Zauberformel "Umrouten":Der "Plan B" gehört zum Alltag

Zauberformel "Umrouten": Die Costa Marina 2005 beim Erstanlauf im Hafen von Tripolis (Libyen). Die Wracks im Vordergrund sind Ergebnisse der Bombardierungen in den Vorjahren.

Die Costa Marina 2005 beim Erstanlauf im Hafen von Tripolis (Libyen). Die Wracks im Vordergrund sind Ergebnisse der Bombardierungen in den Vorjahren.

(Foto: fbe)

Schiffe lassen sich - anders als Hotels - umdirigieren. Wie die Kreuzfahrtbranche auf Krisen und Extremwetter reagiert.

Von Frank Behling

Die Euphorie war in den Gesichtern aller Beteiligten ablesbar. Am 10. Mai 2005 lud der Kapitän der Costa Marina im Hafen von Tripolis zum Empfang. Eine Abordnung der libyschen Hafenbehörde und der Grenzpolizei war an Bord gekommen. Es gab eine Zeremonie zum Erstanlauf. Fast 20 Jahre war Libyen zuvor auf der Liste der Schurkenstaaten. 2005 war die Zeit des Aufbruchs. Kreuzfahrtschiffe eroberten im Mittelmeer Häfen ehemaliger Kriegsgebiete. Etwas weiter östlich schlenderten im Sommer 2006 Passagiere von der Reederei Aida durch die Altstadt Beiruts. Die Aida Aura wurde Stammgast in der libanesischen Hauptstadt. Die Pyramiden von Gizeh und Karthago bei Tunis bekamen Konkurrenz. Die ebenfalls zum Unesco-Weltkulturerbe gehörenden Orte Leptis Magna (Libyen) und Byblos (Libanon) rückten auf die Programme der Landausflüge.

Zehn Jahre später hat sich die Lage radikal geändert. Durch die Gassen der ältesten Siedlung der Welt in Byblos bummeln heute nur selten Kreuzfahrtpassagiere. Ebenso wenige wie in Karthago im Sommer 2015. Beirut und Tripolis sind heute wieder Krisengebiete und selbst die einst sicheren Urlaubsziele in Ägypten und Tunesien sind aus fast allen Fahrplänen der großen Reedereien verschwunden. Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes dominieren die Region zwischen Marrakesch und Mombasa.

Heute können Schiffe innerhalb von wenigen Stunden umgeroutet werden

"Wir beobachten die Lage genau. Notfalls muss schnell reagiert werden", sagt Michael Zengerle, Geschäftsführer von MSC Kreuzfahrten in München. Beispiel Istanbul. Istanbul hat im östlichen Mittelmeer eine ähnliche Bedeutung wie St. Petersburg bei Ostseekreuzfahrten. Die Sorge vor einem Terroranschlag ist aber auch am Bosporus mit der Ausweitung der Konflikte in Syrien und durch den Krieg in der Ukraine gewachsen. Bereits mehrfach haben Reedereien Anläufe in Istanbul stornieren müssen. 2013 drehte die Aida Diva bereits in Sichtweite des Goldenen Horns ab und lief griechische Inseln als Ausweichziel an. Der Kapitän hatte nach einer Beratung mit Sicherheitsexperten und den lokalen Agenten den Befehl zum Abdrehen gegeben. "Wir sind dabei sehr flexibel. Die Kapitäne unserer Schiffe sind sich in diesen Fällen ihrer großen Verantwortung bewusst", sagt Hansjörg Kunze, Sprecher von Aida Cruise. Der deutsche Marktführer aus Rostock hatte auch reagiert, als Anschläge und Terror im Zuge des Konfliktes im Juli die Türkei erreichten. Im Juli wurde Istanbul wieder aus dem Programm genommen. Ausweichhäfen sind die griechischen Inseln in der Ägäis.

Im März hatte es MSC und Costa schwer getroffen. In Tunis endeten Landausflüge der Passagiere der MSC Splendida und der Costa Fascinosa im Kugelhagel zweier Islamisten. 20 der 25 Todesopfer waren Passagiere der beiden Schiffe. Sofort wurden alle Anläufe von Schiffen in La Goulette und die Landausflüge in Tunesien abgesagt. Die Terroristen hatten ihr Ziel erreicht und dem Tourismus in Tunesien schweren Schaden zugefügt.

Die wirtschaftlichen Schäden für die Kreuzfahrtreedereien halten sich in Grenzen. Früher wurden Kreuzfahrtschiffe bei Krisen stillgelegt und die Reisen abgesagt. Heute können Schiffe innerhalb von wenigen Stunden umgeroutet werden. In jeder Reederei gibt es Teams, die den Auftrag haben, die sicherheitspolitische Lage in den Destinationen zu beobachten und ständig zu bewerten. Geht die Sicherheitsampel von Grün auf Orange, wird sofort an einem "Ausweich-Routing" gearbeitet.

Die "Troubleshooter" in den Abteilungen der Reedereien haben inzwischen Erfahrung. Allein zehnmal mussten in den vergangenen fünf Jahren Routen geändert werden. Neben den Häfen in Nordafrika und Nahost betraf es auch Häfen im Schwarzen Meer, Südamerika, Ostafrika und im Roten Meer. Zum Teil wurden Reisen während der Fahrten geändert. "Im Gegensatz zu einem Hotel an Land hat ein Kreuzfahrtschiff einen großen Vorteil. Es ist mobil und kann innerhalb kürzester Zeit das Fahrtgebiet ändern. Dieser Umstand hilft uns", sagt Zengerle. Das sieht man auch in Rostock so. "Unsere Hotels schwimmen und sind deshalb sehr flexibel", sagt Kunze.

Damit das möglich ist, gibt es für jedes Fahrtgebiet einen "Plan B". Es muss ja nicht immer eine Terrorbedrohung sein. Als unlängst die Kriminalität auf der Isla Margarita oder auf den Bahamas stieg, wurden Schiffe auch dort abgezogen. Ein weiterer Grund können auch Naturkatastrophen sein. Auch für diese Fälle müssen die Operationsabteilungen in den Reedereien Szenarien mit Ausweichrouten bereit haben. Aida hat damit ebenfalls Erfahrung. Bereits mehrmals sind Schiffe im Herbst auf dem Weg in die Karibik in die Bahnen der Hurrikane geraten. Schäden gab es keine, da die Kapitäne in Absprache mit den Meteorologen rechtzeitig Ausweichrouten wählten. Beim Hurrikan Sandy wurde 2012 sogar ein Besuch der Aida Luna in New York kurzfristig abgebrochen und stattdessen der herannahende Hurrikan im Atlantik umfahren.

Erleichtert wird die Planung einer Alternativroute auch durch die Verfügbarkeit der Verkehrslogistik. Fast alle Versorgungsgüter kommen aus zentralen Logistiklagern per Seetransport und Lastwagen zu den Ausrüstungshäfen. Wenn ein Hafen gewechselt werden muss, sind meist auch die Container innerhalb kürzester Zeit in dem neuen Hafen. Die Kreuzfahrtbranche ist nicht nur gewachsen, sie ist auch mobiler geworden. "Wir sind eben flexibel", sagt Kunze.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: