20. Mai 2009:Im Angesicht des Kreuzes

Kermani irrt: Im Christentum wird nicht die Leidensdarstellung angebetet, sondern Jesus Christus. SZ-Leser diskutieren zu dem umstrittenen Schriftsteller.

Zum Streit über die Vergabe des Hessischen Kulturpreises an den muslimischen Schriftsteller Navid Kermani ("Ich könnte an ein Kreuz glauben", 16./17. Mai) schreiben Leser:

20. Mai 2009: Preiswürdig oder nicht? Um den Kölner Schriftsteller und Islamforscher Navid Kermani wird heftig gestritten.

Preiswürdig oder nicht? Um den Kölner Schriftsteller und Islamforscher Navid Kermani wird heftig gestritten.

(Foto: Foto: dpa)

"Gustav Seibt überspielt elegant, aber leichtfertig jene Passagen in Kermanis Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung, die von den Kirchenmännern beanstandet wurden: Wo Kermani den Rest der katholischen Leidensdarstellungen als 'exzessiv bis hin zum Pornografischen' bezeichnet, wo er wiederholt behauptet, Christen würden 'zum Kreuz beten', wo der Satz fällt: 'Jesus leidet nicht, wie es die christliche Ideologie will, um Gott zu entlasten' und wo er am irrtümlich gepriesenen Ende seines Artikels zum Ergebnis kommt: 'Dieser Jesus ist nicht Sohn Gottes und nicht einmal sein Gesandter.'

Von einer 'Beinahe-Konversion', von einer Annäherung, auch nur einem Verstehen-Wollen der christlichen Auffassung vom Kreuz kann gar keine Rede sein. Selbst wenn Kermani sich dazu durchgerungen hätte, den Konjunktiv zu verlassen und 'an ein Kreuz' zu glauben, hätte er rein gar nichts von der Kreuzestheologie ('Gotteslästerung und Idolatrie') verstanden: Im Christentum werden keine Kreuze angebetet, sondern Jesus als Christus.

Seine Äußerungen sind nicht nur eine ärgerliche und fundamentale Fehlinterpretation der 'christlichen Ideologie'; sie gehen nach Kermanis eigener Auffassung über die 'viel zu höflich(e)' Kritik von Judentum und Islam an der Kreuzestheologie hinaus - er tut sie 'für mich', also als sein eigenes persönliches Bekenntnis, und zeigt an keiner Stelle die Bereitschaft zum Dialog mit der christlichen Theologie.

Selbst seine kleine Tochter, die sich diesem Dialog offenbar stärker geöffnet hat als ihr Vater, rügt Kermani (und das lese ich als Vater zweier Töchter mit großem Missvergnügen) in aller Öffentlichkeit als 'eitel' und unterstellt ihr als Motiv, 'auf jeder Bühne stehen zu wollen'. Woraus ich den Umkehrschluss ziehe, dass Kermani diese Eitelkeit nicht besitzt und es mit Fassung tragen wird, auf dieser Bühne - nämlich als Preisträger für den interreligiösen Dialog - einmal nicht zu stehen. Er hätte es auch nicht verdient, trotz aller netten Bildbeschreibungen."

Prof.Dr.Reinhard Zöllner Berlin

Intelligent, aber unsensibel

"Ich habe die Bildbetrachtungen zu Guido Reni und zur Marienikone von Herrn Kermani gelesen und hatte beide Male dieselbe Empfindung: intelligent und sensibel für die Darstellung, aber unsensibel für das Dargestellte. In beiden Texten wechselt Herr Kermani zwischen Betroffenheit und heftigster Ablehnung hin und her. Je nach Leseperspektive setzt man dann das Gewicht der eigenen Rezeption mehr auf eine Aussage wie 'Erstmals dachte ich: Ich - nicht nur: man -, ich könnte an ein Kreuz glauben.' oder auf Aussagen wie 'Gotteslästerung und Idolatrie' oder auch 'Aus mir unerklärlichen Gründen zelebrieren sie gerade das Abstoßendste, das zugegeben das Wahrhaftigste sein mag, aus Sadismus, wenn man es böse deuten würde, oder Wirklichkeitssinn, was es hoffentlich ist.'

Es ist der changierende Ton, der die Einordnung schwer macht. Weder taugen die Texte, um aus Navid Kermani einen Religionsverächter zu machen, noch dazu, um ihn zu einem Brückenbauer zu erklären. Um zu verstehen, warum Kardinal Lehmann, ein integrer, dialogfähiger und dialogbereiter Christ, so heftig reagiert, lade ich - nur als Gedankenexperiment - ein, sich einen ähnlichen Text aus der Feder eines christlichen Gelehrten über den islamischen Glauben vorzustellen. Den Aufschrei kann man sich leicht vorstellen. Denken Sie nur an den Aufschrei anlässlich der Regensburger Rede des Papstes."

Dr. Wolfgang Schneider Bad Birnbach

Nicht ernsthaft um Dialog bemüht

"Gustav Seibt schreibt in seinem Artikel, dass Kardinal Lehmann und Kirchenpräsident Steinacker Herrn Kermanis 'Ausbootung' betrieben hätten, was nun auf die 'Verlogenen Pfaffen' zurückfallen würde. Warum eigentlich? Herr Kermani sollte einen Preis erhalten für seine Bemühungen um religionsübergreifenden Dialog. Dass ein Muslim die Kreuzestheologie ablehnt, ist nachvollziehbar und verständlich. Aber der Ton macht die Musik.

Und zentrale Elemente einer anderen Religion als Gotteslästerung zu bezeichnen, spricht nicht gerade für die nötige Sensibilität, die im interreligiösen Dialog angebracht ist, wenn man sich denn tatsächlich ernsthaft um diesen Dialog bemüht. Ich frage mich, welche Reaktionen es wohl in der muslimischen Welt ausgelöst hätte, wenn ein christlicher Autor zentrale Glaubensinhalte des Islam als Gotteslästerung bezeichnet hätte? Morddrohungen? Terroranschläge? Boykottaufrufe? Das hatten wir doch kürzlich erst."

Dirk Krüger Essen

Einer Auszeichnung unwürdig

"Autor Seibt zitiert aus dem Beitrag des Herrn Kermani in der Neuen Zürcher Zeitung nur selektiv und führt damit den Leser in die Irre, zunächst auch mich. Beim Nachlesen im Original finden sich bei Herrn Kermani aber folgende Sätze, die in dem Artikel nicht zurückgenommen werden; '... gewiss stößt mir die Lust, die katholische Darstellungen seit der Renaissance am Leiden Jesu haben, auch deshalb so auf, weil ich sie von der Schia kenne und nicht kenne.

Ich kenne es, weil das Martyrium dort genauso bis zum Pornografischen zelebriert wird. Für mich (Kermani) formuliere ich die Ablehnung der Kreuzestheologie drastischer: Gotteslästerung und Idolatrie.' Als Muslim kann Kermani dies frei denken und schreiben und in unserer Zivilisation auch mit Andersgläubigen diskutieren, ein Kulturpreis ist damit aber nicht vereinbar."

Dr. Ulrich Wettmann Freiburg

Es fehlt der Mut, Brücken zu bauen

"Wenn die beiden Kirchenvertreter den Hessischen Kulturpreis ablehnen, weil sie ihn teilen sollen mit einem Angehörigen des Islam, der sich 'kritisch über das Kreuz' äußerte, dann haben sie den Preis, der ausdrücklich Förderern des Friedens und der Verständigung zwischen den Religionen gewidmet war, auch nicht verdient. Herr Kermani, wie jeder Mensch, hat das Recht des freien Nachdenkens über die christliche Symbolik. Sein Unbehagen könnte für Christen eine gute Gelegenheit sein, ihr eigenes Verständnis zu vertiefen. Das preiswürdige besteht ja gerade darin, Brücken der Liebe zu bauen, wo Meinungsverschiedenheiten klaffen.

Warum hat man die Preisverleihung nicht genutzt, ein konstruktives Gespräch zu beginnen, wie es zu verstehen ist, dass das 'Jammerbild am Kreuze', Jesus, die Realität der Menschen körperlich durchleidet, und ihnen dadurch Nähe beweist - anders als ein Supergott, der über allem erhaben schweigend thront - in einer Welt der endlosen Gewalt, der Ungerechtigkeit, der Verzweiflung und des unausweichlichen Sterbens? Warum Gott oder Allah die Welt nicht einfach ändert, von dieser Frage vermag auch die großartige Kunst beider Religionen nicht dauerhaft abzulenken."

Nicola Hernádi Berlin

Kulturschock des Jahres

"Selten habe ich solche durchgeistigte und zutiefst anregende Bildbetrachtungen gelesen, wie sie Navid Kermani in unregelmäßigen Abständen während seines Rom-Aufenthaltes in der Villa Massimo schreibt und dankenswerterweise der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt.

Nun soll ihm wegen einer dieser Betrachtungen der hessische Kulturpreis aberkannt werden. Für mich ist dies jetzt schon der 'Kulturschock des Jahres'. Vielleicht sind Peter Steinacker und Kardinal Karl Lehmann in ihrer unverständlichen Haltung aber auch nur verunsichert über Kermanis Nachdenken über das Kreuz. Bei Jurymitglied Roland Koch kann man ahnen was ihn treibt, er war schon immer ein Opportunist.

Als vor einigen Jahren Vertreter der Kirche in Polen ein riesiges Kreuz vor dem Eingang des ehemaligen Vernichtungslagers in Auschwitz-Birkenau errichten wollten, was dann aber zum Glück nicht genehmigt wurde, mussten sie gewusst haben, welch eine Provokation dies für Juden in aller Welt bedeuten würde. Denkt man an das päpstliche Lehrverbot für den angesehenen Theologen Hans Küng, das Redeverbot für die Sprecher der 'Theologie der Befreiung' in Südamerika, zum Beispiel Leonardo Boff, kann man nur sagen, es ist ein Kreuz was unter dem Kreuz im Namen des Kreuzes geschieht."

Michael Mohr Köln

Inspiration für Christen

"Vielen Dank an Kermani, dieser klaren und inspirierenden Stimme eines deutschen, europäischen Islam. Welche Bereicherung für unsere Kultur und Sprache! Gerade wegen Menschen wie ihm bin ich gerne stolz darauf, Deutscher zu sein.

Mehr noch: So manche Inspiration habe ich als Pfarrer auch für meinen christlichen Glauben von ihm erhalten. Dass einige Kirchenfürsten den Dialog nicht mögen, ist schade und dumm. Dass ein hessischer Kulturpreis so ein Verhalten auszeichnet, ist schrecklich, weil rückwärtsgewandt und gefährlich. Wir brauchen dringend mehr von Kermanis Weisheit in unserem Land, und dieser 'Eklat' dient hoffentlich dazu, den Dialog voran zu bringen."

Gottfried Rösch Deggendorf

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