Wiederaufgebaute Alm:Auferstanden aus Lawinen

Plötzlich rollten die weißen Massen heran: Vor zwei Jahren wurde die Rotmoosalm bei Garmisch von einer Lawine zerstört. Nun steht ein Neubau, an anderer Stelle, ein Kleinod in den Alpen - Besuch an einem Ort, wo Gemütlichkeit wichtiger ist als Gigantismus.

Christian Rauch

Dieser Text ist erschienen am 4. August 2011.

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Kleine Hütte, großes Panorama: Der Blick reicht vom Felsmassiv der Hohen Munde bis zum Alpenhauptkamm.

(Foto: Christian Rauch)

Ein geschäftstüchtiger Bauherr hätte auf dem Schönberg wohl ein Berghotel oder wenigstens eine große, mondäne Hütte errichtet. Auf mehr als 2000 Metern Höhe, wo sich die Südwände des Wettersteingebirges mit einem letzten grasigen Eck tief in das Tiroler Gaistal absenken, liegt der perfekte Platz für Sonnenanbeter und Freunde großer Panoramen: Die senkrechten Felspfeiler der Wettersteingipfel im Rücken, die massige Hohe Munde und die grünen Talauen von Leutasch und Seefeld vor Augen, im Hintergrund die firnglänzenden Zentralalpen. Doch als Gabi und Sigmund Neuner und mit ihnen die Leutascher Agrargemeinschaft die Erlaubnis bekamen, auf dem Schönberg eine Hütte zu errichten, hatten sie nur eines im Sinn: Einen Nachfolger für ihre alte Rotmoosalm zu bauen.

Der schindelgedeckte Steinbau war im Februar 2009 von einem gewaltigen Schneebrett in einen Trümmerhaufen verwandelt worden. "Als wir eine Woche später mit den Tourenski hinauf sind und die Überreste unter dem Schnee inspiziert haben, waren wir geschockt", erzählt Gabi Neuner. "Doch dann sahen wir, dass wie durch ein Wunder eine Rückwand stehengeblieben war."

An ihr hingen noch einige Bilder, ausgestopfte Tiere und Geweihe, die jahrzehntelang die Stube geschmückt hatten. Seit 2011 hängen die Bilder und Jagdtrophäen in der Gaststube der neuen Hütte, die nach eineinhalb Jahren Bauzeit etwas weiter oberhalb auf 2030 Meter an einem lawinensicheren Platz entstand.

"Ein Neubau an der alten Stelle hätte ausgesehen wie eine Liftstation, weil wir Stahlbeton und eine Lawinen-Schutzmauer hätten einbauen müssen", sagt Sigmund Neuner. So aber bettet sich die neue Alm unweit der österreichisch-deutschen Landesgrenze als massiver, zweistöckiger Holzbau mit verziertem Balkon und Dachfirst in die Hochgebirgslandschaft ein.

Mit den großen Berggasthäusern anderer Gegenden kann und will sich die neue Hütte nicht messen. "Etwas mehr Platz und Komfort als in der alten Hütte wollten wir schon. Aber nicht viel mehr", sagt Gabi Neuner. Die Rotmoos ist eine Almhütte und soll eine bleiben. "Schließlich kümmern wir uns hier oben auch noch immer um mehr als 200 Kühe."

Zur Tradition kam - fein dosiert - der technische Fortschritt

Die Tiere sind im Besitz der Leutascher Agrargemeinschaft. Sie werden im Juli traditionell auf die Hochweiden am Schönberg getrieben, wie schon vor vielen Jahrzehnten, als die Rotmoosalm vor allem eine Hirtenhütte und noch keine Bleibe für Touristen war. "Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es zwar Milch und ein paar Heulager für unerschrockene Bergsteiger, mehr aber nicht", erzählt Sigmund Neuner. Das änderte sich mit der Konjunktur des Wandertourismus, und als die Neuners 1993 die Rotmoosalm übernahmen, war aus Heu- längst Matratzenlager geworden und aus der Almhütte eine kleine, beliebte Jausenstation. Dass die Speisenkarten kurz und deftig, die Räume klein und gemütlich geblieben waren - gerade das liebten die Stammgäste und naturverbundene Wanderer.

Diese Qualitäten werden sie in der neuen Hütte wiederentdecken. Auch die bewährte Brettljause mit dem selbstgemachten Graukäse bleibt im Angebot, das Matratzenlager mit nur 14 Plätzen übersichtlich. Doch zur Tradition kam - fein dosiert - der technische Fortschritt. Mehrere Quadratmeter große Solarzellen ducken sich ein wenig unterhalb der Hütte hinter einen Felsen. Die Energiewende ist auch im Hochgebirge angekommen.

Ein Ökofreak ist Sigmund Neuner nicht, eher ein Pragmatiker. Wer schon rund 20 Sommer auf dem Berg gelebt und gearbeitet hat, nimmt sinnvolle Lösungen jedoch gerne an. "Hier oben, wo an heiteren Tagen von früh bis spät die Sonne scheint, wär's doch unsinnig, Diesel zu verheizen." Und so dient das Dieselaggregat im Lagerraum nur mehr zur Notstromversorgung. Das Wasser wiederum stammt aus einer lokalen Quelle. Da diese unterhalb des Schönbergs nahe der alten Hütte mitten im Fels liegt, wurde ein hydraulischer Widder installiert, der den Druck der Quelle nutzt, um das Wasser ohne weitere Energiezufuhr zur Hütte zu pumpen.

Vielfältige Rundtour

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(Foto: SZ-Grafik)

Ein wenig nachgeholfen haben die Leutascher auch bei dem uralten und fast verfallenen Jagdsteig, der über das Schäferhüttl zur neuen Rotmoosalm führt: Holzbohlen helfen nun an nassen oder abschüssigen Stellen, an Felsblöcken und Baumstümpfen kleben dezente rot-weiß-rote Markierungen. Diese leiten durch eine bizarre Landschaft aus Sturzbächen, steilen Grasflanken und Latschen zur Hütte.

In Kombination mit dem Abstiegsweg über die knieschonende Almstraße bietet ein Besuch der Rotmoosalm eine vielfältige Rundtour. Wer in noch höhere Gefilde will, kann sich an Gipfeln wie Predigtstein (2234 m) und Gehrenspitze (2367 m) versuchen - ein klein wenig Felserfahrung vorausgesetzt. Zur Belohnung verbreitert sich das Panorama im Wortsinne schrittweise. Vom Predigtstein aus eröffnet sich sogar ein Blick auf das Zugspitzplatt mit Deutschlands höchstem Berg im Nordwesten.

Wer allerdings sanfte Bergwiesen bevorzugt, der kann eine Tour auf die Rotmoosalm mit den niedriger gelegenen Almen des Leutascher Gaistals verknüpfen. An der Hämmermoosalm kommt man ohnehin vorbei, und ein Abstecher taleinwärts führt zu Gaistal- und Tillfussalm. Vor hundert Jahren residierte dort der Schriftsteller Ludwig Ganghofer in seinem "Jagdhaus Hubertus".

Viele Künstlerfreunde wie Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal besuchten ihn dort. Kamen zu viele Gäste, dichtete der Hausherr: "Wenn jetzt no a Freund kommt, wohin tuan mir den glei, i woaß nur an Ort und der is nit frei." Ähnliches kann auch auf der Rotmoosalm passieren. Dort, wo Gemütlichkeit wichtiger ist als Gigantismus.

Informationen:

Anreise: Mit dem Auto über Garmisch und Leutasch ins Gaistal, Parkplatz "Salzboden"

Unterkunft: Rotmoosalm (2030 m), Tel.: 0043/664/4226149, Matratzenlager, Preis auf Anfrage. Geöffnet bis Mitte Oktober.

Aufstieg: In etwa zweieinhalb Stunden über die Hämmermoosalm und den rot-weiß-rot markierten Steig zur Hütte.

Gipfelziele: Predigtstein (1 Std. ab Hütte), Gehrenspitze (2 Std. ab Hütte).

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