Mein Deutschland:Italienische Hybris

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Der britische Premierminister David Cameron, links, und Bundeskanzlerin Angela Merkel, Mitte, sprechen mit dem italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi, rechts, bei einem Treffen am 6. März 2014. Europas Staats- und Regierungschefs versuchen auf dem EU-Sondergipfel in Brüssel einen Weg aus der Ukraine-Krise zu finden.

(Foto: AFP)

Angela Merkel ist zu einer Obsession für die italienischen Medien geworden.

Eine Kolumne von Giovanni Maria Del Re

Der EU-Sondergipfel über die Ukraine vergangene Woche in Brüssel war für Italiens Medien ganz wichtig. Allerdings nicht so sehr wegen des brisanten Themas, der Intervention Russlands auf der Krim, sondern eher aus einem durch und durch innenpolitischen Grund. Das Gipfeltreffen war Schauplatz des ersten internationalen Auftritts des frischgekürten italienischen Premierministers Matteo Renzi. "Alle Augen auf Renzi gerichtet" übertrieb die Online-Ausgabe einer renommierten italienischen Tageszeitung maßlos. Bald wurde klar, wessen "Augen" vor allem gemeint waren: die von Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Die Meinung der deutschen Regierungschefin über die inneren Angelegenheiten Italiens - die sie, zu ihrem Glück, nur flüchtig kennt - scheint in meinem Land äußerst wichtig zu sein. So registrierten italienische Presseagenturen, Fernsehsendungen, Online-Zeitungen und Printmedien eifrig, dass Matteo Renzi bei einem Fünfertreffen vor dem Gipfel mit dem polnischen Premier Donald Tusk, Frankreichs Präsident François Hollande, dem britischen Premierminister David Cameron und Angela Merkel sogar "direkt neben der Bundeskanzlerin" saß. Ein vom Sitzungssaal live, aber ohne Ton ausgestrahlter, höflicher Smalltalk zwischen den beiden wurde im Presseraum sofort als "erste Unterredung zwischen dem Premier und der Kanzlerin" gedeutet und es wurde gerätselt, worüber gesprochen wurde. Werden die beiden in den paar Sekunden über den neuen Reformplan des energiegeladenen Renzi gesprochen haben oder eher über die Spielräume in Italiens Budget?

Später, als sich herausstellte, dass die osteuropäischen EU-Mitgliedsländer sich mit sofortigen, härteren Sanktionen gegen Russland nicht durchsetzen konnten, kamen die italienischen Journalisten zu einem eindeutigen Schluss: "Die deutsch-italienische Allianz hat Platz für die Diplomatie geschaffen." Keine Frage: Deutschland, und hier vor allem Angela Merkel, ist zu einer Obsession für die italienischen Medien geworden. Manchmal wünschte man sich, dass sich die Italiener ein bisschen mehr auf die schwierigen Aufgaben, die ihnen bevorstehen, konzentrieren würden, anstatt unablässig über Merkels Meinung und die Rolle Italiens in der EU zu sinnieren.

Giovanni Maria Del ist Europa-Korrespondent der italienischen Tageszeitung Avvenire. Er lebt in Brüssel.

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