30. April 2009:Im Zweifel gegen den Angeklagten

Irmgard Tauss schreibt über den Umgang mit ihrem Mann Jörg. Außerdem: SZ-Leser über das Fixie-Rad und das andere Südafrika.

Zum Fall des SPD-Abgeordneten Jörg Tauss ('Das Urteil ist längst gesprochen', 16. April), der unter Verdacht steht, Datenmaterial mit Kinderpornos weitergegeben zu haben, schreibt seine Frau:

30. April 2009: Jörg Tauss hat angekündigt, sich "gegen Rufmord zur Wehr zu setzen". Seine Frau schreibt über den Umgang mit dem Kinderporno-Verdacht.

Jörg Tauss hat angekündigt, sich "gegen Rufmord zur Wehr zu setzen". Seine Frau schreibt über den Umgang mit dem Kinderporno-Verdacht.

(Foto: Foto: ddp)

"Ich schaue mir keine Krimis mehr an. Es wird mir unbehaglich, wenn dort Kriminalbeamte unter dem Vorwand 'Gefahr in Verzug' Wohnungen durchsuchen. Jetzt weiß ich, wie hilflos ausgeliefert man sich fühlt, wenn in die eigenen Räume eingedrungen und mit Gummihandschuhen in allen persönlichen Dingen herumgesucht wird.

Die Beamten mögen ja freundlich sein und dich mitleidig anlächeln. Sie wissen nämlich, was auf dich zukommt. Den Durchsuchungsbefehl liest du erst genau, wenn sie wieder weg sind. Alles ist für dich unfassbar. Die Empörung ist unendlich, und du bist froh, dass dir viele Menschen dies spontan und ehrlich sagen.

Tage später aber ändert sich der Umgang vieler Menschen mit dir. Die Reaktionen werden auf einmal durch den Kopf gesteuert, es wird nun mehr gedacht als gefühlt. Sozialdemokraten, die vielleicht auf einen guten Platz auf der Bundestagsliste der Partei angewiesen sind, wägen ab, wie sie sich dir gegenüber verhalten sollen - man spürt förmlich ihr Unbehagen, zu große Nähe könnte dazu führen, dass auch an ihnen vom Schmutz etwas kleben bleibt; niemand weiß ja, wie die Sache ausgeht.

Zwar gibt es welche, die am Anfang eine Art Unschuldsvermutung äußern, auch Peter Struck, der Vorsitzende der Bundestagsfraktion. Aber es klingt doch sehr pflichtgemäß. Kein Rechtspolitiker (im Gegenteil!), nur die Vorsitzende des Kreisverbands Karlsruhe-Land, Ruth Römpert, äußerte sich mit Leidenschaft in dieser Tendenz: Es gehöre zum Grundpfeiler (sozialdemokratischen) Rechtsverständnisses, dass ein Mensch bis zum Beweis des Gegenteils als unschuldig zu gelten hat.

Doch der Politiker Jörg Tauss ist bereits erledigt worden, noch bevor seine Immunität aufgehoben wird. Als er die Beamten zur Durchsuchung seines Berliner Büros und seiner Berliner Wohnung begleitet, weiß er es bloß noch nicht. Spiegel online berichtet, auch unter Berufung auf Kollegen vom gedruckten Spiegel, der erst vier Tage danach erscheint, über den Tatvorwurf; keiner, auch nicht die Staatsanwaltschaft, vermag zu erklären, wie 'das' nur möglich war.

Und so bedeuten die Aufhebung der Immunität (die obligatorisch ist, sobald die Staatsanwaltschaft sie beantragt), der Beginn der Durchsuchungen und Meldungen darüber in den Medien de facto bereits eine Verurteilung. Wenn der Beschuldigte ein politisches Mandat hat, interessiert sich niemand dafür, ob er vielleicht unschuldig ist; zumal, wenn ein Wahlkampf naht und strafrechtliche Ermittlungen quasi öffentlich betrieben werden. Das Insistieren auf die Unschuldsvermutung ist nicht durchzuhalten.

Ich gewinne ganz neue Erkenntnisse über mich und andere. Ich hatte meine Schubladen, in die ich alles und jeden gesteckt hatte. Jetzt gibt es diese Schubladen nicht mehr. Die Bild-Zeitung ist erstaunlich fair, im Gegensatz zur Heimatzeitung. Der SWR spielt falsch, Radio Berlin-Brandenburg bedauert ein 'Versehen' in der Berichterstattung, ein CDU-Oberbürgermeister geht freundschaftlich und demonstrativ mit Jörg Tauss über den Marktplatz, ein SPD-Bürgermeister aber will nicht einmal mehr die Erklärung des SPD-Kreisvorstands mittragen, in der Tauss als politischer Freund bezeichnet wird.

Was ist das Ergebnis? Zumindest sehe ich, wie aus einem dauernd abwesenden, gestressten Politiker wieder ein Mann wird, der liebenswert und auf einmal auch wieder sehr nahe an meinem Alltag ist. Ein Mann, mit dem ich leben will, mit dem ich auch wieder leben kann und mit dem sogar ein Streit wieder möglich ist. So hat das Ganze, wie im Märchen, auch einen guten Schluss: Sie lebten weiter genügsam und glücklich. Und sie blieben gute Sozialdemokraten."

Irmgard Tauss, Kraichtal Gochsheim

Sicher fahren mit Fixie-Rad

Sicher fahren mit Fixie-Rad

"Es stimmt schon, dass das Fixie vom Bahnrad abstammt ('Wer bremst, verliert', 24. April) und es ist auch richtig, dass Fahrradkuriere die Bahnmaschine nutzen, nicht aber, weil sie schneller wäre, sondern weil sie in beengten Verkehrsverhältnissen wesentlich beweglicher und auch sicherer ist.

Als ehemaliger Rennfahrer habe ich Zehntausende Kilometer mit dem Bahnrad auf der Straße trainiert. Dass man in Kurven vorsichtig sein muss oder dass man nicht halten könne, ist falsch. Auch die Aussage, so ein Fixie habe keine Bremse, ist nur im Einzelfall richtig. Die Gabel ist der nächste Punkt.

Eine Bahngabel ist extrem steif und schluckt gar nichts; auf der Bahn ist das auch nicht nötig. Eine Straßengabel ist flexibel. Schon deshalb werden die heute gebauten 'Fixies' mit einer Straßengabel ausgerüstet, wie das im Artikel abgebildete, das nebenbei sogar zwei Bremsen hat.

Natürlich hat ein Bahnrad nur einen Gang, dazu einen starren, sonst kann man das Fahrrad nicht kontrollieren, gerade das ist der Vorteil des Starrgangs. Schaut man nach Frankreich oder Belgien, wird man sehen, dass praktisch alle älteren Gebrauchsräder von guter Qualität auch nur einen Gang haben.

Wer wie der Polizist in Berlin so eine Aussage macht, beweist nur seine völlige Ahnungslosigkeit. Und ob es die Polizei mag oder nicht, ob es von Parlamentariern beschlossen ist oder nicht, keiner fährt ernsthaft mehr mit Dynamo oder fest angebautem Licht. Längst haben die Batterie gespeisten Dioden Einzug erhalten. So etwas verwendet bestimmt auch der Kurierfahrer."

William Jurgenson, Lauffen am Neckar

Das andere Südafrika

Das andere Südafrika

"Soll das Südafrika sein ('Tanz der guten Hoffnung', 22. April)? Zur Illustration der Problematik wird die desolate Situation der Bewohner des Johannesburger Townships Alexandra skizziert. Es muss aber auch von der gegenwärtigen Gesamtsituation Südafrikas berichtet werden, wie sie mir als jemandem begegnet, dem das Land aus familiären Gründen nach dreißig Reisen dorthin zur zweiten Heimat geworden ist: Dort ist nicht mehr nur Alexandra, Mitchell's Plain oder Khayelitcha.

Man beobachtet zum Beispiel mitten im Land von der Straße aus, wo früher Shags standen, nicht nur vielerorts imposante Schulgebäude, zu denen adrett gekleidete Kinder über die Straße pilgern, sondern auch ganze Batterien von Wohnhäusern, kleine, schlichte Gebäude, aber sie haben Strom, Wasser, Hygiene-Einrichtungen und Kochstellen. Wie weit verbreitet derartige Siedlungen sind, weiß ich nicht, aber dieser Fortschritt sollte anerkannt werden.

Natürlich ginge ohne dunkelhäutiges Bedienungspersonal in den Supermärkten, ohne die farbigen Farmarbeiter und ohne all die durch affirmative action auch in anspruchsvollere Positionen gekommenen farbigen Angestellten wenig und es ginge vor allem nichts vorwärts. Dies täuscht aber nicht darüber hinweg, dass von der Industrie bis zur Finanzwelt, von der Landwirtschaft bis zum Weinbau, ja vom Tourismus bis zur Energieproduktion, die Kompetenzen, die Initiative, das Kapital und die Verfügungsgewalt in den Händen der etwa 4,5 Millionen - das sind 15 Prozent der Bevölkerung - Einwohner mit europäischem Kulturhintergrund liegen.

Und trotz gemeinschaftlicher Auflockerungen im Sport, an Universitäten und Schulen sowie einiger positiver Folgen der Conference of Reconciliation, herrscht auf der gesellschaftlichen Ebene nach wie vor die Regel: Schwarz gesellt sich zu Schwarz, Weiß zu Weiß, Coloured zu Coloured und Inder zu Inder.

Mandela und Mbeki waren weitsichtig, sehr klug und gut beraten, die Position der Weißen trotz ihrer Verantwortung für die furchtbaren Ereignisse in der Apartheid im Großen und Ganzen nicht anzutasten. Zuma wird gar nicht anders können, als es ihnen gleich zu tun. Und dies wird die überschaubare Zukunft Südafrikas gestalten."

Dr. Wolf Allihn, Monheim am Rhein

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