Winterreisen:Schlag das Eis

Heathrow gesperrt, Altona vereist, Düsseldorf verspätet - aber Träume auf dem Christkindlmarkt: Erlebnisse von SZ-Reportern im Chaos der Gefühle.

Die Briten und der Schnee, das war schon immer eine schwierige Beziehung. Wenn Nahverkehrszüge stillstehen, weil sich ein paar Stäubchen Schnee auf den Gleisen abgelagert haben, lautet die offizielle Begründung gern: Es handele um "wrong snow", den falschen Schnee. Also um jene Sorte, der die Weichen blockiert. Und es fällt sehr oft der falsche Schnee, besonders in diesem Jahr.

Jetzt liegt er auf dem Flughafen Heathrow, zehn Zentimeter hoch - und das größte Luftfahrt-Drehkreuz Europas steht still. Die Rückreise von London nach München war für diesen Montag gebucht, aber London-Heathrow ist ein einziges Chaos. Ein Heer von gestrandeten Passagieren im Terminal. Koffer, Taschen, Decken überall. Und draußen zu viel falscher Schnee.

Menschen am Rande des Nervenzusammenbruchs, nicht einmal warme Getränke gibt es ausreichend, aber was erwartet man schon anderes in England. Der erste Fluchtgedanke: mit dem Zug nach Paris und vorn dort...

Aber auf diesen Gedanken sind schon andere gekommen. Der Preis für ein Ticket: 500 englische Pfund. Dann lieber mit die Fähre. Hook van Holland bietet die Route Harwich-Rotterdam an. Von London also hinaus nach Harwich mit dem Zug. Zeit genug, das Zugticket von Rotterdam nach München zu buchen. Doch verdammt, der Akku des Mobiltelefons ist gleich leer. War ja klar: Das Erholsamste am Reisen ist oft - die Zeit danach.

Jochen Temsch

Wunder der Technik

Über das Verhältnis von Mensch und Maschine ist schon viel nachgedacht worden. Feste Erkenntnis ist dabei, dass der Mensch nur glücklich ist, wenn komplizierte Technik mit einfacher Handhabung kombiniert ist. Wie das im Konkreten aussehen kann, zeigt sich am Samstagmorgen gegen halb neun Uhr auf dem Bahnhof Hamburg-Altona.

Der Nachtzug von München ist gerade angekommen und wartet auf eine Rangierlokomotive, denn vorne im Zug aus München stehen zwei Transportwaggons mit 17 Autos. Es kommt, wie es bei diesem Wetter kommen muss: Es ist keine Rangierlokomotive verfügbar, die den Zug zur Entladerampe umsetzen könnte. Immerhin, Diesel habe man genug, antwortet die Lademeisterin auf witzig gemeinte Fragen.

Nach 75 Minuten wird auf dem Nachbargleis der Transportwagen des Nachtzugs aus Wien an eine Rangierlok angekoppelt. Doch die Kupplungen der Bremsleitungen sind völlig vereist. Was tun?

Der Bahnarbeiter schlägt sie gegeneinander. Dann knallt er sie gegen das Chassis der Waggons, wieder und wieder. Erfolglos. Schließlich bearbeitet er sie mit seinem Funkgerät, was dem überraschenderweise nicht sehr gut bekommt. Am Ende die rettende Idee, basierend auf dem Gedanken der einfachen Handhabung für schwere Fälle.

Der Bahnarbeiter gräbt unter dem Schnee einen Schotterstein aus dem Gleisbett und haut den mit aller Gewalt auf die vereiste Bremsleitung. Was die davon hält, ist unbekannt. Macht nichts. Die Technik ist schließlich seelenlos.

Christopher Schrader

Ein Herz für Unpünktlichkeit

Ich bin Berufspendler und habe mit der Fluggesellschaft Air Berlin unausgesprochen eine Wette laufen. Sie lautet: Wenn es die Airline einmal schafft, am Freitagabend pünktlich von München nach Düsseldorf zu fliegen, spendiere ich der Besatzung eine Flasche Champagner. Ich werde diese Wette wohl nie einlösen müssen. Auch dieses Wochenende bestand keine Gefahr. Die Einstiegszeit verstreicht.

Wie üblich keine Auskunft darüber, warum nichts passiert. Auf die Idee, dass man die wartenden Passagiere um Verständnis für die Verzögerung bittet, kommt niemand. Endlich sitzt man im Flugzeug. Nach endlosem Warten meldet sich der Kapitän und sagt lapidar: viel Verkehr über München. Es wird heimelig. Das Kabinenlicht wird abgedunkelt. Ob man vielleicht ein Glas Wasser...?

Unmöglich, es könnte ja gleich eine Startfreigabe geben. Gefühlte 12 Stunden später sind wir in Düsseldorf. Die Maschine wird auf dem Vorfeld abgestellt. Immerhin: Ein Bus schafft es hier hinaus. Dafür ist die letzte S-Bahn weg. Immerhin: Wir haben das Schokoladenherz dabei, das jeder Passagier für die Unbill bekommen hat.

Hans-Jörg Heims

Schneegespräch

Wo aber Gefahr ist, sagt Hölderlin, wächst das Rettende auch, und wer es dem Schneechaos einmal richtig zeigen will, der geht auf den Christkindlmarkt. Was hilft gegen die "weiße Pracht", wie das Zeug in gleißnerischer Unterwürfigkeit gern genannt wird? Als hilfreich erweist sich der Stern, jedoch nicht der von Bethlehem, sondern der in Schmalz herausgebackene Zimtstern. Drei Leute stützen sich auf den Stehtisch und verzehren je einen Stern, dazu gibt's Glühwein.

Wärme und Nachdenklichkeit durchfluten sie. "Z' Malorka waar's iatz schee warm", sagt die jüngere der zwei Frauen. Die ältere nickt bedächtig, dann seufzt sie: "Mei, z' Malorka wia ma mia warn, da hat's am heiling Ohmd no fuchzehn Grad g'habt." Nun mischt der Mann sich ein: "Ko aber aa schneibn z' Malorka, wenn's bläd lafft." Die Jüngere wischt sich den Zucker von den Fingern. "Bläd laffa tuat's nur bei uns", sagt sie.

Sie überschlagen ihren Vorrat an Glühwein, dann geht der Mann und holt einen weiteren Zimtstern, einen für alle. Dafür darf er als erster abbeißen. Dann sagt er: "In Fuattewentura is an Weihnachtn aa net grob, da hat's ja im Dezember no locker zwanzg Grad." Das geht den zwei Frauen jetzt ein wenig gegen den Strich, und sie sagen fast gemeinsam: "Aber z' Malorka is billiger." Der Mann holt drei weitere Glühweine und lenkt ein: "Malorka oder Fuattewentura, dees is ghupft wia gsprunga, wichtig is: koa Schnee." Sie schweigen, trinken den Glühwein aus, wischen die Brösel vom Tisch und richten sich zum Gehen. Der Mann: "Is ja alles zua, kimmst ja nimma weg." Nach einer Pause: "Pack ma's?"

Hermann Unterstöger

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