Zimmer mit Aussicht:Welt hinter Stäben

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(Foto: oh)

Der Blick in den Hinterhof offenbart die Seele eines Hotels - und auch die Istanbuls.

Von Dominik Prantl

Hotelfassaden sind Trugbilder. Eine Fassade lässt sich aufmörteln und herschminken wie ein vernarbtes, faltiges Gesicht. Im Istanbuler Stadtteil Kadıköy werden gerade sehr viele Häuserfronten einem Facelifting unterzogen, und weil das nicht auf Kommando eines ganzheitlich operierenden Chirurgen passiert, stehen alte Holzverschläge neben bröckelnden Mauern und aufgetakelten Schönheiten. Wer aber in die Hinterhöfe blickt, erkennt nicht nur die Seele eines Hotels; oft spiegelt sich dort das Leben eines Viertels, ach was, einer ganzen Stadt wider. Das Hotel Zirve zum Beispiel ist keines dieser von der Restwelt abgeschnittenen Resorts; es steht mittendrin im Leben Istanbuls, drüben auf der asiatischen Seite der Stadt, wo der Tourismus nur zögerlich Fuß fasst und die grandiosen Kneipenstraßen vor allem den Istanbulern selbst gehören. So abgeschlossen der Hinterhof auch wirken mag, er ist das Tor zu einem Mikrokosmos. Am Abend zuvor noch wurde im Nebengebäude getanzt und gefeiert und die Tänzer haben den Hof zum Trinken und Rauchen genutzt. Ein paar Stunden später hat dann der Muezzin über den Hinterhof ins Zimmer geschrien, sich aber nur kurz ins Ohr gefressen, bald war es wieder still. Am frühen Vormittag werden wieder die Angestellten vorbeikommen und sich auf die Stühle am Tisch setzen, um das zu tun, was die Menschen hier während einer Pause am liebsten machen: Tee trinken. Vorher läuft eine Katze vorbei, durch die Stäbe blickend neidet man ihr den "weichen Gang geschmeidig starker Schritte" (Rilke). Sie dreht sich aber nicht im Kreis. Sie rennt einfach weg, raus ins echte Istanbul mit all den wunderbaren Fassaden und Höfen.

Zirve Otel, Stadtteil, Kadıköy, 34714 Istanbul, DZ mit Frühstück für etwa 54 Euro, www.zirveotel.com

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