Mein Deutschland:Brennende Bücher

Buchmesse Leipzig - Kinderbuch

An der Decke über einem Stand hängen am 14. März 2014 auf der Leipziger Buchmesse in Leipzig (Sachsen) Bücher an Fäden.

(Foto: dpa)

Böse Erinnerungen werden wach, als russische Bürger während den Kiewer Barrikarden ukrainische Bücher verbrennen.

Eine Kolumne von Agnieszka Kowaluk

Einer Studie zufolge lesen Eltern mit Migrationshintergrund ihren Kindern am meisten vor. Und am wenigsten. Ich kann mir beides erklären. Die vorlesenden Eltern der zweisprachigen Kinder müssen sich doppelt anstrengen: Sie sind ein Bindeglied sowohl zur sogenannten Ausgangskultur als auch zur Zielkultur. Im Regal meiner Tochter nimmt "Das doppelte Lottchen" einen zentralen Platz ein, zusammen mit "Mania czy Ania", der polnischen Übersetzung des deutschen Klassikers von Erich Kästner. Die Geschichte von den getrennten und um ihr Kinderglück kämpfenden Zwillingsmädchen zählt zur Lieblingslektüre meiner Kindheit, in der die geheimnisvolle deutsche Stadt namens München eine gewisse Rolle spielt.

Neulich sah ich Bilder, auf denen russische Bürger ukrainische Bücher verbrennen - ein Bild, das neben den brennenden Kiewer Barrikaden eher nebensächlich erschien, aber böse Erinnerungen hervorrief. Vor 81 Jahren brannten die ersten Bücher in Deutschland. Die von der Deutschen Studentenschaft vorbereitete "Aktion gegen den undeutschen Geist" hatte im Mai dann in Berlin, aber auch in München und anderen Städten ihren Höhepunkt. Es brannten die Scheiterhaufen aus Büchern, die "unrein" und "schädlich" waren.

Am Berliner Opernplatz war Erich Kästner als einziger der 24 Autoren, deren Werke symbolisch aus dem kollektiven Bewusstsein getilgt werden sollten, bei der Bücherverbrennung anwesend. "Ich stand vor der Universität, eingekeilt zwischen Studenten in SA-Uniform (...), sah unsere Bücher in die zuckenden Flammen fliegen und hörte die schmalzigen Tiraden des kleinen abgefeimten Lügners. (...) In dem folgenden Jahrdutzend sah ich Bücher von mir nur die wenigen Male, die ich im Ausland war. (...) Zwölf Jahre haben genügt, Deutschland zugrunde zu richten." Als Oskar Maria Graf 1933 in Wien erfuhr, seine Werke stünden nicht auf der "schwarzen Liste", sondern seien sogar empfohlen worden, schrieb er: "Verbrennt mich! ... Diese Unehre hab ich nicht verdient!"

Danke, Erich Kästner, dass Du nicht aufgegeben hast und mir mit Seebühl am Bühlsee Appetit auf Deutschland gemacht hast!

Agnieszka Kowaluk ist freie Journalistin und Literaturübersetzerin. Sie lebt in München.

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