei zu durchbrechen.

Dabei belegen nicht nur zahlreiche Studien, sondern auch die praktischen Erfahrungen vieler Richter und Staatsanwälte, dass die Nachsicht vieler Jugendrichter mit ihren milden Strafen von jungen Intensivtätern als lachhafte Naivität und Schwäche verstanden und kurzzeitige Arreste und Gefängnisaufenthalte als "Super-Urlaub" verspottet werden - wie übrigens auch im aktuellen Fall wieder geschehen."

Hartmut von Tzschoppe Langenthal

Politiker hätten längst handeln können

"Bestürzend und unfassbar! Nicht zu verstehen ist aber auch die Reaktion darauf von politischer Seite, namentlich von prominenten Vertretern der CSU: Verschärfung des Jugendstrafrechts, mit Anhebung der maximalen Haftdauer von zehn auf fünfzehn Jahre - als würden sich solche Straftäter zur Tatzeit von der Dauer einer möglichen Haftstrafe beeindrucken lassen. Und dann der mehr als ärgerliche Worteschaum des CSU-Spitzenpolitikers Horst See-hofer:

Man wolle mit aller Konsequenz, aber auch mit der notwendigen Besonnenheit vorgehen; man wolle alle Möglichkeiten prüfen, die präventiv und repressiv zur Verfügung stehen; man müsse diese Fragen abklopfen auf Machbarkeit und Wirksamkeit. Das alles klänge ja ganz gut und passend, wenn wir jetzt überraschend mit einem ganz neuartigen Phänomen konfrontiert wären.

Aber gab es da nicht vor knapp zwei Jahren bereits einen frappierend ähnlichen Vorfall in der Münchner U-Bahn? War seitdem nicht Zeit genug, die genannten Überlegungen und Prüfungen durchzuführen und erkennbare Abhilfemaßnahmen in die Wege zu leiten? Ist der Gedanke abwegig, dass gerade jetzt angesichts des bevorstehenden Wahltermins der Eindruck energischen politischen Handelns besonders erwünscht sein könnte?

Und irgendwie vertraut kommen einem solche Worte ohnehin vor, wenn man sich an zahlreiche Fälle erinnert, in denen sich Herr Seehofer zu aufziehenden und bestehenden Problemen geäußert hat, etwa in seiner Funktion als Bundeslandwirtschaftsminister zu Vogelgrippe oder Gammelfleisch. Als bayerischer Ministerpräsident forderte er jüngst "beherztes Handeln" bei der Lösung der wirtschaftlichen Probleme bayerischer Unternehmen. Für solches (mehr als verbales) Handeln wäre es nun in puncto Sicherheit höchste Zeit."

Dr. Klaus Mühlbauer München

Mehr Betreuung statt Gefängnis

"Alle Forderungen von unseren Politikern nach höheren Strafen sind symptomatische Forderungen, keine setzt sich mit den Ursachen der Brutalität der Jugendlichen auseinander. Sicherlich, es gibt nicht die eine Ursache. Es handelt sich immer um einen Ursachen-Mix, aber einen wichtigen Anteil machen mit Sicherheit die Chancen der Jugendlichen auf eine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben aus.

Es ist unbestritten, dass es Kinder und Jugendliche gibt, die in einem ungünstigen sozialen Milieu aufwachsen und von frühen Kindesbeinen an lernen sich mit den Ellenbogen, mit körperlicher und geistiger Gewalt durchzusetzen. Ihnen einen Ausweg aus der sie umgebenden Hoffnungs- und Chancenlosigkeit aufzuzeigen und ihnen beim Beschreiten dieses Weges behilflich zu sein, ist die Aufgabe des Staates.

Die Eltern, die ihren Kindern die vermeintliche Hoffnungs- und Chancenlosigkeit vermitteln, wird der Staat nicht ändern können. Den Kindern und Jugendlichen aber zu zeigen, dass sie durchaus etwas aus ihrem Leben machen können, dies ist möglich! Hier muss der Staat endlich einmal seine Hausaufgaben in Sachen Bildung machen. Lehrer müssen endlich die Zeit und den Raum erhalten, ihre Schüler differenziert zu fördern.

Nur so können sie dadurch auch den Schwächeren das erforderliche Wissen vermitteln und ihnen Erfolgserlebnisse im Schulalltag bieten. Kinder und Jugendliche, die akzeptiert werden, die sich Erfolge erarbeiten können und die für ihren weiteren Lebensweg Chancen aufgezeigt bekommen, sind für Gewalt weniger anfällig.

Vom Kultusministerium wird immer wieder versprochen, dass die Klassen kleiner werden - das muss jetzt geschehen. Für Kinder und Jugendliche müssen über die Schule hinaus sinnvolle Freizeitangebote geschaffen werden. Viele sind dankbar, wenn nach der Schule noch jemand für sie da ist, der ihnen ein warmes Mittagessen ermöglicht, mit ihnen Hausaufgaben macht und anschließend noch Zeit für Sport und Spiel hat.

Solche Angebote, die es durchaus gibt, reichen noch nicht aus. Geld dürfte ins diesem Land eigentlich genug da sein. Wenn die Automobilindustrie hüstelt, werden schließlich auch kurzfristig und für deutsche Verhältnisse unbürokratisch Milliardenbeträge aus Steuermitteln zur Verfügung gestellt."

Ulrich Morgenstern Pörnbach

Kontrolle durch elektronische Fessel

"Das eigentliche Problem ist doch, dass viel zu viele jugendliche Erwachsene mit viel zu langen Vorstrafenregistern unkontrollierte Bewegungsfreiheit genießen. Hier wären die elektronischen Fußfesseln angebracht. Das liefe auf eine Art "offene Sicherheitsverwahrung" hinaus, die den traditionellen Begriff des Strafmaßes unter neue Bedingungen hinsichtlich seines Verlaufs und seiner Dauer setzen würde.

Wenn ein Bruchteil des Aufwandes, mit dem die gesamte Bevölkerung in vielen Lebensbereichen überwacht wird, in die 24-Stunden Kontrolle gerichtsbekannter Subjekte investiert würde, dann könnten wir sicherer leben und hätten zugleich ein paar sinnvolle Arbeitsplätze für ehemalige Spezialisten der Stasi geschaffen, die für solche Operationen die erforderlichen Sachkompetenzen haben."

Klaus Becker Bergisch Gladbach

Lieber schnell als hart bestrafen

"Es wäre sinnvoll ein "Jugendgerichtshaus" einzurichten, in dem Gericht, Staatsanwaltschaft, Jugendgerichtshilfe, Bewährungshilfe, Polizei, Täter-Opfer-Ausgleich und die sozialpädagogischen Maßnahmen örtlich zusammengefasst sind. Dadurch können die Sanktionen beschleunigt und die Zusammenarbeit verbessert werden.

Wenn ein Jugendlicher beispielsweise nicht zum Termin bei der Jugendgerichtshilfe kommt, kann sofort ein Polizeibeamter losfahren und ihn holen - in manchen Kantonen der Schweiz wird das so gehandhabt. Konsequenz und Zeitnähe bei Strafen tragen nachweislich mehr zu deren Erfolg bei als die Härte der Sanktion. Auch in Österreich gibt es solche Jugendgerichtshäuser bereits.

Es wäre auch wichtig, die Organisation von Staatsanwaltschaft und Gericht zu optimieren. Für die langfristige Kriminalitätsprävention ist das Jugendgericht wichtig. Deshalb sollten die Staatsanwälte dort auch die entsprechende Wertschätzung erfahren. Jugendstaatsanwälte sollten erfahrene und für diesen Bereich besonders fortgebildete Juristen sein, die nicht alle paar Monate wechseln."

Wolfgang Goß München

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