19. März 2009:Das Erbe von Sigmund Freud

Immer mehr Menschen nehmen Psychotherapien in Anspruch, und deren Nutzen ist sogar wissenschaftlich belegt.

Von wegen Skepsis

19. März 2009: Simund Freud, gilt als Begründer der Psychoanalyse.

Simund Freud, gilt als Begründer der Psychoanalyse.

(Foto: Foto: dpa)

"Unter der Rubrik 'Aktuelles Lexikon' hat Werner Bartens am 16. März über "Psychotherapie" geschrieben. Dazu einige Anmerkungen:

1. Es wird eingangs suggeriert, Sigmund Freud sei der Begründer der Psychotherapie, er selbst aber habe sein Verfahren nicht ganz ernst genommen. Genauer gesagt, gilt Sigmund Freud als Begründer der Psychoanalyse. Die Psychoanalyse ist eines von mehreren wissenschaftlich geprüften Therapieverfahren und eine umfassende Theorie über die Struktur und Dynamik der menschlichen Psyche. Psychotherapie dagegen ist ein Oberbegriff für mehrere Verfahren, die im Sinne des Psychotherapeutengesetzes wissenschaftlich anerkannt sind.

2. Es gibt im Sinne des Psychotherapiegesetzes nicht 'unzählige' Psychotherapieformen. Wissenschaftlich anerkannt sind: Psychoanalyse, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (diese leitet sich aus der Psychoanalyse ab) und Verhaltenstherapie. In jüngster Zeit haben ebenfalls Anerkennung gefunden: Klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie und Systemische Therapie. Im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung sind die drei erstgenannten Verfahren anerkannt, nur eine Therapie nach diesen Richtlinienverfahren wird von der Krankenkasse bezahlt. In allen genannten Verfahren gibt es sowohl Einzel- als auch Gruppentherapie. Gruppentherapie ist also kein eigenes Verfahren.

3. Ob die Therapie bezahlt wird, hängt nicht allein von der Einschätzung des Therapeuten ab. Psychotherapie ist genehmigungspflichtig. Der Therapeut stellt nach einer umfangreichen Anamnese und Diagnostik, bei Vorliegen einer psychischen Störung von Krankheitswert, einen Antrag, der von einem unabhängigen Gutachter bewertet wird. Erst nach dessen Zustimmung genehmigt die Kasse die Therapie.

4. In den Probesitzungen wird nicht geklärt, ob eine 'Kostenerstattung wahrscheinlich ist'. Die probatorischen Sitzungen (bei Verhaltenstherapie sind es maximal fünf) nutzen Patient und Therapeut um abzuklären, ob ein gemeinsames therapeutisches Arbeiten möglich ist. Die Sitzungen dienen der gründlichen Anamnese und Diagnostik und der Formulierung des Antrages auf Psychotherapie. Psychotherapie ist eine Regelleistung der gesetzlichen Krankenkassen, auf die jeder gesetzlich Versicherte ein Recht hat. Man spricht hier von Sachleistung, nicht von Kostenerstattung. Bei Privatversicherten sind die Regelungen leider nicht immer so eindeutig.

5. Wieso werden allgemeine Aussagen über Psychotherapie in Verbindung gebracht zu ungeklärten und widersprüchlichen Aussagen im Zusammenhang mit dem Amoklauf in Winnenden? Es findet eine Vermischung juristischer und möglicher krankheitsbezogener Probleme statt. Öffentliche Aussagen zu möglichen Diagnosen und Behandlungen des Täters verbieten sich bei der augenblicklichen Informationslage für jeden seriös arbeitenden Psychotherapeuten.

6. Wie gut eine Psychotherapie wirkt, ist sehr genau zu objektivieren. Gerade jüngst hat Prof. Dr. Jürgen Margraf von der Universität Basel in seinem vielbeachteten Buch (Kosten und Nutzen der Psychotherapie, Springer Verlag, 2009) die Wirksamkeit psychotherapeutischer Behandlung eindrucksvoll bestätigt. Psychotherapie erzielt - dies sei am Rande erwähnt - höhere objektivierbare Effektstärken als viele gängige medizinische Behandlungen wie beispielsweise die medikamentöse Therapie der Arthritis. Es gibt in Deutschland einen Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie nach den Vorgaben des erwähnten Psychotherapeutengesetzes von 1999, der für die Wissenschaftlichkeit und Effektivität der Psychotherapie steht. Wer sich in Deutschland von einem Psychotherapeuten behandeln lässt, kann sicher sein, dass ihm fachgerecht und mit Verfahren geholfen wird, deren Wirksamkeit in umfassenden Studien vielfach belegt ist.

7. Es gibt immer mehr Menschen, die psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen. In der Regel müssen sie leider mit Wartezeiten bei Psychotherapeuten rechnen, da der Bedarf an Behandlung aufgrund der Prävalenz das Angebot bei weitem übertrifft. In der Bevölkerung setzt sich zunehmend die Überzeugung durch, dass eine Psychotherapie die am besten geeignete Behandlungsmethode für ihre psychischen und möglicherweise auch psychosomatischen Probleme ist. Die Menschen sind nicht 'skeptisch gegenüber Psychotherapie'. Richtig ist, dass Menschen mit psychischen Störungen und Psychotherapiepatienten immer noch stigmatisiert werden."

Dr. Nikolaus Melcop, Bayerische Landeskammer der Psychologischen Psychotherapeuten und der Kinder- und Jugendlichentherapeuten, München

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