Zwischen den Meeren: Die Basilikata:Das schöne Nichts

Der Landstrich Basilikata in Süditalien ist so abgelegen, dass auf der Autobahn keine Maut mehr verlangt wird.

Von Birgit Schönau

Bei Medichetta steht ein Esel in der Kurve, angebunden an den schlanken Stamm einer Steineiche. Der Esel hält still. Er schaut aufs Meer. Das Meer liegt weit unten, viele Windungen macht die Straße noch, bis sie in Sapri ankommt, im benachbarten Kampanien.

Positano; AP

Wunderschöne Küstenstreifen: hier in der Nähe von Positano.

(Foto: Foto: AP)

Der Esel befindet sich in der Basilikata. Er ist groß, mager und steingrau. Und allein.

Es herrscht hier nicht so viel Getümmel. Auf der Küstenstraße zwischen Sapri und Maratea fährt auf 18 Kilometern nur ein einziges anderes Auto. Die Straße schlängelt sich hoch über den Klippen kurvenreich und spektakulär wie die Amalfitana, rechts das Meer, links Hügel mit Eichen, Myrten und leuchtend gelben Ginsterbüschen.

Doch während die Strecke zwischen Positano und Salerno so berühmt ist, dass sie im Sommer wegen Überfüllung öfter geschlossen werden muss, hat man hier freie Bahn.

Wer fährt denn in die Basilikata, außer ein paar Eingeweihten? An den 30 Kilometer schmalen Küstenabschnitt zwischen dem Cilento in Kampanien und den einsamen Gestaden Kalabriens?

Leicht wie ein Sommerkleid

Zufällig kommt hier keiner vorbei, denn die Gegend ist zu abgelegen. Südlich von Salerno bezahlt man auf der Autobahn in Richtung Reggio di Calabria keine Maut mehr, aber die A1 ähnelt hier auch einer schlechteren Schnellstraße, von unzähligen Baustellen unterbrochen, die seit Jahren geöffnet sind und einfach nicht geschlossen werden.

Langsam bewegt man sich voran zur Küste. Um festzustellen: Es gibt bessere Strände in Italien. Aus weißem, gelbem oder sogar rosafarbenem Sand, feinkörnig und leicht wie ein Sommerkleid. In Acquafredda aber drücken sich Kiesel in die nackten Fußsohlen, in Fiumicello sind es graue Steinchen.

Glücklich, wer ein Boot steuern kann, um die vielen kleinen Grotten in den Felsen unter Maratea zu erforschen und in dem kristallklaren, zwischen Tintenblau und Türkis changierenden Wasser zu tauchen.

Einsam natürlich und unbehelligt von fremden Blicken. Das Fischerdorf Maratea wurde im vergangenen Jahrhundert von reichen Bürgern aus Turin und Mailand entdeckt, die für ihre Sommerfrische fernab der norditalienischen Schwüle beides suchten: Berge und Meer.

Die bambini aus dem Norden

Dazu südliches Licht und südliche Küche. Sie bauten ihre Villen in die wilde Küste von Maratea. Und kamen monatelang. Wenn die Kinder zwischen Juni und Oktober Schulferien hatten, füllte sich Maratea mit den bambini aus dem Norden, ihren blassen Mammas und den Kinderfrauen. Heute ist der Aufenthalt kürzer - zwei Wochen, auch mal drei, im August.

Noch immer halten die schnellsten Züge aus dem Norden im Sommer auch in Maratea. Es ist eine Reise in eine Zeit, als es das Wort Tourismus noch nicht gab. In den engen Gassen von Maratea, dem mittelalterlichen Städtchen mit 44 Kirchen, zeigen Maler ihre Werke, abends gibt es Konzerte, und beim Patronatsfest treffen sich Einheimische und Gäste.

Man wohnt nicht wie anderswo in gesichtslosen Ferienwohnungen, sondern in luftigen Liberty-Häusern wie der Villa Cheta in Acquafredda, einst Sommerresidenz eines Feudalherren, jetzt elegantes Domizil für höchstens vier Dutzend Gäste, die die gedämpfte Atmosphäre lieben, die leichte, farbenfrohe, sommerlich aromatische Küche, und den weiten Blick über die Küste.

Lukanien heißt dieses Land zwischen den beiden Meeren, dem Golf von Policastro im Tyrrhenischen Meer und dem Golf von Tarent im Ionischen Meer. Mittendrin der größte Nationalpark Italiens, der Parco del Pollino, dessen Ausläufer sich bis nach Kalabrien hin ziehen.

Enklaven der Gastfreundschaft

Von Maratea geht es den Fluss Sinni entlang, dessen fast ausgetrocknetes Bett die Hochebene zwischen Lauria und Francavilla durchzieht, bis der Sinni bei Senise zu einem künstlichen See gestaut wird. Archaisch wirkt diese Landschaft, von der Sonne durchglüht, vom Südwind durchtrocknet. Wenige Straßen erschließen den Parco Nazionale del Pollino, oft wird der Asphalt zu Schotter, der als Sackgasse in kleinen Weilern endet.

Und doch finden sich in dieser Einsamkeit Enklaven, die auf eine lange Tradition der Gastfreundschaft hindeuten. Es sind San Constantino Albanese und San Paolo Albanese, die Dörfer der Albaner. Zwischen 1470 und 1540 gegründet von Albanern, die die Flucht vor den Türken über das Meer bis in die Hügel Lukaniens getrieben hatte.

Heute kommen Sprachforscher bis hierhin, um sie zu besuchen, denn ihre Kultur, ihre antike Sprache sind im modernen Albanien längst untergegangen. Um die Mittagszeit ist San Constantino Albanese wie ausgestorben.

Auf dem Dorfplatz dösen ein paar streunende Hunde, die beiden Kaffeebars sind geschlossen. Ein süditalienisches Dorf mit albanischen Straßennamen, eine Kirche, ein Bäcker, ein Krämer. Der hat auch Schuhe in der Vitrine, acht Euro das Paar. Es ist eben eine Reise durch eine andere Zeit.

Das schöne Nichts

"Kommst du aus Polen?", fragt eine alte Frau im nächsten Ort Terranova del Pollino. Aus Polen, aus der Ukraine bis in das Gebirgsland der Basilikata. Und sie suchen kein Exil, wie die Albaner, sie flechten keinen Stoff aus Ginsterzweigen. Frauen aus Osteuropa umsorgen in diesen abgelegenen Dörfern die Alten. "Denn unsere Jungen ziehen weg." Nach Bari, Neapel oder Rom, wo sie Arbeit finden können.

"Hierhin kommt ja doch kaum ein Mensch", klagt der junge Barmann des kleinen Cafés an der Hauptstraße und reicht ein riesiges Käsebrot über den Tresen. "Ein paar Italiener im Hochsommer, die wandern wollen". "Die wahren Herren hier sind die Wildschweine", grinst Domenico Bruno.

Von der Panoramaterrasse in Terranova del Pollino kann man kein Schwarzwild sehen, das den Bauern die Hartweizenfelder durchwühlt. Bruno erklärt den Kranz der Berge, die Terranova umschließen. Fünf reichen über 2000 Meter, unter ihnen der Monte Pollino, den die Griechen dem Gott Apollon geweiht haben sollen.

Schirokko, der Wind aus Afrika

"Meine Mutter erzählt aus ihrer Kindheit, wie die Menschen auf dem Dorf die Schafe zusammentrieben, sobald sie über dem Gipfel einen großen Raubvogel kreisen sahen. Das war der Lämmergeier."

Heute kümmert sich Domenico Bruno selbst um Lämmer, er arbeitet als Tierarzt für die Provinz Potenza. Sein Anliegen aber ist der Nationalpark. Jede Felswand kennt er, jeden Wald. Weiß, wo die Schneefelder liegen und wann sie schmelzen, "wenn der Schirokko bläst", der Wind aus Afrika. Kann Granitgestein zeigen mit Schichten wie Blätterteig. Einen erloschenen Meeresvulkan, auf dessen dunkelrotem Lavagestein Thymian und Hornveilchen wuchern.

Unterhalb des alten Kraters führt ein mit Achsenbruch drohender Feldweg in einen Hain mit uralten Buchen zur Catusa-Quelle. Das Wasser bricht aus moosüberwachsenen Granitblöcken und lässt sich mit der Hand schöpfen, bis sie zu erfrieren droht.

Kleine Krebse, große Quallen

Vier Grad kalt ist das reine Quellwasser und Bruno berichtet, wie früher halb Terranova auf die Lichtung vor der Catusa-Quelle wanderte, weil dort ein Markt abgehalten wurde.

Wie zwei Täler weiter eine Eisenbahn funktionierte, um das Holz aus den dichten Wäldern abzutransportieren, "und heute gibt es das alles nicht mehr, dem Nationalpark fehlt die Infrastruktur".

Vielleicht deshalb durchstreifen ihn noch Wölfe und Wildkatzen, durchschwimmen Fischotter seine glasklaren Bäche, segeln Falken und kleine Geier über den Wipfeln.

Die grünhügelige Unendlichkeit mit Bergpinien, tausendjährigen Schlangenhautkiefern, Weißtannen und Buchen ist eines der wildreichsten Gebiete Italiens. Safran wächst hier und Enzian, die Bergnarzisse und die europäische Wildform der Päonie.

Das schöne Nichts

Stunden, Tage lang kann man auf bestens ausgewiesenen Wegen durch das Gelände wandern, in einfachen Herbergen schlafen oder in Berghütten. Bei San Severino Lucano steht ein Esel in der Kurve, ein Bauer sitzt darauf.

Der Esel ist klein und braun. Er schaut sich nicht um. Es ist ein heller Sommermorgen, die Berge liegen noch im Dunst. Bald sind sie weit weg, als hätten man die Tür zu ihnen verschlossen. Wieder dem Fluss Sinni folgen, über den Stausee fahren bis zur Ebene von Metapont.

Niedergang und Malaria

Flaches Land mit weiten Gemüsefeldern und Orangenplantagen, Pinienwälder vor dem Meer. Hier waren die Griechen schon im 8. Jahrhundert v. Chr., zwei Jahrhunderte später lehrte in Metapont der große Pythagoras.

Die Stadt wurde von Pyrrhus besetzt und verbündete sich mit Hannibal gegen Rom, dann kamen Niederlagen, wirtschaftlicher Niedergang und die Malaria. Heute gehört das antike Metapont den Archäologen, seine wichtigste Hinterlassenschaft sind die Tempel und das Nationalmuseum.

Hundert Meter breit und unendlich lang ist der Strand, über den die Griechen kamen. Im flachen, klaren Wasser des Ionischen Meeres krabbeln kleine Krebse und schweben tiefblaue Riesenquallen. Es ist leer und still, nur die Sandmücken summen.

Nur an wolkenlosen Sonntagen

"So ist es immer", seufzt in seiner Strandbude der Signor Egidio, und wirft die Kaffeemaschine an. Kein Kunde zu sehen, die Liegen unter den Sonnenschirmen sind leer. "Hier gehen die Leute nur an Sonntagen an den Strand, und das auch nur, wenn keine Wolke am Himmel ist."

Ein paar Ferienklubs haben Anlagen gebaut zwischen Metapont und Marina di Pisticci. "Aber das reicht nicht für uns. Seien Sie ehrlich: Nichts gibt es hier. Gar nichts."

Der Signor Egidio meint noch, es liege an der Mentalität. "La mentalità, wissen Sie." Sein Kaffee ist stark. Das Meer liegt glatt wie ein Spiegel. In den Pinien knarzen Zikaden. Eine Signora geht Muscheln fischen mit ihrem halbwüchsigen Sohn. Und sonst gibt es nichts. Wie schön.

Das schöne Nichts

Informationen

Anreise: Hin- und Rückflug von München nach Neapel mit Air Dolomiti ab 212 Euro, Germania Express zu 176 Euro oder Alitalia ab 170 Euro.

Unterkunft: Hotel Villa Cheta Elite Via Timpone 46 Acquafredda-Maratea, Tel.: 00 39/09 73/87 81-34, Fax: -35 www.villacheta.it. E-Mail:villacheta@travellingarounditaly.com, DZ ab 200 Euro; Residenza delle Rose Loc. Varco Viggianello, Tel./Fax: 00 39/09 73/57 01 64, DZ 39 Euro; Ferienhäuser- und Wohnungen über Naturlaub, www.cilento-ferien.de, Tel.: 0941/56 76 46-0, Fax: -1

Weitere Auskünfte: Italienisches Fremdenverkehrsamt Enit, Kaiserstraße 65, 60329 Frankfurt, Tel.: 069/237 434, Fax: 232 894, Internet: www.enit.it, E-Mail: enit.ffm@t-online.de. Broschüren: 008 00/ 00 48 25 42 (gebührenfrei) Oder vor Ort: Azienda di Promozione Turistica della Basilicata, Via del Gallitello 89, 85100 Potenza Tel.: 0039/0971/50 76 11, www.aptbasilicata.it, E-Mail: info@aptbasilicata.it

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