Wildwasser:Schmugglerpfade im Tiroler Grand Canyon

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Nur eine Extremfahrt mit dem Kajak führte bisher durchs Wildwasser der Tiroler Ache. Nun gibt es einen ungefährlicheren Uferweg.

Karl Stankiewitz

(SZ vom 7.10.2001) - Wie Kulissen einer Wagner-Oper ragen die hellgrauen Felsplatten und -rippen an beiden Ufern aus dem perlenden Wasser. Vor Urzeiten waren sie von Naturgewalten zersägt und geschliffen worden. Heute bildet die Entenlochklamm ein wildromantisches Tor zwischen Bayern und Tirol - gewiss eine der schönsten Grenzscheiden im ganzen Alpenraum.

Bisher konnte die Tiroler Ache nur im Wildwasserkanu überwunden werden (Foto: N/A)

Zu sehen bekam dieses Naturwunder früher nur, wer mit dem Wildwasserkanu die acht Kilometer zwischen Kössen und Schleching auf der Ache hinunter paddelte oder wenn man sich die Mühe machte, vom straßennahen Wallfahrtskirchlein Klobenstein auf beschwerlichem Pfad abzusteigen zur Kiesbank am Entenloch. "Wildwanderer" indes stießen irgendwo an senkrechte Felswandsperren - wirksamer als Schlagbäume.

Gekentert und ertrunken

Seit langem gab es Bemühungen, das verborgene Fluss-Kleinod naturliebenden Menschen besser zugänglich zu machen. Der Bademeister Alfons Weingartner in Kössen beispielsweise ließ kleine Schlauchboote zu Wasser, die aber bald zerschlissen waren.

Dann schleuste ein Unternehmer aus Traunstein zeitweise Gäste in stabileren Bundeswehrbooten durch den deutsch- österreichischen "Grand Canyon".

Doch diese Art Flusstourismus war und ist nicht ganz ungefährlich; gekentert sind dabei schon viele und ertrunken einige. "Anfänger haben hier bei Hochwasser nichts verloren, denn dann wird die Schwimmtour zu einem Horrortrip mit langen Tauchstrecken," warnt Robert Steidle in seinem Buch über die schönsten Wildwasserstrecken der Alpen. Man dachte auch an die Überquerung der Ache mit einem Fährboot und sogar mit einem Lift.

Zwei Jahre lang verhandelte dann die Gemeinde Kössen mit fünf Tiroler Staatsbehörden. Und endlich marschierte eine Pionierkompanie aus St. Johann in den unwegsamen Bergwald westlich der Ache, schlug einen Serpentinenpfad hinunter und einen 31 Meter langen "Seilsteg" hinüber zum Klobenstein-Ufer.

Bald jedoch wurde der neue Steg von den Hochwassern der wilden Ache, die abwechselnd den Vornamen "Kössener" und "Tiroler" führt, wieder weggerissen. Eine stabilere, höher gelegene Hängebrücke musste gebaut werden.

Vom Schmugglerpfad zum Wanderweg

Gleichzeitig wurde der alte Schmugglerpfad zwischen den beiden Grenzorten zu einem gut gangbaren Wanderweg (anderthalb Stunden Gehzeit) ausgebaut und etwa auf halber Strecke mit dem Klobensteinbrücklein verbunden. Er bietet immer wieder faszinierende Ausblicke auf den Fluss mit seinen weiß gischtenden Schwällen und Strudeln und seiner Uferfassade von Felsriegeln und Kieselsteinstränden.

Der Untersberg, von dem Drachen und Paraglider schweben, schaut bisweilen durch den unberührten Nadelholzforst. "Die Imposanz und Attraktivität der Landschaft steht berühmteren Kajak- Revieren nicht viel nach." So der Adventure Club Kaiserwinkl, der einen Vergleich mit der Verdon-Schlucht in Frankreich zieht.

Der Club bietet in Kössen vierstündige Schnupperkurse und Tagestouren für Kanuten. Auf das Rafting hat sich ein Sportgeschäft im bayerischen Schleching spezialisiert. Wanderern entlang des Flusses bieten die Boote inmitten der Bergkulisse, zumal von der Hängebrücke aus gesehen, ein buntes Bild.

Die winzige Grenzhütte nahe des Abstiegs zur Brücke steht seit langem leer. Als Symbol diente sie vor einigen Jahren: Hier wurde der "Grenzenlos- Wanderweg" eröffnet, den 13 Gemeinden in Tirol und Bayern zwischen Kufstein und Bad Endorf mit EU-Hilfe gemeinsam trassiert und markiert haben - der Schmugglerweg ist ein Teil davon. Einige Touristiker hatten sich bei der Einweihungs-Zeremonie alte Zöllner- und Grenzeruniformen angezogen.

Ein Stück weiter tauchen der grünlich schillernde Rudersburger See auf und der Geigelstein (1808 Meter), der zweithöchste Berg der Chiemgauer Alpen, deren südlicher Saum ins Tirolische hinein reicht. Lang und letztlich erfolgreich haben Naturschützer um diesen "Blumenberg" gerungen, zur Zeit streiten sie noch wegen des geplanten Ausbaus eines Almweges.

Als Rückweg nach Kössen empfiehlt sich das andere Hochufer der Ache. Auch hier haben die Nachbarorte zusammengearbeitet: Vor kurzem wurde der ehemalige Samerweg, auf dem einst Tragpferde Waren über die Grenze geschleppt hatten, als grenzüberschreitender Wanderweg ausgebaut.

Am Grenzkontrollpunkt

Die sehenswerte Streichenkapelle, deren gotische Wandmalereien ein Geistlicher Rat in elfjähriger Arbeit freigelegt hat, ist der eigentliche Ausgangspunkt. Eine Burg hatte hier oben einmal die Grenze kontrolliert.

Über die Bäckeralm steigt man ab zum 617 Meter hohen Klobensteinpass. Die 300 Meter auf der Passstraße zurück zum Wallfahrts- und Wirtshaus-Idyll lohnen. 1696 hatte ein Einsiedler unterhalb einer noch älteren Kapelle eine Klause errichtet. 1707 entstand obendrein die "Loretto-Capelln". 1809, im Napoleon-Krieg, kam ein königlich-bayerischer Kommissär daher und - so die Chronik - "bestampfte mit seinem Fuß die Grenze".

Die beiden Kirchlein sind mit Votivtafeln der Wallfahrer seit 1742 und mit anderen Zeugnissen der Volksfrömmigkeit ausgestattet. Eine Quelle in der Nähe soll heilkräftig sein.

Die größte Sehenswürdigkeit aber ist der "geklobene Stein", durch den sich ein Mensch gerade noch zwängen kann. Nach der Legende war hier ein altes Weiblein unterwegs, als sich vom Achberg plötzlich ein Fels löste. Die Frau, heißt es, habe die Gottesmutter angerufen, und der riesige Stein sei direkt vor ihr zersprungen.

Muren und Felsstürze gab es noch 1952. Und am 11. November 1996 wurde die historische Taverne, die ein schrulliger Wirt lange vor der Grenzöffnung zur völkerverbindenden Begegnungsstätte gemacht hatte, durch einen Großbrand zerstört; die 73-jährige Pächterin konnte sich in letzter Minute retten. Aus Spenden von Gästen und Freunden des Klobensteins konnte das hundertjährige Haus wieder aufgebaut werden: schlicht und urig wie vorher, mit Weinschenke im Freien und Kerzen am Abend, denn Strom gibt es nicht. Tief unten hört man den Wildfluss rauschen.

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