Er schrie fast. Mein Freund, der länger in Deutschland war als ich, als er meine Entscheidung, Journalistik statt Informatik zu studieren, wenige Monate nach meiner Landung auf dem deutschen Planeten kritisierte. "Du glaubst wohl, die Welt verändern zu können! Weit gefehlt: Dein erster Artikel wird wahrscheinlich über Beate-Uhse-Läden sein." Anders gesagt: Du wirst dich wie alle anderen mit Banalitäten beschäftigen. Irgendwie waren mir seine Einwände auch klar: Informatik galt auch Anfang der 90er Jahre als die Wissenschaft der Zukunft. Und meine Entscheidung war verbunden mit einem Umzug nach Berlin und dem Verlust eines Stipendiums, das ich nur als Informatikstudent hätte weiterhin bekommen können.
Beate Uhse-Köstlin (1919 - 2001) war eine deutsche Pilotin und Unternehmerin. Nach dem Zweiten Weltkrieg brachte sie Broschüren heraus, später gründete sie ein Versandhaus und eröffnete 1962 den ersten Sexshop der Welt. Heute ist die Beate Uhse AG der deutsche Marktführer im "erotischen Zubehörhandel".
(Foto: ddp)Alles verständlich, nur: Was ist ein "Beate-Uhse-Laden", der für meinen Freund die Banalität schlechthin verkörperte? In der syrischen Hauptstadt Damaskus, wo ich herkomme, war Beate Uhse kein Begriff. Mann und Frau wussten und wissen dort nicht, dass Beate Uhse weltweit den ersten Sexshop Anfang der 60er Jahre gründete, wie es heute etwa in Wikipedia steht. Also wusste ich es auch nicht.
Nach ein paar Monaten Berlin und Studium wusste ich es. Das geschah allerdings "irgendwie". Es ist schon verwunderlich, wie der eigene Kopf mit Namen, Begriffen und gar Meinungen und Ideen gefüllt wird, ohne dies je bewusst entschieden zu haben. Paris Hilton etwa war für meine Damaszener Ohren lange Zeit so etwas wie "Kairo Hilton" oder "Berlin Hilton", ein Hotel zum Übernachten halt, aber in Paris.
Sind es die Arzt- und Friseurbesuche, wo extrem farbige Zeitschriften über "Außerirdische" wie Hilton herumliegen, oder war es das private deutsche Fernsehen, das mich aufklärte? Sicher ist: Außen herum laufen lauter Input- und Outputaktionen ab, und in uns ist die Urangst, isoliert zu sein. Nur frontale Zusammenstöße mit anderen "Verkehrsteilnehmern" stellen die eigene "Autobahn" in Frage. "Mann, gebt mir die Wiedervereinigung der Araber und dann nur noch Brot und Wasser bis zum Ende meines Lebens!" bemerkte ich laut und genervt, als unser linker Deutschlehrer im Studienkolleg in Berlin seine Sicht zur Debatte über die Kosten der damals noch frischen deutschen Wiedervereinigung erzählte. Seine Antwort hallt in meinem Kopf bis heute wider: "Und was nutzt einem eine Einheit, die nur Brot und Wasser anbietet?"
Beate Uhse, Paris Hilton oder gar der Atomstreit mit Iran: alles vermutlich eine Frage der Assoziationen, des Inputs und Outputs und was dazwischen geschieht. Ein renommierter deutscher Nahostexperte sagte einmal zu Recht, die Westmächte, darunter auch Deutschland, und Iran würden die ganze Zeit aneinander vorbeireden. Die Iraner - wie wir Araber - würden nie konkret sagen, was geht und was nicht, nicht einmal bei Themen wie der Reparatur einer Uhr, sondern es immer nur andeuten und verhandeln. Amerikaner und Europäer dagegen wollten alles kurz und bündig, und vor allem direkt haben. Ein westlicher Diplomat versteht unter dem, was sein iranischer Kollege sagt, oft nur "Teheran Hilton". Umgekehrt hört sich für den Iraner das, was der Westdiplomat sagt, an wie "Beate Uhse". Hoffnungslos ist das Ganze nicht. "Beate Uhse AG" ist inzwischen börsennotiert, also (ver)handelbar. Und ein Hotel namens Teheran Hilton gibt es wirklich, mitten in der iranischen Hauptstadt.
An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Aktham Suliman leitet das deutsche Büro des arabischen Nachrichtensenders Al Jazeera Network in Berlin.