Zurück ins Tal:Rinder auf Abwegen

Keine Show für die Touristen: In Hindelang läuft der Viehscheid noch ganz traditionell ab.

Stefan Fischer

Hinter Kempten reißt der Verkehrsstrom abrupt ab. Auf der A 7 in Richtung Füssen ist man beinahe allein unterwegs, dort, wo das Allgäu vollends idyllisch wird. Bodennebel hängt in den Talsohlen, die Sonne hat sich unterdessen bereits über die Bergkämme erhoben und taucht die Landschaft in ein diesiges Licht.

Verschlafen wirkt das Allgäu in diesen Morgenstunden, doch der Anschein trügt. Je tiefer man in die Täler vordringt, desto lebhafter geht es zu. An den Bushaltestellen an der B310 entlang, in Obergschwend also und am Oberjoch, warten so viele Menschen wie sonst in einer ganzen Woche nicht. In Bad Hindelang wird auch der Autoverkehr wieder dichter, nachdem die Straßen aus Sonthofen, Oy-Mittelberg und dem Tannheimer Tal zusammengetroffen sind. Der provisorische Parkplatz im Wiesengrund, am Ortsrand von Hindelang gelegen, ist kurz nach 8 Uhr bereits gut gefüllt.

Man muss die Nebelschwaden nur ein wenig zur Seite schieben, muss hinter die Berge und Hügel schauen, um zu erleben, wie wepsig das Allgäu dieser Tage ist. Das Leben spielt sich nur nicht entlang den Hauptstraßen ab, sondern auf den Almen und in den Seitentälern.

Lange vor den Besuchern des Viehscheids in Bad Hindelang sind die Bauern und die Hirten auf den Beinen. Gegen halb neun Uhr vormittags bereits kommt die erste Herde im Wiesengrund an. Von Weitem kann man sie hören, das Geräusch gleicht dem Grollen eines fernen Felssturzes. Hunderte Hufe klappern die Teerstraße hinunter, ehe sie auf den Wiesengrund einbiegen und die Grasnarbe unterpflügen. Dann ist nurmehr das Donnern der schweren Glocken zu hören, von denen jedes Tier eine um den Hals trägt.

Störrisches Ringen um die Freiheit

Mit dem trägen Schlurfen einer Kuhherde von der Weide in den Stall, wie man es in vielen bayerischen Dörfern allabendlich erleben kann, hat dieser Zug nichts zu tun. Mag es an der Jugend der Rinder liegen - denn Kühe werden nicht mehr auf die Alpen entsandt -, oder an der Aufgeregtheit des Tags: Die Herde ist zügig unterwegs, manche Rinder fallen in eine Art Galopp, einige vollführen gar ein paar Bocksprünge, so dass die Hirten eher bremsen müssen als antreiben.

Am Ende der Wiese verengen sich die Gatter zu einem Trichter, durch den nur jeweils ein Tier passt - was die Rinder aber nicht hindert, sich aneinander vorbei zu drängen. An der Viehabscheide schlägt jedoch bei den meisten Rindern der Vorwärtsdrang in störrische Verweigerung um. Sich einen Strick um den Kopf legen, sich daran fortzerren und an einen Holm in der Nähe binden zu lassen, geht den meisten Tieren gegen ihren Freiheitssinn, den sie auf der Alpe entwickelt haben.

Rinder auf Abwegen

Sie drängen zurück, verharren dann bockbeinig, weil der Rückweg verstopft ist, manches Rind wagt schließlich eine Attacke, rennt los, an den Holmen vorbei, den Knecht oder Bauern am losen Ende des Stricks mit sich ziehend - und kommt doch nicht weit.

Bauern unter sich

Der Almabtrieb, oder Viehscheid, wie er im Allgäu überwiegend genannt wird, weil nicht der Abtrieb im Mittelpunkt steht, sondern das Abscheiden der Herde, also die Übergabe der Tiere an ihre Besitzer, ist harte Arbeit und beileibe kein brauchtümliches Gewese. Der Oberalpmeister ruft die Bauern aus, die ihre Rinder eins nach dem anderen bändigen müssen.

Wenn es darum geht, ihr Vieh zum Gehen zu bewegen, sind die Landwirte übrigens nicht zimperlich in ihren Methoden. Sie bleiben auch, trotz der vielen Besucher, unter sich. Gewiss, der Parkplatz ist bestens organisiert, es gibt einen Rummel mit Marktständen und Autoscooter sowie ein Festzelt, in dem die Harmoniemusik Hindelang spielt. Auch dürfen die Besucher nah an das Geschehen heran; gefährlich nahe sogar, wie man immer wieder sieht, wenn mal eines der Rinder ausbricht.

Die Hindelanger sind also beileibe nicht ungastlich. Aber zu einem Stück Bauerntheater wollen die Landwirte und Hirten das Spektakel nicht folklorisieren. An der Viehabscheide hängen kleine Holztafeln, auf denen Erzberg steht oder Stierbach, die Namen der Alpen. Man muss nah herankommen, um sie lesen zu können.

Einen Stadionsprecher, wenn man so möchte, gibt es nicht. Niemanden also, der über den gesamten Wiesengrund hin verkünden würde, dass die rund 800 Rinder sommers auf fünf Alpen im Hintersteiner- und im Retterschwangtal waren. Man erfährt nicht, wie hoch diese Alpen liegen, wie lange der Abtrieb dauert. Wen es interessiert, der kann schließlich einen der Hirten fragen.

Kränze nur im besten Fall

Der Oberalpmeister ist nur im Umkreis weniger Meter zu hören, dort, wo die Bauern auf ihre Tiere warten und der Lärm des Volksfestes untergeht. Bevor gefeiert wird, muss der Ertrag des Sommers eingefahren werden. In Hindelang nimmt man es genau mit der Tradition. Andernorts werden die Rinder längst der Touristen wegen stets prächtig herausgeputzt. Früher war das ein Zeichen, dass es während der Monate in den Bergen weder unter den Hirten noch unter den Tieren Verluste gegeben hat. In Hindelang halten sie es bis auf den heutigen Tag so. Anlass, Blumenschmuck zu tragen, gab es dieses Jahr nicht - ein Blitzschlag hat 17 Tiere getötet.

Viehscheid-Termine in Oberbayern, im Tannheimer Tal und im Allgäu:

Freitag, 15. September: Oberstaufen (8.30 Uhr), Rettenberg- Kranzegg (9 Uhr), Balderschwang(9.30 Uhr), Bad Hindelang-Unterjoch(10 Uhr).

Samstag, 16. September: Immenstadt (9 Uhr), Blaichach-Gunzesried (9 Uhr), Eisenberg, Missen, Jungholz, Pfronten-Röfleuten, Nesselwang, Nesselwängle (alle 10 Uhr), Schönleiten-Alm über Wildbad nach Kreuth (12 Uhr), Weitnau-Wengen, Schwangau (beide 12.30 Uhr).

Sonntag, 17. September: Mittenwald (12 Uhr).

Montag, 18. September: Wertach (8 Uhr), Halblech-Buching (9.30 Uhr).

Dienstag, 19. September: Bolsterlang (9 Uhr).

Mittwoch, 20. September: Grän-Haldensee (11 Uhr)

Donnerstag, 21. September: Tannheim (11 Uhr).

Freitag, 22. September: Oberstaufen-Thalkirchdorf (9.30 Uhr).

Samstag, 23. September: Obermaiselstein (8.45 Uhr), Schattwald (10 Uhr), Oy-Mittelberg-Haslach (10.30 Uhr), Sachrang (11 Uhr), Stoißeralm/ Teisendorf (15.30 Uhr).

Samstag, 30. September: Haldenwang bei Kempten (10 Uhr).

Ende September/ Anfang Oktober: (witterungsabhängig): Schönau am Königssee.

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