Zugmonitor-Analyse:Verspätungen machen ICE um bis zu 28 km/h langsamer

Schnell, schneller, ICE - bis zu 300 km/h in der Spitze ist das Tempo-Versprechen der Bahn. Doch ausgerechnet auf den Hochgeschwindigkeitsstrecken gibt es die häufigsten Verspätungen. Die SZ hat nun die Folgen für Deutschlands wichtigste Achsen berechnet. Ergebnis: Die Flitzer sind im Schnitt viel langsamer unterwegs als gedacht, bis zu 28 km/h.

Von Stefan Plöchinger

145 Kilometer in 38 Minuten: So steht die schnellste Strecke der Republik im Kursbuch der Bahn. Zwischen Nordrhein-Westfalen, genauer: Siegburg/Bonn und dem Frankfurter Flughafen sind zwei Gleispaare ins Mittelgebirge trassiert, mit so vielen Brücken und Tunneln und so kurvenarm, dass ICE-Züge in der Spitze 300 km/h fahren. Im Schnitt sind es 228,9 km/h, glaubt man dem Fahrplan.

Doch der Fahrplan wird auf der Strecke in 38 Prozent der Fälle nicht eingehalten. Das zeigt eine Jahresauswertung des SZ-Zugmonitors. Wenn ein Zug auf dieser Verbindung verspätet ist, ist er es im Schnitt um 14 Minuten. Auf alle Züge gerechnet, geht es um 5,3 Minuten Verspätung.

Um diese 5,3 Minuten verlängert sich die Reise eines durchschnittlichen Fahrgasts, der pünktlich am Bahnsteig steht. Er braucht für die 145 Kilometer nicht 38, sondern 43,3 Minuten. Macht nur noch 200,9 km/h - also 28 km/h weniger als von der Bahn versprochen. Das ist die Wirklichkeit zwischen Frankfurt/Flughafen und Siegburg/Bonn.

Verspätung auf den wichtigsten Trassen

ICE der deutschen Bahn

Schneller als die Autos auf der A 3, aber deutlich langsamer als erhofft: Ein ICE auf der Trasse Frankfurt-Köln.

(Foto: AP)

Die SZ hat für die wichtigsten ICE-Trassen berechnet, wie stark die Hochtempo-Züge nach dieser Logik ausgebremst werden. Sie bilden ohnehin die Zugklasse mit den meisten Verspätungen - aber wie viel langsamer, als die Bahn verspricht, sind die Fahrgäste mit ihnen tatsächlich unterwegs?

In einer verdrehten 8 führt die ausgewertete Strecke von Siegburg/Bonn über Frankfurt, Mannheim und Stuttgart nach München. Dann geht es über die Achse Nürnberg-Würzburg-Fulda-Kassel-Göttingen-Hannover nach Hamburg, weiter nach Berlin und über Hannover nach Dortmund, also zurück nach Nordrhein-Westfalen. Untersucht wurden jeweils die kürzestmöglichen häufig befahrenen Verbindungen zwischen den genannten Städten und Ballungsräumen.

Das Ergebnis: Neben der NRW-Frankfurt-Verbindung leidet auch die wichtige Rückgrat-Strecke Würzburg-Fulda-Kassel-Göttingen am stärksten unter Verspätungen. Im Schnitt ist die Fahrt hier ebenfalls um 27 bis 28 km/h langsamer. Am besten läuft es zwischen Hamburg und Berlin, hier fahren die Züge korrigiert immer noch 184 km/h statt 189. Zum Vergleich: Zwischen Fulda und Kassel sind es korrigiert 166 statt 193 km/h. Alle Details entnehmen Sie dem Diagramm oben. Es zeigt, wie schnell ein ICE zwischen den jeweiligen Bahnhöfen laut Fahrplan eigentlich fahren müsste und wie schnell er tatsächlich unterwegs ist. Über alle genannten Verbindungen gerechnet sind die Züge 16 km/h langsamer, als es Fahrplan und Streckenlänge vorgeben.

Takt ohne Puffer

Die Auswertung betrachtet allerdings nur einen Ausschnitt der Verbindungen zwischen den größten Ballungsräumen. So verkehren viele Züge von Köln direkt zum Frankfurter Flughafen, ohne in Siegburg/Bonn zu halten; andere fahren als Sprinter zwischen Hannover und Fulda durch - doch auch auf diesen Verbindungen sind Züge nach der SZ-Gesamtanalyse häufig verspätet. Die Bahn hat das Problem, dass die ICE häufig eng getaktet sind, ohne große Zeitpuffer, weil die Fahrgäste schnellstmögliche Verbindungen verlangen. Was dann öfter zu weniger Pünktlichkeit führt (zur Analyse ...).

Was die Bahn sagt

Die Bahn hat auf SZ-Anfrage inzwischen ihre eigenen, noch akkurateren Daten für die Strecke zwischen Siegburg/Bonn und dem Frankfurter Flughafen analysiert, um die Probleme auf dieser Strecke zu erklären. Züge führen auf dem Streckenabschnitt tatsächlich im Schnitt mit einigen wenigen Minuten Verspätung ein, bestätigt der Konzern - wobei eine vorher aufgelaufene starke Verspätung auf der Strecke oft sogar reduziert werde. Wenn indes Verspätungen verschlimmert würden, dann sei unter anderem schlechtes Wetter die Ursache. So habe man im März dieses Jahres an mehreren Tagen das Spitzentempo 300 auf 200 reduzieren müssen, um Schäden durch Schotterflug in Verbindung mit Eis zu vermeiden.

Die durchschnittliche Pünktlichkeit zwischen Nordrhein-Westfalen und Frankfurt sei nicht schlechter als im gesamten deutschen Fernverkehr, teilt die Bahn mit. Sie bestätigt aber das generelle Problem, dass solche Hochtempostrecken meist größere Pünktlichkeitsrisiken haben als weniger schnell getaktete Trassen. Wenn wegen Störungen die Geschwindigkeit von 300 km/h stark gedrosselt werden müsse, habe das Folgen. Tatsächlich gibt es in hohen Geschwindigkeitsbereichen weniger Potential, Verspätungen durch schnelleres Fahren wieder aufzuholen - wegen der begrenzten Maximalgeschwindigkeit und weil die Fahrzeitgewinne bei höheren Geschwindigkeiten immer geringer werden. Baut man dagegen mehr Pufferzeit ein, verlängert sich die Reisezeit auch, wenn es keine Störungen gibt.

Noch schlimmer ist die Lage bei Streckensperrungen zum Beispiel durch Unfälle. Sobald die Trasse zwischen Siegburg und Frankfurt gesperrt ist, muss auf die alte Rheinstrecke ausgewichen werden - auf der die Reise mindestens eine Stunde länger dauert.

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