Mein Deutschland:Ein Zwerg am Tisch

Themendienst Essen: Saucen selbst gemacht

Weisser und grüner Spargel mit Schweinesteaks und Sauce Hollandaise.

(Foto: ddp)

Deutschland ist nicht überall vorne.

Eine Kolumne von Pascale Hugues

Dass man sich ja nicht täuscht! Die Deutschen sind weit davon entfernt, in allen Feldern des gnadenlosen Wettbewerbs, den sich die Länder des Planeten liefern, der Primus zu sein. Sie sind zwar die Meister in allen Kategorien der Wirtschaft, aber sie haben auch - keiner ist perfekt - einige kleine Schwächen: Was die Qualität ihres Bildungssystems betrifft, haben sie sich von den Finnen überholen lassen (den Meistern der intelligenten Schule), und wenn es um ihre Reproduktionsstärke geht, machen sie gegenüber den Franzosen (den Meistern des Babybooms) eine traurige Figur.

Ich bin kürzlich über eine vergleichende Studie der OECD gestolpert, die sich einer Frage von großer Wichtigkeit widmet: Wie viele Minuten täglich verbringen die Völker der Welt mit Essen und Trinken? Im Fach Savoir vivre, meines Erachtens mindestens so lebensnotwendig wie die Handelsbilanz, erreichen die Deutschen nur den siebten Platz - mit täglich 106 Minuten, die sie am Tisch verbringen. Sie lassen nur Großbritannien, Norwegen, Finnland, die USA, Kanada und Mexiko hinter sich. Die großen Sieger: Die Türken (im Durchschnitt 162 Minuten täglich beim Essen, das ist fast eine Stunde mehr als die Deutschen), nur knapp dahinter - Hurra! - die Franzosen (135 Minuten) und - halten Sie die Luft an! - Neuseeland, Japan und selbstverständlich Italien. Die Studie sagt bedauerlicherweise nichts über Griechenland und Zypern.

Von all diesen mehr oder weniger verlässlichen Maßstäben, nach denen man die Völker einteilt, erscheint mir jenes von der durchschnittlichen Zeit am Tisch als besonders aussagekräftig für die Gesundheit eines Landes. Denn man isst nicht nur, um sich zu ernähren. Sondern um sich in der Familie oder unter Freunden zu unterhalten, um sich zu entspannen, kurz, das Leben zu genießen.

Ich hätte erwartet, dass dieses schlechte Abschneiden der Deutschen am Tisch wie bei Pisa eine gewaltige hysterische Welle der Empörung auslösen würde, mit kilometerlangen ängstlichen Analysen in den Zeitungen. Aber erschüttert ein Mahlzeit-Schock nun die Bundesrepublik? Mitnichten. Deutschland ist ein Zwerg am Tisch, aber niemanden scheint das zu beunruhigen.

Pascale Hugues berichtet aus Berlin für das französische Nachrichtenmagazin Le Point.

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