24. April 2009:Von Müller bis Michelangelo

Lesezeit: 5 min

Fehlzeitgespräche, "falsche Etiketten" und Gewinnziele der Bahn: SZ-Leser diskutieren über die Themen der Woche.

"Im Zusammenhang mit Ihrer Berichterstattung über das Aushorchen kranker Mitarbeiter bei der Drogeriekette Müller möchte ich von meinen eigenen Erfahrungen bei einer Firma in Berlin berichten. Von August 2006 bis August 2008 war ich mit einem auf zwei Jahre befristeten Vertrag bei diesem Unternehmen als Call-Center-Agent beschäftigt. Da mir diese Arbeit ungewohnt war, war ich öfters krank geschrieben. In zwei Jahren kamen so etwa 30 Krankheitstage zusammen.

SZ-Leser diskutieren den Umgang von Unternehmen mit ihren Mitarbeitern. (Foto: Foto: ddp)

Nach jeder krankheitsbedingten Abwesenheit wurde ich zum Teamleiter zitiert und über die Gründe meiner Krankheit befragt, ja geradezu verhört. Das waren die sogenannten 'Fehlzeitengespräche'. Zwar gibt es bei der Firma auch einen Betriebsrat, dieser war aber aus Angst vor einer Auflösung des Standortes Berlin - womit die Firmenleitung des öfteren gedroht hatte - weder gewillt noch in der Lage, diese Praxis zu unterbinden.

Obwohl ich immer sehr gute fachliche Beurteilungen sowohl von Kunden als auch von Vorgesetzten hatte, ist mein Vertrag nach Ablauf der Zwei-Jahres-Frist nicht entfristet worden. Als Begründung gab man 'fehlende Zuverlässigkeit' als Folge der vielen Krankmeldungen an. Andere Kollegen, die häufig krank waren und bereits über einen entfristeten Vertrag verfügten, wurden nach meinem Wissen zum Unterschreiben eines Auflösungsvertrages gedrängt. Bedauerlicherweise greift das Sammeln von Krankheitsdaten um sich."

Dr. Bernard Christophe Berlin

Ein Zeichen von Interesse

"Was ist falsch, Interesse an einem Mitarbeiter nach einer überstandenen Krankheit zu zeigen, indem man ihn fragt, wie es ihm denn jetzt gehe? Eventuell ergibt sich aus dem Gespräch, dass man zum Beispiel aus krankheitsbedingter Belastung in eine andere Tätigkeit im gleichen Betrieb schonend beschäftigt werden könnte.

Etwa aus der stehenden beziehungsweise laufenden Tätigkeit wie dem Verkauf in den Bereich der Kasse, da kann man immerhin meistens sitzen. Damit wäre sowohl dem Betroffenen als auch dem Betrieb gedient. Eine schriftliche Dokumentation des Gespräches für beide Seiten halte ich für sinnvoll und vorteilhaft, und die Dokumentation könnte eventuell auch Grundlage zur weiteren Verbesserung der Situation für den Mitarbeiter dienen.

Wenn ein Firmeninhaber im Alter von 76 Jahren zum Wohle des Unternehmens und der Mitarbeiter, auch unpopuläre Maßnahmen ergreift, hat es mit Sicherheit keine profitgierigen Hintergründe, denn für sich persönlich hätte der Firmeninhaber den Rest seines Lebens ausgesorgt. Nein, er sichert seit Jahrzehnten durch dieses Engagement die Arbeitsplätze seiner Mitarbeiter und schafft neue Arbeitsplätze dazu.

Von diesen Lebenswerk, sowie dem sorgfältigen Umgang mit Menschen und Vermögen könnten sich viel Wirtschaftsbosse, Banker und Politiker ein Beispiel nehmen. Hier setzt die Gewerkschaft am falschen Hebel an, dieser Betrieb läuft, das stimmt manche Kritiker negativ."

Ursula Cebulla Launsdorf, Österreich

Gefährliches Etikett

"Als erfahrener Lehrer im Klinik- und Krankenhausunterricht, wo 'Legastheniker' ('Warnung vor dem Etikett Legasthenie', vom 20. April) und Kinder sowie Jugendliche mit solchen Teilleistungsschwächen zuhauf beschult werden, ist diese Warnung, Kinder mit schwachen Lese- und Rechtschreibleistungen als 'Legastheniker' zu bezeichnen, nachvollziehbar und beobachtbar. Denn Schüler 'zelebrieren' ihre 'Krankheit' und ihre Anstrengungsbereitschaft erlahmt. Was sollen sie sich auch anstrengen in der Schule. Sie haben es ja schwarz auf weiß mit Attest des Arztes. Sie sind krank. Dass eigenes Tun zum Gesunden dazugehört, ist schuldidaktisch noch nicht aufgearbeitet und deshalb Schülern schlecht vermittelbar."

Harald Dupont Ettringen

Von Gewinnen und Gewinnzielen

"Die Berichterstattung über das 'Gewinnziel' der Deutschen Bank ('Hohe Rendite, Hohes Risiko', vom 20. April) bringt viele aufgrund des Durcheinanders der Begriffe ins Grübeln. Josef Ackermann hat nicht von 25 Prozent Gewinn auf das eingesetzte Eigenkapital gesprochen, sondern er hat lediglich das Verhältnis 'EBIT zu eingesetztem Eigenkapital' gemeint. Inzwischen hat sich eine falsche Terminologie eingeschlichen, nämlich, EBIT mit Gewinn gleichzusetzen oder nach außen so hinzustellen. Dabei bedeutet EBIT lediglich 'Ergebnis vor Zinsen, außerordentlichem Ergebnis und Steuern'. Man tut also so, als wenn die Zinsen, außerordentliche Ergebnisfaktoren und Steuern keine Rolle spielen würden.

Herkömmlicherweise und ohne Einfluss der anglo-amerikanischen Public Relation versteht jeder unter Gewinn das, was sozusagen 'hinten rauskommt', also das, was das Unternehmen nach Abzug aller Aufwendungen wie etwa Steuern, verdient hat. Von den 25 Prozent EBIT auf das Eigenkapital bleibt bedeutend weniger übrig, wenn man diese Posten abzieht. EBIT kann positiv sein, unter dem Strich wird aber ein Verlust ausgewiesen: Man kann in den Wirtschaftsteilen lesen, dass der Gewinn des Unternehmens X - gemeint ist jedoch EBIT -, gesteigert worden sei, um dann ein paar Zeilen weiter einzugestehen, dass sich der Verlust jedoch verdoppelt habe.

Insofern würden auch die Medien zur Versachlichung beitragen, wenn sie nicht der Public Relation der Unternehmen aufsitzen würden, die oft verbal EBIT mit Gewinn zur Verschleierung und Beschönigung der Unternehmenssituation gleichsetzen"

Prof. Dr. Wolf F. Fischer-Winkelmann München

Was ist ein Unrechtsstaat?

"Ich stolpere oft über bestimmte Begriffe, die stereotyp verwendet werden ('Im Namen der Stasi' vom 14. April), zum Beispiel die 'ehemalige' DDR, wo doch DDR genügt, denn eine neue oder aktuelle gibt es ja nicht. Und was wäre da sonst noch alles ehemalig, bei dem dieser Begriff aber nicht verwendet wird. Genau so erging es mir in Ihrem Artikel mit dem Begriff 'Unrechtsstaat'.

Was ist gemeint? Dass die Existenz dieses Staates per se unrechtmäßig war? Oder dass es keine Gesetze gegeben habe? Gesetze gab es genug, allerdings griff bei bestimmten Sachverhalten die Politik ein und setzte die Rechtsprechung außer Kraft. Das war in unseren Augen unrechtmäßig. Deshalb war aber doch nicht der ganze Staat ein Unrechtsstaat? Dann wäre die BRD auch einer, denn da wird ganz schön häufig das Recht gebrochen."

Ulrich Straeter Essen

Streit um Michelangelo

"In ihrer Ausgabe vom 21. April haben Sie die Ausstellung 'Michelangelo. Zeichnungen und Zuschreibungen' besprochen ('Ein Feuer, was nicht sein durfte'), die das Städel Museum und mich als den verantwortlichen Kurator mit schweren Vorwürfen konfrontiert. Es wird, kurz gesagt, behauptet, die Ausstellung verdrehe wissenschaftliche Tatsachen, um eine Zeichnung aus der eigenen Sammlung Michelangelo zuschreiben zu können. Als Gewähr dient der Michelangelo-Forscher Alexander Perrig, der in den 1970er Jahren eine Methode der Zeichnungszuschreibung entwickelt hat, für die er seitdem in Anspruch nimmt, sie könne Zu- und Abschreibungen von Altmeisterzeichnungen mit vollkommener Sicherheit vornehmen. Perrig hat mit seiner Methode den größten Teil der als eigenhändig diskutierten Zeichnungen Michelangelos abgeschrieben.

Ihr Artikel unterschlägt, dass Perrigs Ansatz in der Forschung diskutiert und mit sehr vielen Argumenten kritisiert worden ist. Anstatt diese Diskussionslage sachlich darzustellen, entwickelt der Text ein Szenario von Perrig als einsamem Kämpfer für die Wahrheit gegen eine Mafia aus korrupten, vom Kunsthandel gesteuerten Kunsthistorikern. Das beträfe dann den weitaus größten Teil der Experten weltweit, denn es lässt sich tatsächlich international kaum ein Fachmann auf dem Gebiet der Altmeisterzeichnungen finden, der Perrigs Methode folgt und seine Ansichten uneingeschränkt teilt.

Die Ausstellung im Städel Museum versteht sich ausdrücklich als ein Diskussionsangebot und stellt die Möglichkeiten und Probleme von Zuschreibung am Beispiel der Zeichnungen Michelangelos dar. Die vorgeschlagenen Zuschreibungen folgen dem aktuellen Forschungsstand, der im Katalog ausführlich dargelegt ist, und zwar stets auch unter Berücksichtigung der Position von Alexander Perrig. Auch die Zuschreibung des Frankfurter Blattes, die ein Ergebnis der Forschungsarbeit im Vorfeld der Ausstellung ist, wird ausdrücklich zur Diskussion gestellt. Dieser Diskussion mochte Herr Perrig sich trotz Einladung allerdings nicht stellen. Ich bin ihm nur durch Zufall in der Ausstellung begegnet, als er dort der Journalistin der SZ seinen Standpunkt erläuterte. Auf meinen Vorschlag, doch gemeinsam über die Blätter zu sprechen, reagierte er in abweisendem Ton und keinesfalls so feinsinnig wie behauptet.

Und so angenehm es mich berührt, dass die Autorin mich für einen unerfahrenen jungen Mann hält: Ich bin 52 und seit 20 Jahren in der Graphischen Sammlung im Städel tätig, einer Sammlung, die, auch auf dem Gebiet der italienischen Renaissance-Zeichnungen, zu den besten in Deutschland gehört und es nicht nötig hat, sich eine Michelangelo-Zeichnung zu erschwindeln. Schlimm ist vor allem, dass der Artikel einige großartige Zeichnungen - ganz unabhängig von der Frage, wer auch immer ihr Autor ist - gezielt schlecht redet. Warum eigentlich?"

Dr. Martin Sonnabend Frankfurt

© SZ vom 24.04.2009/sus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: