Zagreb:Träume hinter Tesafilm

Im Spagat zwischen Demut und Selbstüberschätzung: Ein Streifzug durch die kroatische Hauptstadt Zagreb.

Michael Winter

Als um vier Uhr morgens die Dieselmaschinen anspringen, denkst du, sie sind unter das Bett geschraubt. Wenn man die Ohren mit Oropax verstopft, nimmt die Vibration im Bauch noch zu.

Zagreb

Panorama von Zagreb.

(Foto: Foto: Milan Babic/Croatian Tourist Board)

Man schaut hinter die Vorhänge und weiß, dass der Tag niemals hell werden wird. Ist das der Zeitpunkt, das Bett stramm zu ziehen, die Galauniform anzulegen und sich zu vergiften?

Vom Eckzimmer des "Regent Esplanade" in Zagreb hat man den Blick auf die Bahngleise und auf den Tomislavov-Platz der Unterstadt. Im Bahnhof laufen die Dieselloks warm. Kein Gedanke mehr an Schlaf, und man knöpft sich die Geschichte des Hauses vor, in dem man nächtigt.

Im "Esplanade" bündelt sich die neuere Geschichte Zagrebs. In den wilden Zwanzigern als Herberge für die illustren Gäste des Orientexpress gebaut und im Art-Déco-Stil eingerichtet, begann hier das Balkanabenteuer.

Das "Esplanade" überlebte das Königreich Jugoslawien, die Besetzung durch die Nazis (das Hotel war Hauptquartier der Wehrmacht und der SS), das Jugoslawien Titos und den Unabhängigkeitskrieg gegen Serbien.

Liebesnest für Seitensprünge

Bald nach der Eröffnung im Jahr 1925 wurde das Haus zum diskreten Liebesnest für Seitensprünge der Haute Volée, später zum Treffpunkt internationaler Filmstars, Musiker, Literaten, Politiker.

Im Gästebuch finden sich Namen wie Asta Nielsen, Josephine Baker, Charles Lindbergh, Orson Welles, Yul Brynner, Arthur Miller, Maria Callas, Louis Armstrong, Leonid Breschnjew, Helmut Kohl. Journalisten und Agenten nutzten das Hotel in Kriegszeiten als Schreib- und Sendezentrale, zuletzt 1991. Im November 2004 wurde das Haus im originalen Art-Déco-Stil als "Regent" wiedereröffnet.

Ihre Großmutter sei sehr stolz gewesen, erzählt Tea, die Marketing Managerin, als sie erfahren habe, dass sie im "Esplanade" arbeite. Die Großmutter war während des Zweiten Weltkriegs hier als Hausdame beschäftigt.

Sie hat Tea erzählt, wie man die jungen Nazioffiziere nach der Kapitulation in Galauniform vergiftet in ihren Betten fand. Das war das Ende des profaschistischen Regimes von Ante Paveli und der Ustaschabewegung mit ihrem Terror gegen Juden, Sinti, Roma und vor allen Serben, die im Tito-Staat und nach dessen Ende zurückschlugen.

Aber die Großmutter, sagt Tea später nach dem Dinner, die Großmutter habe immer glänzende Augen gehabt, wenn sie von den toten Soldaten in den Betten erzählt habe.

Große Rätsel

Das "Esplanade" ist ein weißer Riese in der geometrischen Unterstadt aus dem 19. Jahrhundert. Von hier aus enträtselt sich Zagreb in wenigen Nachmittagen. Man muss nur aus der Haustür und dann geradeaus, um zu dem Platz zu kommen, auf dem sich die Zagreber Geschichte abgespielt hat.

Österreicher, Deutsche, Faschisten, Kommunisten. Alle sind hier aufmarschiert, und allen wurde zugewinkt. Je mehr man aber meint, hinter diese Stadt gekommen zu sein, desto rätselhafter wird sie. Man kann sich im hufeisenförmigen Straßenverlauf der Oberstadt schnell verirren.

Landet immer wieder unter dem Bogen eines alten Stadttores, in dessen Nische Frauen und Mütter der im letzten Balkankrieg verschollenen Söhne und Männer vor einer Marienstatue beten. Und unten schreit die gelbe Straßenbahn in der Schienenkurve, beklebt mit der deutschsprachigen Werbung: "Gin Tonic - nicht ganz normal".

Auf der Südseite der Bahngleise blüht der Plattenbau. Die Neustadt erstreckt sich von da aus kilometerweit wie eine Kakteensteppe bis zum Flughafen. Zagreb liegt im Auge des Pulpo. Der Staat hat die Form eines Tintenfischs.

Träume hinter Tesafilm

Wer darüber spottet, sollte sich vergegenwärtigen, wie sehr das Staatsgebiet zerfetzt wurde zwischen Österreich, Italien und dem osmanischen Reich und schließlich zwischen Serben und Kroaten.

Zagreb

In der Altstadt von Zagreb.

(Foto: Foto: Zeljko Krcadinac/Croatian Tourist Board)

Hier verliefen die Grenzen zwischen Okzident und Orient, zwischen Ost- und Westrom, zwischen Kapitalismus und Kommunismus, zwischen lateinischer, kyrillischer und arabischer Schrift. Zagreb war unter österreichischer Herrschaft vier Jahrhunderte lang Frontstadt.

Vielleicht sieht die kroatische Metropole deshalb noch heute ein bisschen selbst gebastelt aus. Ein bisschen Klein-Prag, ein bisschen Klein-Wien, ein bisschen Klein-Mailand. Ein bisschen nachzüglerisch.

Erfinder der Füllfederhalter

Immerhin erfanden hier die Ingenieure Slavoljub Eduard Penkala den Füllfederhalter und den Kugelschreiber, Josip Ressel die Schiffsschraube und Ivan Blaz den Torpedo. Auch das männlichste aller Kleidungsstücke, die Krawatte (Kroate) stammt aus Kroatien.

Im Dreißigjährigen Krieg ritten kroatische Reitersöldner alles nieder. Sie trugen dabei Tücher um den Hals, die ihnen ihre Frauen zum Abschied geschenkt hatten. Die Halsschleifen wurden zu einem modischen Dauerbrenner. Zagreb ist eine Hauptstadt, die vom Ausland unterschätzt und von ihren Bewohnern überschätzt wird.

Von Kellnern, Taxifahrern und Fremdenführern kriegt man eine Melange aus postsozialistischen, neonationalistischen und Donaumonarchie-Träumen zu hören. Die EU spielt dabei kaum eine Rolle.

Ein Problem ist der ehemalige kroatische Nationalheld, der Ex-General Ante Gotovina, der als Nummer drei auf der Liste des Den Haager Kriegsverbrecher-Tribunals steht und beschuldigt wird, im Jahr 1995 ein Massaker an 150 Zivilisten verübt zu haben. Der Mann ist abgetaucht. England und Italien werfen der Regierung in Zagreb vor, Gotovina direkt oder indirekt zu schützen.

Im Louvre des Ostens

Merkwürdigerweise haben die Zagreber Architekten in der Gründerzeit nur ein einziges Museum gebaut (heute Ethnographisches Museum). Dennoch hat Zagreb seit 1987 eines der größten Museen Südosteuropas mit einer Sammlung von 3750 Objekten, darunter Bilder von Velasquez, Murillo, Goya, Rembrandt, Rubens, Bosch, Van Dyck, Caravaggio, Holbein, Liebermann, Turner, Manet, Renoir, Degas.

Die Kroaten nennen das Museum stolz den "Louvre des Ostens". Aber niemand außerhalb Kroatiens nimmt es ernst. Im Mimara-Museum kristallisiert sich die Schräglage dieser Stadt zwischen Überschätzung und Unterschätzung, zwischen Lachen und Staunen.

Das Museum Mimara am Rand der Unterstadt hat tatsächlich louvrehafte Ausmaße. Das Gebäude aus dem Jahr 1895 war ursprünglich ein Gymnasium, und man könnte meinen, ganz Kroatien sei hier zur Schule gegangen. 1987 zog die Sammlung Mimara ein, eine Schenkung des im selben Jahr gestorbenen und in Salzburg ansässigen Kunstsammlers Ante Topi Mimara.

Die Geschichte eines Schlitzohrs

Wer dem Namen nachgeht, stößt auf die Geschichte eines Schlitzohrs. Mimara wurde als Ante Topic Matutin 1897 in einem dalmatischen Dorf geboren. Eine andere Version besagt, dass der Mann ein Findelkind war und man ihm den Namen Mirko Maratovic gab.

Später habe er die Identität eines toten Kriegskameraden mit dem Namen Ante Topic angenommen und sich danach Graf Mirko Pyelik-Inna genannt. Es gibt noch andere Namen: Popic, Pasko, Zglado, Mimarov. Wer auch immer der Mann wirklich war, er geriet nach dem Ersten Weltkrieg als Gefangener nach Rom und wurde später Schüler des Porträtmalers Antonio Manchini.

Träume hinter Tesafilm

Unbestreitbar ist wohl, dass Ante Topic eine Begabung als Maler hatte. Aber er war auch ein begabter Kunsträuber, ein cleverer Kunstsammler, ein geschickter Kunstschmuggler und Fälscher. Es gibt das Gerücht, dass er Hermann Görings Kunstberater war und andererseits als Spion für Stalin arbeitete.

Sein größter Coup gelang ihm 1948 in München. Er trat bei der amerikanischen Sammelstelle für die Rückführung der von Nazis geraubten Kunstschätze als Restitutionsbeauftragter der jugoslawischen Regierung mit einer Liste von vermissten Kunstobjekten auf und forderte die Rückgabe.

Bei der Identifizierung der Werke half ihm die junge Kunsthistorikerin Wiltrud Mersmann, die Zugang zum Depot hatte. Sie wurde später seine Frau und lebt noch heute 84-jährig als Kunstprofessorin auf Schloss Neuburg bei Salzburg.

Vertuschung einer Peinlichkeit

Im Frühjahr 1949 wurden Gemälde von Tizian, Tintoretto, Caravaggio, Constable, Waldmüller aus den Sammlungen von Göring und Bormann auf Lastwagen geladen, aber es kamen nur wenige Werke in Jugoslawien an. Die Amerikaner merkten sehr bald, dass sie gelinkt worden waren. Später wurde der peinliche Vorfall vertuscht. 1973 überließ Ante Topic seine Sammlung der Republik Kroatien gegen eine Staatspension und ein Haus in Zagreb und eines an der Küste.

Das Museum Mimara wird von wenigen Touristen besucht. Viele Objekte in den unteren Räumen sind Kunsthandwerk. Die Gemälde befinden sich in der obersten Etage. Und aus irgendeinem Grund muss man anfangen zu lachen angesichts der Monets, Raffaels und Goyas, die völlig ungeschützt und wie Donnerschlag auf Donnerschlag an den Wänden hängen.

Bogen um den Louvre

Wenn man näher tritt, kann man hier und da so etwas wie Tesafilmstreifen bemerken, die über Risse geklebt sind. Die internationalen Kunstexperten machen einen Bogen um den Zagreber Louvre. Möglicherweise ist einiges echt oder stammt zumindest aus berühmten Malerschulen. Niemand will sich die Finger verbrennen.

Und so liegt über dem Museum wie über der gesamten Stadt ein merkwürdiger Stolz auf alles mögliche, auf Bleistifte, auf zweifelhafte Kunstwerke, auf den Sieg über Serbien, auf die höchste Espresso-Kultur außerhalb Italiens, vielleicht auch auf Schlitzohren wie Ante Topic und neuerdings den Berliner Zockerkönig Ante Sapina, dessen Brüder das "Café King" betrieben haben und der eine Hauptrolle in der deutschen Schiedsrichteraffäre gespielt hat.

Im Kaffeehaus am Rand des Fleischmarktes zeigt der Wirt auf eine Art Verkehrsverbotsschild, das an der Tür zu den Privaträumen klebt. Man sieht im roten Kreis einen ausladenden Frauenpo in einem engem schwarzen Gewand und darauf eine gespreizte weiße Männerhand. Durch den Kreis läuft ein roter Querbalken. Wir sind fit für Europa, sagt der Wirt und meint es ernst.

Träume hinter Tesafilm

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Informationen

Anreise: Croatia Airlines fliegt im Codeshare mit Lufthansa täglich dreimal von Frankfurt nach Zagreb, an Wochenenden nur zweimal und außer Samstag einmal täglich von München, ab 286 Euro, Internet: www.croatiaairlines.hr.

Unterkunft: The Regent Esplanade Zagreb, Mihanovi eva 1, 10000 Zagreb, Croatia. Telefon: 00385/ 14 56 66-66, Fax: -050, Internet: www.regenthotels.com. Zimmerpreise: Superior 149 bis 215 Euro, Deluxe: 169 bis 235 Euro, Regent Deluxe Suite 300 bis 350 Euro.

Stadtführungen in Zagreb und Ausflüge in die Umgebung organisiert Zagreb-Touristik, Kaptol 5, 10000 Zagreb, Telefon: 00385 (0) 14 89 85 55, Fax:14 81 43 40, Internet: www.zagreb-touristinfo.hr.

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