Mein Deutschland:Der feine Unterschied.

Aufgemalte Griffe an der britischen Hornby, echte Armaturen an der deutschen Märklin-Eisenbahn.

Kate Connolly

Wir Briten wissen, dass unser Land nicht gerade seine beste Zeit hat: hohe Arbeitslosigkeit, niedriges Wirtschaftswachstum, soziale Unruhen, riesige Schulden. Dazu ein Argentinien, das den Krieg um die Falkland-Inseln wieder aufnehmen will, und die Aussichten, dass das Vereinigte Königreich auseinanderbrechen könnte, weil Schottland die Unabhängigkeit sucht. All das erschüttert das Vertrauen der Nation in ihre Identität.

BOWLER

Der Bowler, die berühmte englische Melone (undatiertes Archivbild) erlebte bei Londons ältestem Hutmacher, Lock & Co, im Jahr 1850 seine Geburtsstunde als Sonderanfertigung für einen ostenglischen Gutsherren. Um 1900 trug halbe London Melone - heute sieht man kaum noch jemanden mit "Schirm, Charme und Melone" am Big Ben vorbeispazieren.

(Foto: DPA/DPAWEB)

Da hätte uns nicht auch noch ein Deutscher sagen müssen, dass uns die Standards, an denen wir einst festhielten, entgleiten. Martin Roth, ehemaliger Direktor der Kunstsammlung in Dresden, der jetzt dem Londoner Victoria and Albert Museum vorsteht, sagte, die britischen Kleidungsvorschriften seien im Niedergang begriffen. Schließlich scheine keiner mehr in London - außer die Sicherheitsleute in seinem Museum - eine Krawatte zu tragen. Und das in einem Land, das berühmt war für seine dreiteiligen Anzüge und seine Bowler-Hüte?!

Es ist nicht das erste Mal, dass darüber nachgedacht wird, wie sehr die Deutschen alles richtig zu machen scheinen, während wir Briten uns in unserem selbstfabrizierten Chaos abstrampeln. Experten meinen, die Unterschiede zwischen der relativ gesunden deutschen Wirtschaft und der dahinsiechenden britischen bestünden größtenteils in den verschiedenen Herangehensweisen bei der Produktionsgüterindustrie. Einen Kollegen erinnerte das an die Modelleisenbahn, mit der er als Kind spielte. Seine britische Hornby hatte auf die Fenster und Türen gemalte Griffe. Die Märklin-Eisenbahn, die sein älterer Bruder vom Militärdienst aus Deutschland mitbrachte, hatte dagegen echte Armaturen. Das heißt: Nur zehn Jahre nach dem Krieg stellte Deutschland so etwas Belangloses wie eine Modelleisenbahn viel überzeugender her als Großbritannien. Und dieser Trend scheint angehalten zu haben.

Die Briten realisieren erst jetzt, dass Deutschlands Erfolg auf der Produktionsgüterindustrie fußt, die Großbritannien zu Gunsten der Dienstleistungsindustrie vernachlässigt hat. Die Deutschen zollen der traditionellen Fertigung viel mehr Anerkennung. Erst kürzlich gab es in London eine Diskussion zwischen einer Gruppe von Bankern, Finanzexperten und Wirtschaftshistorikern. Thema: Warum ist Deutschland in einer so mächtigen Position - und es schien, als hofften sie, die Antwort würde Harry Potter liefern, indem er den Zauberstab schwenkt, und als könnte man die Antwort auch alle anderen notleidenden europäischen Staaten anwenden. Dabei wurde betont, Deutschland sei eine Wirtschaft der Berufsausbildung, in der nicht einfach jeder Friseur, Elektriker oder Klempner werden könne. In Großbritannien dagegen gibt es kein Berufsausbildungssystem, das diesen Namen verdient. Beispielsweise wurden polnische Klempner jüngst zu Tausenden nach Großbritannien verschifft, um eine der vielen Lücken zu füllen. Man betonte außerdem, wie wichtig es sei, die Arbeiter am Entscheidungsprozess in einem Unternehmen teilhaben zu lassen. Das hätte in Großbritannien sicher die schädlichen Gehaltsunterschiede zwischen Angestellten und Management verhindert.

Das erinnert mich an eine Notiz aus den 60er Jahren, die ich in meinem Büro-Archiv fand. Darin fordert der Nachrichtenchef meiner Zeitung vom Berlin-Korrespondenten Recherchen zu zwei Themen: Ein Rezept zur Herstellung von Hefeweizen - und wie es die Deutschen schaffen, ihre Züge pünktlich fahren zu lassen.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Kate Connolly berichtet für den britischen Guardian aus Berlin.

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