Yukon Territory:Neue Heimat in Kanadas eisigem Norden

Entlang des Dempster Highways leben viele Elche, Karibus, Wölfe und Bären, aber nur wenige Menschen. Warum Deutsche dennoch hierblieben.

Reisereportage von Verena Wolff

Die Geschichte, die Manuela Albicker zu erzählen hat, ist eigentlich zum Schießen - doch sie begann alles andere als komisch für die junge Frau, die Zimmerin ist und im Yukon Holzhäuser bauen wollte. 2006 kam sie in den Norden Kanadas, mit einem Work-and-Travel-Visum. Kaum mit dem Greyhound-Bus angekommen, erfuhr sie, dass ihre Dienste nicht mehr gebraucht würden. Und stand da - ohne Plan B. Doch der kam von ganz allein.

Sie traf in der Bibliothek in Whitehorse jemanden, der Frank Turner kannte. Der ist eine Legende unter den Schlittenhundezüchtern der Welt, die Farm Muktuk vor den Toren von Whitehorse sein Lebenswerk - und dort brauchte Frank immer helfende Hände. "Ich habe nicht gewusst, worauf ich mich einlasse", sagt Manuela. Der Bekannte schwärmte immerzu von den "ducks", den Enten. "Er war Frankokanadier und hat das englische Wort für Hunde, dogs, so ausgesprochen wie ducks." 127 Enten, dachte sich die junge Frau, das kann ja nicht so schlimm sein. "Dann fuhr ich raus und sah Dutzende Hundehütten."

24 Mal hat Frank mit seinen Hunden schon den Yukon Quest gemeistert

Darin: Wertvolle Tiere, die mit Besitzer Frank schon den Yukon Quest gemeistert hatten. Der Weg dieses legendären Hundeschlittenrennens führt alljährlich im Februar über 1000 Meilen, 1600 Kilometer, von Whitehorse nach Fairbanks in Alaska - oder in die andere Richtung. Die Musher, die Schlittenhundeführer, sind auf der Strecke mit ihren Tieren alleine. 1984 startete Frank, ein kleiner Mann mit dicker Brille, wüstem Bart und wilden Haaren beim ersten Quest als einer der wenigen Kanadier. 24 Mal hat er in 25 Jahren teilgenommen. 1995 gewann er mit der damals schnellsten Zeit von zehn Tagen, 16 Stunden und 22 Minuten - ein Rekord, der zwölf Jahre Bestand haben sollte.

Und nun stand Manuela da, in Muktuk. Dass sie nicht vom Fach war, störte Frank nicht. Sie machte sich mit den Tieren vertraut - und blieb. "Ich hatte keine Ahnung, was ein Musher ist oder wie man mit Schlittenhunden umgeht." Das hat sich geändert, sie hat sogar selbst für den Quest trainiert, in den Wäldern und auf den zugefrorenen Seen rund um Whitehorse. "Aber ich habe mir die Zehen abgefroren und einen Teil des linken Fußes." Danach muss man erst mal langsam tun. Manuela nutzte die Sommer mit den langen Polarnächten, um anzubauen. Denn auf Muktuk können die Besucher auch wohnen, in schicken Holzhütten, made by Manuela.

Mehr Elche als Menschen

Solche Geschichten vom Zufall können auch Uta Reilly und Eveline Frost erzählen. Sie leben schon seit vielen Jahren in dem Territorium, das, zumindest im Winter, zu den unwirtlichsten Ecken des Planeten gehört. Wo die Temperaturen oft unter 40 Grad minus sinken und die Sonne sich im Extremfall nur zwei Stunden blicken lässt.

Der Yukon ist dichter von tierischen Bewohnern besiedelt als von Menschen: Rund 50 000 Elche, knapp 200 000 Karibus und etwa 20 000 Bären werden gezählt - aber kaum mehr als 35 000 Menschen. In der Hauptstadt Whitehorse gibt es alles Wichtige, auch die wenigen Ampeln des Territoriums und etwa 25 000 Einwohner. Der Rest verteilt sich auf das riesige Gebiet, das im Norden an das Eismeer grenzt.

Doch nicht nur Ureinwohner und Einsiedler, Trapper und unermüdliche Goldsucher leben hier. Jedes Jahr ziehen neue Bewohner in den Yukon, einige in die Hauptstadt, viel mehr aber noch in die weite Landschaft nördlich, weit nördlich und sehr weit nördlich davon. Darunter: viele Deutsche. Individualisten, handfeste Typen, wie Manuela, Uta und Eveline.

Viel weiter geht es nicht nach Norden in Kanada

Letztere lebt nur ein paar Kilometer vom Polarkreis entfernt, in Eagle Plains. Hier ist Halbzeit für alle, die auf dem Dempster Highway von Dawson nach Inuvik wollen. Viel weiter geht es nicht nach Norden in Kanada, nur im Winter über die Ice Roads, auf denen man mit dem Auto bis nach Aklavik und Tuktoyaktuk fahren kann. Der Dempster hat nichts mit den breiten Autobahnen in Nordamerika gemein. Ein großer Teil der Straße besteht aus Schotter. Man fährt mittig - nur, wenn so etwa alle halbe Stunde mal ein anderes Auto oder ein Truck aus der Gegenrichtung kommt, lenkt man ein bisschen nach rechts rüber. Wer den Dempster fährt, sollte an jedem Fleckchen Zivilisation, anhalten und tanken. Man weiß ja nie. Denn entlang der Straße ist nichts. Gar nichts. Nur Elche, Karibus, Wölfe, Kojoten und Bären. Und Landschaft, viel Landschaft.

Eagle Plains ist eines dieser Fleckchen Zivilisation, und seit ein paar Jahren das Zuhause von Eveline. Der Ort ist Tankstelle und Werkstatt, Flugplatz, Hotel und Restaurant, Bar und Laden, ein Platz zum Ausspannen. Eveline schmeißt die Bar. Sie wirbelt hinter ihrem Tresen, versorgt alle in dem großen, mit Bärenfell und ausgestopften arktischen Tieren geschmückten Raum. Und sie ist genau da, wo sie immer hinwollte. "Ich bin angekommen", sagt die gebürtige Bayerin. Früher schon haben sie immer die Filme fasziniert, in denen die Outlaws dahin gingen, wo es kaum Zivilisation gab. "Das wollte ich auch."

Auch sie blieb und liebt das Leben mit all seinen Extremen

Sie raffte Mut und Geld zusammen, kaufte ein Ticket nach Kanada und ging mit einem nicht mehr ganz neuen Auto auf den Dempster. "Für mich ging ein Traum in Erfüllung." Doch der Traum nahm ein jähes Ende: "Das Auto verreckte." Eveline war gestrandet in Eagle Plains. Bei den sieben anderen, die dort wohnten. Wochen sollte es dauern, bis die Ersatzteile für ihr Auto kamen. "Also habe ich hier angefasst und mich an der Bar nützlich gemacht", erzählt die dunkelhaarige Frau, die auch im arktischen Winter eine Bluse ohne Ärmel trägt. Und auch sie blieb - und liebt das Leben mit all seinen Extremen, etwa 58 Grad minus.

Dawson, Stadt der Goldjäger

Diese Temperaturen ist auch Uta Reilly gewöhnt. Sie lebt schon seit 1978 in der alten Goldrausch-Stadt Dawson, "fast immer sehr gern", wie sie sagt. Mitte siebzig ist "die Uta" inzwischen, geboren im Schwarzwald, aufgewachsen in Freiburg. Im Haus der Eltern lebt ein kanadischer Soldat mit einem Kumpel - Uta und der Soldat verlieben sich, heiraten und gehen nach Kanada. Ihr Mann bekommt einen Job bei der Regierung - was in Kanada heißt, dass man nicht nur in Ottawa, Toronto oder Vancouver sitzen kann, sondern an entlegene Orte gehen muss, wenn man die Karriereleiter erklimmen will.

Der Yukon war es bei ihnen. Klar hatte sie Geschichten gehört über Dawson, das einst als Paris des Nordens galt und lange Jahre Hauptstadt des Territoriums war. In das 1896 Menschen aus allen Richtungen strömten, weil George Carmack, Skookum Jim und Dawson Charlie beim Abspülen ihrer Bratpfanne im Kiesbett des Bonanza Creek einen Goldbrocken fanden. Doch der Goldrausch ist lange her, heute leben in Dawson überschaubare 1700 Menschen.

"Wenn dich das Fieber einmal gepackt hat, kannst du nicht mehr ohne"

Uta besitzt den Klondike Nugget and Ivory Shop, einen Laden, in dem es Goldnuggets, Schmuck, Uhren und ganz viele Geschichten gibt. Und sobald es draußen kalt genug ist, heißen Apple Cider, gewürzten Apfelsaft, der die Kälte ganz schnell vergessen lässt. "Die Vorbesitzer hatten sich gewünscht, dass ich das Geschäft übernehme". Den Wunsch schlug Uta ihnen nicht aus - sie lebt gerne in der Gemeinschaft in Dawson. Und sie ist gespannt, ob man in den kommenden Jahren tatsächlich die Hauptader des Goldes, das man hier noch vermutet, findet.

Während Goldsucher im Yukon vom ganz großen Fund träumen, hat Manuela Albicker mit ihrem Traum noch nicht abgeschlossen: Sie will eines Tages beim Yukon Quest antreten. Denn bis heute gibt es für sie nichts Schöneres, als mit den Hunden unterwegs zu sein. "Es ist wie eine Sucht! Wenn dich das Fieber einmal gepackt hat, kannst du nicht mehr ohne." Allerdings ist ihr gerade etwas dazwischengekommen: Sie hat Muktuk übernommen.

Informationen: touryukon.de, canusa.de

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