Mein Deutschland:Viel Hering zum Advent

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Vorpommersche Küstenfischer mit ihrem Heringsfang. (Foto: dpa)

Während man in Deutschland im vorweihnachtlichen Plätzchen-Glühwein-Fieber weilt, reicht man in Polen Hering und Vodka.

Eine Kolumne von Agnieszka Kowaluk

Während sich ganz Deutschland zu adventlichen Runden mit Plätzchen und Glühwein trifft, zelebrieren die meisten Polen das vorweihnachtliche Ritual des Verzichts. Bei Betriebsweihnachtsfeiern kommt man ganz bescheiden "auf einen Hering" zusammen. Der Hering kann mittlerweile durch asiatische Häppchen und der traditionelle Wodka durch kalifornischen Weißwein ersetzt werden. Hauptsache: kein Fleisch. Bis zum ersten Weihnachtstag isst man in meiner katholisch geprägten Heimat fleischlose Nahrung. Wer schon einmal Weihnachten in einem polnischen Haus gefeiert hat, wird sich freuen, von diesem Schonkurs zu hören. Doch Pustekuchen. Polen machen aus dem Fasten ungefähr ein solches Theater wie die Deutschen aus ihrer Weihnachtsbäckerei.

Martin Luther, der nicht so viel vom Fasten hielt, ärgerte sich: "Ich will jetzt davon schweigen, dass manche so fasten, dass sie sich dennoch vollsaufen; dass manche so reichlich mit Fischen und anderen Speisen fasten, dass sie mit Fleisch, Eiern und Butter dem Fasten viel näherkämen." Als wäre Luther zu Hause bei meinen Eltern gewesen! Die fleischlose Tafel an Heiligabend, der ja streng genommen noch nicht zu Weihnachten zählt, bog sich immer vor Fisch, Pasta, Gemüse, Eierspeisen, Desserts aus Dörrobst, Honig, Mohn und Sahne.

Der Moment des Innehaltens und des Verzichts, auf den die aufwendigen Vorbereitungen und dann die Völlerei kommen, stehen beide so wohltuend gegen das durchgehend Praktische und Ökonomische des Alltags, obwohl die Akzente in Deutschland und in Polen unterschiedlich verteilt sind. Für einen Polen ist es undenkbar, an Heiligabend sich mit so etwas Einfachem wie Würstchen mit Kartoffelsalat zu begnügen, dafür macht er sich nicht so viel aus dem typisch deutschen vorweihnachtlichen Plätzchen-Glühwein-Fieber. Der höfliche deutsche Satz "Mach dir keine Umstände" macht mich immer ratlos, besonders aber in der Nähe von Weihnachten, Ostern und Kindergeburtstagen. Natürlich macht man sich Umstände, wenn Gäste da sind.

Ich treffe mich jetzt mit meiner Freundin auf einen Glühwein. Als Norddeutsche hat sie sicher ein paar gute Heringrezepte.

Agnieszka Kowaluk berichtet unter anderem für die polnische Tageszeitung Gazeta Wyborcza.

© SZ vom 07./08.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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