Mein Deutschland:Die Messer in der Tasche

Die Regierungsbank der großen Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel.

Das gesamte Kabinett unter der Leitung von Bundeskanzlerin Andrea Merkel (CDU - vorne rechts) hat am 17.12.2013 im Bundestag in Berlin vor der Vereidigung der Minister in der Regierungsbank Platz genommen.

(Foto: dpa)

Was in Deutschland die Koalition ist, nennt man in Frankreich die Kohabitation.

Eine Kolumne von Pascale Hugues

Versuchen Sie einmal, den Franzosen zu erklären, dass eine große Koalition nach Art der Deutschen eine wahre Herausforderung ist. Voll Misstrauen haben meine Landsleute in den vergangenen Wochen die schier unendlichen Verhandlungen beobachtet, die Kanzlerin Angela Merkel geführt hat, um ihre Regierungsmannschaft zusammenzustellen: kraftvolle Diskussionen, nächtelange Sitzungen, eklatante Meinungsverschiedenheiten; mehrere Male musste man befürchten, dass man aufs Abstellgleis oder gar in die Totalblockade geraten würde. . . und dann erschienen Kanzlerin und Oppositionschef letztlich doch Seit' an Seit', strahlend und befriedet, den Füllfederhalter in der Hand, um den Koalitionsvertrag zu unterzeichnen.

Unvorstellbar in Frankreich! Es ist im Übrigen sicher kein Zufall, dass man bei uns nicht von einer Koalition, sondern von einer Kohabitation spricht, wenn in Paris der président und der premier ministre nicht die gleiche ideologische Ausrichtung haben. Der Sozialist François Mitterrand musste von 1986 bis 1988 eine mehr schlechte als rechte Kohabitation mit dem Konservativen Jacques Chirac dulden, und von 1993 bis 1995 eine mit Edouard Balladur. Jacques Chirac wiederum regierte von 1997 bis 2002 mit dem Sozialisten Lionel Jospin.

"Cohabiter" hört sich für uns an wie ein improvisiertes Zusammenwohnen, eine disziplinlose WG der Macht oder ein sehr biegsames Arrangement, gleich einem Konkubinat, das die Zwänge der Ehe nicht kennt. Eine Abmachung eben mit fließenden Grenzen, die sehr schnell ins Chaos abgleiten kann. In Frankreich ist die Kohabitation die Zeit der minimalen Absprachen, der Lähmung, eine Zeit, in der man alles annulliert, was vorher gemacht wurde, und in der man bei null wieder anfängt. Als Chirac Premierminister Mitterrands wurde, beeilte er sich, die Steuern zu senken und die Staatsunternehmen zu privatisieren. Man sieht: Die Kohabitation ist ein missgünstiges Nebeneinander, in dem die Partner, das Messer in der Tasche, sich vor allem mit den nächsten Wahlen beschäftigen, die sie, so hoffen sie, endlich von diesem Joch befreien werden. Überhaupt nichts Freudiges und ganz etwas anderes - so hoffen wir - wie die deutsche große Koalition.

Pascale Hugues ist Korrespondentin des französischen Nachrichtenmagazins Le Point . Sie lebt in Berlin.

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