Mein Deutschland:Wenn die Zehe juckt

Graffitti an der EZB

Ein Graffitti am Bauzaun des Neubaus der Europäischen Zentralbank (EZB) zeigt am 10.05.2013 EZB-Chef Mario Draghi mit einem Goldbarren im Mund in Frankfurt am Main.

(Foto: Boris Roessler/dpa)

Sind Nehmerländer reicher als Geberländer?

Eine Kolumne von John Lambert

Als Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble unlängst von sich gab, dass Kritik an Deutschlands Haltung zur Euro-Krise vergleichbar sei mit dem Neid der Mitschüler auf den Klassenbesten, erntete er europaweit eine Welle der Empörung. Dabei wiederholte er eigentlich lediglich ein Denkmuster, das heutzutage immer wieder zu Tage tritt, wenn es um soziale Ungleichheit geht. Der EU-Vorschlag zur Begrenzung der Banker-Boni etwa wurde teilweise lauthals als Sozialneid abgetan. Ebenso die Entrüstung über die Offshore-Leaks-Enthüllungen, wonach circa 130 000 Vermögende etwa 25 Billionen Euro in Steueroasen gelagert haben. Auch hier war das N-Wort allgegenwärtig.

Solche Argumente legen ihre Gegner lahm: Wer das Neidargument bestreitet, ist halt auch neidisch. Hier aber haben die Kanadier eine Antwort parat, nämlich mit der wohl kanadischsten aller Denkdisziplinen, dem "Critical Thinking". Paradebeispiele dafür sind etwa das Wissenschaftsjournal Informal Logic und das richtungweisende Handbuch von J. Anthony Blair und Ralph Johnson mit dem Titel "Logical Self-Defence". Indem man Kritik an Deutschlands Europa-Sparpolitik oder Unmut über Steueroasen als Neid abtut, zieht man demnach nicht wenige Trugschlüsse, allen voran "Ad Hominem" - ein Argument, in dem die These des Gegners durch einen Angriff auf die Persönlichkeit abgetan und in Misskredit gebracht wird - und "Roter Hering", ein Ablenkungsmanöver also. Genauso gut könnte man die Worte seines Gegners mit der Aussage widerlegen, ihn jucke es an der kleinen Zehe.

Diese Lektion könnten auch die deutschen Klassenbesten gut gebrauchen. Zum Beispiel als neulich eine EZB-Studie darlegte, dass das mittlere Nettovermögen deutscher Haushalte niedriger ist als das der Zyprioten. Wie gerecht kann die Euro-Rettung sein, wollte der Spiegel wissen, wenn die Menschen in den Nehmerländern reicher sind als die der Geberländer? Man könnte erwidern: alles nur Neid! Aber Logik hin, Logik her, vielleicht bieten solche Denkmuster auch einen Weg aus der Krise. Denn wenn man Wut zu Neid umwandeln kann, warum nicht auch Blei zu Gold?

Der Kanadier John Lambert ist Final Editor der englischen iPad-Ausgabe des Monopol Magazins. Er lebt in Berlin.

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