Mein Deutschland:Frankreich bekommt sein Fett weg

Der Bekanntheitsgrad von DSK sprengt alle Ausmaße.

Pascale Hugues

Ein Taxifahrer in Berkeley, die Karikatur eines Amerikaners: fettleibig, mit offenem Mund Kaugummi kauend, die Cola-Flasche eingeklemmt zwischen zwei Oberschenkeln so groß wie Parmaschinken. How are you today? Where are you from? Ich habe mich noch nicht auf den Hintersitz seines gelben Cabs gesetzt, als er mir schon die zwei Standardfragen stellt. France! Ein skeptischer Blick trifft mich aus dem Rückspiegel. Ich fühle mich beäugt wie ein seltenes Tier.

Tristane Banon

Tristane Banon verläßt am 5. Juli 2011 das Büro ihres Anwalts in Paris. Die Journalistin hat eine Gerichtsklage gegen Dominique Strauss-Kahn  wegen versuchter Vergewaltigung eingereicht.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

France? Your language is English in France? Nein, die Frage ist kein Scherz. Sie ist ernst und verrät, auf welchem "Ground Zero" das Niveau der Bildung in diesem Land angekommen ist, das manchmal so unglaublich weit von Europa entfernt zu sein scheint. Unsere Unterhaltung hätte hier bereits zu Ende sein können. Aber der sichtlich erregte Taxifahrer kommt in Fahrt. France! , klagt er mich an. Dominique Strauss-Kahn! Es folgen ein höhnisches Grinsen und eine energische Geste mit der Hand unter dem Hals, wie mit einem scharfen Messer. Ich bleibe stumm und sinke tiefer in meinen Sitz. Der Bekanntheitsgrad des Ex-IWF-Chefs sprengt alle Ausmaße. DSK ist zum medialen Superstar geworden. Das Aushängeschild Frankreichs in der Welt, welches selbst das unterste Amerika kennt.

Am Nachmittag mache ich einen Spaziergang mit einer Akademikerin. Sie hat in den 60er Jahren in Berkeley studiert, als die Prestige-Universität die Speerspitze des Kampfes gegen den Vietnam-Krieg darstellte. Eine Amerikanerin diametral entgegengesetzt zum Taxifahrer. Auf dem Weg zum Pazifikstrand entrüstet sie sich über jene der männlichen Sexualität unterworfenen Französinnen, die unfähig seien, Nein zu sagen oder gar gegen sexuelle Belästigung und versuchte Vergewaltigung zu klagen. Wieso hat die junge französische Journalistin Tristane Banon acht Jahre gebraucht, bis sie DSK offiziell verklagte? Warum hatte sie solche Angst, dass sie diesen Makel lieber ewig tragen wollte? Unvorstellbar in den USA! Ein Typ wie Strauss-Kahn hätte hier niemals eine solche Karriere gemacht! Hier würden die notorischen Womanizer sofort demaskiert und die Frauen respektiert! Erinnern Sie sich doch an Bill Clinton und Monica Lewinsky.

Wieder einmal bekommt Frankreich sein Fett weg. Ist DSK ein neuer Grund, die "French fries", wie Pommes frites in den USA genannt werden, umzutaufen? "Liberty fries" wurden sie von Konservativen und Ultra-Patrioten in den USA genannt, als Jacques Chirac sich weigerte George Bush ins irakische Abenteuer zu folgen. Ein Gefühl, das die Deutschen aus anderen Gründen gut kennen, überkommt mich: Verlegenheit; fast ein wenig Scham. Welches Bild gibt mein Land nun ab? Das einer politischen Klasse, die bevölkert ist von sexuell Besessenen, unfähig ihre Libido zu kontrollieren? Und wer Frauen nicht verfolgt, ist zumindest in eine Finanzaffäre verwickelt.

Glücklicherweise beweihräucherte die amerikanische Presse vergangene Woche Christine Lagarde, Frau, kompetent, charmant, die ein untadeliges Englisch spricht, was für Franzosen sehr selten ist. Ein anderes Bild von Frankreich.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland und ihre Heimat. Pascale Hugues arbeitet für das französische Nachrichtenmagazin Le Point.

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