Mein Deutschland:Nicht was, sondern wie

Gewiss, der Islam ist reformbedürftig, er muss von radikalen Auswüchsen befreit werden. Dafür gibt es im Islam selbst Ansätze.

Celal Özcan

Nach dem Mord an dem niederländischen Filmemacher Theo van Gogh durch einen Islamisten vor gut fünf Jahren erzählte mir ein türkischer Gastwirt in einer kleinen bayerischen Stadt, dass seine deutsche Gäste zwei Wochen lang sein Lokal gemieden hätten. "Was habe ich mit diesem Mörder zu tun?" fragte der Restaurantbetreiber.

Mein Deutschland: Jetzt redet Deutschland wieder über den Islam - die Fronten haben sich verhärtet, Islam wird oft mit Islamismus gleichgesetzt.

Jetzt redet Deutschland wieder über den Islam - die Fronten haben sich verhärtet, Islam wird oft mit Islamismus gleichgesetzt.

(Foto: Foto: Getty)

Jetzt redet Deutschland wieder über den Islam, und längst geht es nicht mehr nur um darum, was gesagt, sondern wie es gesagt wird. Die Fronten haben sich verhärtet, und das nützt vor allem den Islamisten, die das Verhältnis zwischen dem Westen und dem Islam vergiften wollen.

Henryk Broder sagt, 99,9 Prozent der Muslime seien friedliche Menschen, aber sie ließen sich von den 0,1 Prozent Islamisten als Geiseln nehmen. Seine Schlussfolgerung: Zwischen beiden gebe es letztlich keinen Unterschied. Islam gleich Islamismus. Deswegen setzt er auf Konfrontation, der Westen dürfe vor dem Islam keinesfalls kapitulieren. Aber bestünde die wahre Kapitulation nicht darin, dass man dem Islam jede Reformierbarkeit abspricht?

Wenn Necla Kelek, die sich schizophrenerweise selbst als Muslimin bezeichnet, den Islam als eine Ideologie verurteilt, deren Wesensmerkmale Terror, Ehrenmorde und die Unterdrückung der Frau seien - ja, dann bleibt nichts anders übrig, als den Islam abzuschaffen. Ein gefundenes Fressen nicht nur für die europafeindlichen Islamisten, sondern auch für alle Islamophoben in Europa.

Gewiss, der Islam ist reformbedürftig, er muss von radikalen Auswüchsen befreit werden. Dafür gibt es im Islam selbst Ansätze, denn er ist kein monolithischer Block. Wenn man ihn pauschal als frauenfeindlich verurteilt, wie es die Feministinnen in Deutschland tun - wo soll man dann Rabia einordnen, die erste Feministin, die zu Beginn des 8. Jahrhunderts in Basra lebte und eine große muslimische Frauenfiguren ist? Trotz ihrer legendären Schönheit lehnte sie selbstbewusst jedes Heiratsangebot ab.

Tragende Säule des Laizismus

Sie ging mit einem Eimer Wasser in der einen und einer Fackel in der anderen Hand durch die Straßen von Basra. Auf die Frage, was dies zu bedeuten habe, antwortete sie: "Ich will Wasser in die Hölle gießen und Feuer ans Paradies legen, dass niemand mehr aus Furcht vor der Hölle oder in der Hoffnung aufs Paradies Gott anbete." Schon im 8. Jahrhundert kämpfte die Mutazila-Schule dafür, dass der Koran nicht als unantastbares Wort Gottes verstanden werden dürfe, sondern im Kontext seiner Zeit zu betrachten und "geschaffen" sei. Und was ist mit der Religionsgemeinschaft der Aleviten, die in der Türkei als tragende Säule des Laizismus betrachtet werden?

Der Sultan hatte einen bösen Traum, so erzählt eine türkische Legende. Jemand schlug ihm ins Gesicht, und er verlor alle seine Zähne. Der Hoftraumdeuter sagte, dieser Traum bedeute den Verlust seiner ganzen Familie. Der Sultan war verärgert. Man holte einen anderen Traumdeuter, der sagte, dies sei ein schöner Traum. Er bedeute, der Sultan werde länger leben als alle seine Familienmitglieder. Es geht eben nicht nur darum, was man sagt, sondern wie man es sagt.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten regelmäßig über Deutschland. Celal Özcan arbeitet für die türkische Zeitung Hürriyet.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: