Mein Deutschland:Sechs Tonnen Müll im Berliner Tiergarten

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Die Grillpartys, in Sichtweite von Schloss Bellevue, sind mittlerweile weltberühmt.

Celal Özcan

Die Grillpartys im Berliner Tiergarten sind mittlerweile weltberühmt, sie zählen zu den Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt. Touristen schießen Erinnerungsfotos von dem bunten Treiben, damit sie zu Hause zeigen können, wie locker es doch in dem als regel- und ordnungstreu bekannten Deutschland zugeht. Sobald sich die Sonne zeigt, packen türkische Großfamilien ihre Picknickkörbe und ziehen in den Tiergarten, um in Sichtweite von Schloss Bellevue Decken aufs Gras zu breiten und Pirzola, Köfte und Paprikaschoten auf Holzkohlen zu schmoren, eingehüllt von dichtem Rauch, der Richtung Schloss zieht.

Bei Temperaturen bis 25 Grad und strahlendem Sonnenschein verbrachten Tausende von Berlinern den Tag im Tiergarten. Geduldig wartet ein Mann im Berliner Park Tiergarten darauf , dass sein Lamm am Spies fertig wird. (Foto: ag.ap)

In der Türkei, wo Grillen ein Volkssport ist, wäre so etwas undenkbar. Niemand käme in Ankara auf die Idee, vor dem Präsidentenpalast auch nur spazieren zu gehen, geschweige denn, in der Nähe zu grillen. Die Türken in der Türkei können schwer glauben, dass in Berlin die amerikanische, britische und israelische Botschaft wie Festungen geschützt werden, aber direkt gegenüber dem Amtssitz des höchsten Repräsentanten des Landes Grillschwaden durch die Luft wabern. "Ja, laden denn die Türken den Bundespräsidenten wenigstens zum Essen ein?", feixen manche.

Ungetrübt ist die Grillfreude freilich nicht. Pro Wochenende fallen im Tiergarten sechs Tonnen Müll an. Bezirksstadträte fordern wegen der hohen Kosten für die Entsorgung ein Grillverbot. Inzwischen gibt es auch eine Grillordnung, und Kontrolleure können bei Verstößen Bußgelder bis 5000 Euro erheben - was die Grillmanie ein wenig dämpfen sollte. "Siehst du, das ist die deutsche Ordnung. Deutschland, Land der Ideen", sagen die Türken.

Wie wandelbar Kulturen sind, zeigt sich nicht zuletzt an hiesigen Grillgewohnheiten. In der Türkei darf man seit zwei Jahren nicht mehr auf dem eigenen Balkon Würstchen braten, nur noch auf ausgewiesenen Plätzen. In Deutschland dagegen ist das grundsätzlich erlaubt, sofern es Nachbarn nicht belästigt. Früher gab es in Istanbul fliegende Köfteverkäufer, die auf offener Straße Frikadellen brieten. Das wurde untersagt.

Zum Glück gibt es noch die Fischbrotverkäufer unter der Galatabrücke, die ihre Fische auf kleinen schwankenden Booten braten und feilbieten. Überall sonst am Bosporus ist Fischbraten im Freien verboten, denn der Anblick entspricht nicht dem europäischen Stadtbild.

Dafür gibt es jetzt überall in Berlin die Wurstgrillwalker mit einer um den Bauch geschnallten Propangasflasche. Wer durch Berlins Straßen flaniert und die fliegenden Verkäufer mit Thüringer Grillwürsten, Brezen und belegten Brötchen sieht, kommt ins Träumen: Berlin wird ein bisschen wie Istanbul und Istanbul ein bisschen wie Berlin. Wenn die vielen Hobbyangler am Bosporus verschwunden sein werden - vielleicht tauchen sie an der Spree wieder auf?

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten jede Woche über Deutschland. Celal Özcan arbeitet für die türkische Zeitung Hürriyet.

© SZ vom 02.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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