Mein Deutschland:Russische Punkte sammeln

Guido Westerwelle reist als Schlüsselminister nach Kaliningrad.

Andrey Kobyakov

In der russischen Ostsee-Exklave Kaliningrad (Königsberg) soll am heutigen Samstag ein Treffen von Guido Westerwelle, Radoslaw Sikorski und Sergej Lawrow stattfinden. Die Außenminister Deutschlands, Polens und Russlands hätten sich eigentlich schon am 5. Mai zu Konsultationen zusammenfinden sollen, doch gab es Terminprobleme. Natürlich hat sich die außenpolitische Konstellation im deutsch-polnisch-russischen Dreieck während dieser Zeit nicht geändert. Doch das Image einer der teilnehmenden Personen sieht seither schon ein wenig anders aus: Guido Westerwelle reist ins ehemalige Königsberg zwar immer noch als Schlüsselminister, aber nicht mehr als Chef einer Regierungspartei und Vize-Kanzler.

Außenminister Westerwelle besucht Kaliningrad

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP, l-r), der Außenminister Polens, Radoslaw Sikorski, und der Außenminister der russischen Föderation, Sergej Wiktorowitsch Lawrow, legten am 21. Mai 2011 im russischen Kaliningrad (Königsberg) an der Gedenkstätte für die 1.200 Gardisten Blumen nieder. Auf dem Besuchsprogramm des ersten Trilateralen Treffens der Außenminister stand neben dem Besuch des Denkmals ein Treffen mit Studenten der Kant-Universität und eine Besichtigung des Königsberger Doms.

(Foto: dpa)

Es gibt wohl kein anderes Land, dessen Innenpolitik das Establishment in Russland so aufmerksam verfolgt wie Deutschland. Die Bundestagswahlen beispielsweise sind in Moskau immer von großem Interesse: Der Kreml soll ja künftige Korrekturen seiner Außenpolitik rechtzeitig kalkulieren können. Vor zwei Jahren bereitete man Guido Westerwelle in Moskau bei seinem ersten Besuch keinen besonders herzlichen Empfang. Denn bevor er ins Amt kam, hatte er keinen Hehl aus seinen Antipathien zur Ostsee-Pipeline gemacht und Russland im Bereich der Menschenrechte hart kritisiert. Ein weiterer Grund für den kühlen Empfang im Kreml bestand darin, dass Westerwelle in Russland als pro-amerikanischer Politiker galt.

Vor diesem Hintergrund war es eine echte Überraschung, dass die russischen Medien seinen ersten Auftritt in Moskau dann als "gut gelungen" werteten. Tatsächlich zeigte sich Westerwelle bei seinem "Gastspiel" im November 2009 diplomatisch gut beschlagen und außenpolitisch weitblickend. "Sehr freundlich, freundschaftlich gestimmt und bescheiden; lobt bilaterale Beziehungen und meidet scharfe Themen", schrieb damals eine prominente russische Zeitung. Allerdings wurde bemerkt, dass die Gesprächsparteien den Begriff "Rechtsstaat unterschiedlich verstehen und in einigen Fragen Meinungsunterschiede vorherrschen". Um gerecht zu sein, müsste man betonen, dass für Russen der deutsche Außenminister immer im Schatten der Bundeskanzlerin steht.

Weitere "russische Punkte" sammelte Westerwelle bei der Abstimmung in der UN-Sicherheitsratssitzung zu Libyen und nachdem er in Zusammenhang mit der Tötung des Top-Terroristen Osama bin Laden durch amerikanische Navy Seals seiner Regierungschefin eine Lehre in politischer Korrektheit erteilt hatte. Doch eine ganz überraschend positive Beziehung von an Deutschland interessierten Russen zu Westerwelle zeigt sich in diesen Tagen.

Während der Ex-FDP-Chef in Deutschland großer Kritik unterworfen ist, verteidigen ihn die russischen Blogger und sogar einige Experten. "Undankbare Liberale vergaßen, wer ihre Partei zum Rekord bei den Wahlen geführt hat. Grausame Deutsche fanden einen klassischen Sündenbock", so könnte man die medialen Stimmen aus Russland kurz zusammenfassen. Selbstverständlich wissen sie nicht oder vergessen dabei, dass Westerwelle schon immer ein Imageproblem in Deutschland hatte. Oder sie beachten es gar nicht, weil die meisten Russen an ungeschickte Aussagen, unverhohlenen Lobbyismus und eigenwillige Handlungen auf den höheren Machtebenen gewöhnt sind.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland und ihre Heimat. Andrey Kobyakov arbeitet in der russischen Redaktion der Deutschen Welle in Bonn.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: