Yoga in Indien:Das Lächeln des Biegsamen

In der nordindischen Stadt Varanasi hat sich die Lehre des Yoga zu einem einträglichen Geschäft entwickelt.

Annett Welsch

Sein Lächeln scheint nicht von dieser Welt. Die Beine zum Lotus verschränkt, sitzt Yogi Satchidananda auf einem Tigerfell. Das schulterlange Haar glänzt schwarz, fast ebenso dunkel ist die Haut. Weißer als weiß heben sich davon Hemd und Hose ab, die Augäpfel, die Zähne. Seine linke Hand liegt im Schoß, Daumen und Zeigefinger bilden einen Kreis - die Geste des Wissens.

Yoga-Guru

Yoga in Indien - Lächelnd und biegsam zur Erleuchtung.

(Foto: Foto: AP)

Unterricht im Yoga Training Centre, Varanasi, Nordindien. Diese Stadt ist nicht irgendeine, sie ist ein ganz besonderer Ort. Varanasi ist die heiligste Stadt der Hindus, mehr als 2500 Jahre alt und damit eine der ältesten der Welt. Es ist die Stadt Shivas - eine der drei Hauptgottheiten im Hinduismus.

In alter Zeit nannte man sie Kashi, die Stadt des Lichts. Hierher pilgern die gläubigen Hindus, um sich in den trüben Wassern des heiligen Ganges von ihren Sünden reinzuwaschen. Dazu kommen Schwärme von Reisenden aus der westlichen Welt, die nach spirituellen Erlebnissen hungern. Die Ausländer wollen meditieren, Mantras singen, Yoga lernen. Geschäftstüchtige Inder geben ihnen, wonach sie suchen.

In der Totenstellung

Die Schüler liegen am Boden und stimmen sich auf die Stunde ein. Arme und Beine sind locker ausgestreckt, die Augen geschlossen. Die Entspannungshaltung, auch Totenstellung genannt, von der manche sagen, sie sei die schwierigste Yogaübung überhaupt.

Drei Japaner sind an diesem Tag da, eine Schwedin, zwei Briten, zwei Deutsche. Junge Leute allesamt, die in Indien unterwegs sind für eine mehr oder weniger lange Zeit. Für manche ist es die erste Yogastunde - ein Erlebnis, das man hier nicht verpassen darf. Andere haben schon Erfahrungen und wollen sie im Ursprungsland des Yoga erweitern und vertiefen.

Yoga hat in Indien eine Jahrtausende alte Tradition. Das Sanskritwort lässt sich mit Joch oder Zügel übersetzen: Körper und Geist sollen angeschirrt, im Zaum gehalten werden. Der klassische Pfad umfasst die Regeln, nach denen ein Yogi zu leben hat: Nicht töten, nicht stehlen, wahrhaftig sein, äußere und innere Reinigung, Zufriedenheit, Studium.

Darauf bauen Asana und Pranayama auf, Körperhaltungen und Atemtechniken - die Elemente, mit denen die meisten westlichen Schüler in Kontakt kommen. Es folgen das Zurückziehen der Sinne, Konzentration und Meditation. Ziel des Weges ist Samadhi, die Erleuchtung.

Durch schlecht schließende Fensterläden dringen die Geräusche der abendlichen Altstadt, aus dem Inneren des Hauses ruft laut und ungeduldig eine Frauenstimme. Der Boden ist mit Matten ausgelegt. Von den weißgekalkten Steinwänden lächelt der blauhäutige Shiva, das Oberhaupt aller Yogis. Weich und wohlklingend hüllt Satchidanandas Stimme die Schüler ein und gibt ihnen den Rhythmus der Bewegungen vor: Einatmen, wenn der Körper sich nach oben streckt - zurückkommen und dabei ausatmen.

Ein Image zu verlieren

Satchidananda ist ein Mönchsname und bedeutet "höchste Glückseligkeit". Der Lehrer trägt ihn seit fünf Jahren, von seinem ursprünglichen Namen hat er sich getrennt. Seit drei Jahren unterrichtet er im Yoga Training Centre, zuvor schlief er am Gangesufer und lebte von Almosen, wie er gern erzählt.

Wer ihm zuhört, dem berichtet er von seinem mehrjährigen Pilgerweg im Himalaya, der ihn bis zu den Gangesquellen führte. Ansonsten hält er sich, was seine Vergangenheit betrifft, bedeckt. Satchidananda hat ein Image zu verlieren.

Das Yoga Training Centre befindet sich im obersten Stockwerk eines der Altstadthäuser Varanasis, in dem die Familie Sunil Kumars, des Chef-Yogis, auf engstem Raume lebt. Wer zum Unterricht kommt und über schmale Steintreppen nach oben steigt, trifft die Frauen und Kinder des Hauses beim Putzen, Waschen und Spielen.

Mancher Schüler begegnet dem freundlichen, schon etwas senilen Großvater, der im unteren Stockwerk wohnt - in einer Ecke des Raums, in dem Sunils Bruder Bablu die Reisenden im Tablaspielen unterrichtet.

Das Lächeln des Biegsamen

Die Schule ist mittlerweile etabliert, im Lonely Planet, der Bibel aller Individualreisenden, wird das Yoga Training Centre empfohlen. Die Händler und Hotelbesitzer in Varanasis Altstadt rühren die Werbetrommel. "Sunil Kumar ist der Beste", sagen sie. Vermutlich ist ihnen noch nicht aufgefallen, dass der Bauch des Lehrers Ausmaße angenommen hat, die ihm manche Asana unmöglich machen.

Erfolg macht bekanntermaßen träge, und so lässt Kumar, wenn ihm die rechte Lust fehlt, seine Stunden von Schülern übernehmen. Was ihn am meisten interessiert, ist die eigene Entspannung - manchmal schläft er im Unterricht einfach ein.

Kumar kann sich derartige Allüren leisten, weil das Geschäft im Yoga Training Centre gut läuft. Drei Yogis lehren hier in der Hauptsaison, geben Einzel- und Gruppenunterricht. Sie unterzeichnen Zertifikate über fünfzig Stunden, hundert Stunden. Dass solche Schreiben für ausreichende Summen auch verkauft werden, wird gemunkelt.

In den Straßen ringsum schießen andere Schulen aus dem Boden und sind meist ebenso schnell wieder verschwunden. Wer nach der passenden forscht, trifft auf zwielichtige Gestalten, die sich als Lehrer ausgeben, den Suchenden durch Gassen und Hinterhöfe in karge, mit Matten ausgelegte Wohnzimmer führen und am Abend den Touristen in den Straßen fragend das Wort Haschisch zuflüstern.

Frauenanteil bei 80 Prozent

In der westlichen Welt wird Yoga immer populärer. Schätzungen gehen von mehr als drei Millionen Deutschen aus, die schon Erfahrungen damit gesammelt haben. Eine Million davon übt regelmäßig und zielstrebig, achtzig Prozent der Praktizierenden sind weiblich. Nach einer Zeit des Lernens und Übens in der Heimat entscheiden sich viele, nach Indien zu reisen, um das echte und ursprüngliche Yoga zu erleben.

Doch das Authentische ist schwer zu finden. Denn die Nachfrage bestimmt Angebot und Preise, das hat sich auch in Indien herumgesprochen. Bunte Internetseiten locken ihre Kunden, versprechen Glück, Gesundheit und Erleuchtung. Vielerorts spürt man, dass es nur ums Geldverdienen geht.

Wie beim Militär

Die Weisen aber, die Rishis, findet man nicht in den Städten. Und nur sie können das wahre Yoga lehren. Das sagt Sanjeev, ebenfalls Lehrer im Yoga Training Centre, ein zierlicher Mann mit dem indientypischen Schnurrbart und einer straffen Lehrmethode - man merkt, dass er beim Militär gewesen ist.

Sanjeev ist ausgebildeter ayurvedischer Arzt. Seine Morgenstunden umfassen eine Reinigungsprozedur, die zu den Regeln yogischer Lebensführung gehört: mittels Erbrechen wird der Magen geleert; um die Nase zu reinigen ein Plastikstrick durch ein Nasenloch ein- und durch den Mund wieder ausgeführt. Das ist nicht nach jedermanns Geschmack, manche Schüler weigern sich beharrlich.

Yoga ist ein Weg der Selbstschulung, der den Schüler innerlich frei und äußerlich gelassen machen soll. Körperübungen und Atemschulung schaffen die Voraussetzungen für konzentriertes Denken und Handeln. "Wer Yoga praktiziert, übt die Kunst, täglich unabhängiger zu werden und mit sich selbst und allem in Harmonie zu leben", sagt der Physiologe Dietrich Ebert in einer Vorlesung, in der er Studenten erzählt, wie Yoga auf den Körper und darüber vermittelt auf die Psyche wirkt.

Das Lächeln des Biegsamen

Es macht den Körper dehnbar und geschmeidig, belebt Organfunktionen, beruhigt die Nerven und fördert einen entspannten Wachzustand. Ebert sagt auch, was Yoga nicht ist: Gymnastik, Akrobatik, Lebensaufgabenersatz.

Königin unter den Asanas

Wie ist das Verhältnis der Inder zum Yoga, dem Exportschlager ihrer Kultur? Die Auskünfte sind widersprüchlich. Amit, der Händler, sitzt im Schneidersitz in seinem Shop und lächelt über die naive Frage. Seiner Meinung nach praktiziert kaum jemand, es sei denn, um den Touristen zu geben, was sie suchen.

Andere beteuern, dass sie die alte Kunst regelmäßig pflegen, allerdings mehr mit dem Geist als körperlich. "Wenn ich gute Gedanken habe oder etwas Gutes tue, ist das Yoga", sagt einer, dessen Übergewicht keine Asana-Praxis vermuten lässt. Ein Student der Informatik sieht es pragmatischer: "In Indien nennen wir Aerobic Yoga."

Unbeweglich steht Michael im Kopfstand, der Königin unter den Asanas, die gegen jegliches Leiden helfen soll: von Rückenschmerzen bis zum Haarausfall. Die Hände sind fest am Hinterkopf verschränkt, wenn es sein muss, steht Michael eine halbe Stunde lang.

Er kommt aus Frankfurt, ist fortgeschritten und war schon mehrfach Schüler im Yoga Training Centre. Seit mehr als zwei Jahren lebt er in Indien, sein Körper ist geschmeidig wie der einer Schlange. Er sagt, dass er viel gelernt habe. Doch wenn man ihn nach Plänen für die Zukunft fragt, blicken die wasserblauen Augen seltsam traurig.

Faszinierend und abstoßend

Die Rückkehr in die Heimat scheint nicht leicht, denn dass er in seinem Beruf als Architekt wieder Arbeit finde, sei unwahrscheinlich. Hier kann er mit wenig überleben, also bleibt er, auch wenn er spürt, dass er sich nie wirklich heimisch fühlen wird. "Indien ist faszinierend und abstoßend zugleich", sagt er und fasst damit das ambivalente Gefühl vieler Reisender zusammen.

Später liegt die Gruppe auf dem Rücken, fährt mit Armen und Beinen Fahrrad und lacht dabei aus vollem Hals. Lach-Yoga soll helfen, Blockaden aufzubrechen, Spontaneität und Lebensfreude zu trainieren. Satchidanandas Gelächter dröhnt durch den Raum, scheint durch die halbe Stadt zu hallen. Die Schüler tun es ihm nach, doch ihr Lachen bleibt verhalten, will so recht spontan nicht klingen. So etwas ist man im Westen nicht gewohnt, und das Lachen des Lehrers ist eine Spur zu laut, um echt zu wirken.

Zum Abschluss der Stunde wird dreimal das Om gesungen, der Urlaut, aus dem nach indischer Philosophie das Universum entstanden ist. Voll und wohlklingend stimmt der Lehrer den Ton an, zögernd fallen die Schüler ein. Zuerst will die eigene Stimme nicht gehorchen, dann gewinnt sie mehr und mehr an Kraft und schließlich scheint das Om den ganzen Körper auszufüllen, darin nachzuhallen und zu vibrieren.

Satchidananda dankt den Schülern und lächelt sein überirdisches Lächeln. Was er ausstrahlt, ist das, wonach sich viele sehnen: Glück, Zufriedenheit, das Ruhen in sich selbst. Diese Aura ist fast zu stark, um wahr zu sein. Er muss erleuchtet sein - oder ein verteufelt guter Schauspieler.

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