West-Virginia:Wo rosa Schweinchen vom Himmel fallen

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Wer nach West-Virginia, dem vielbesungene Land der "Country Roads" kommt, der sucht Natur und Abgeschiedenheit. Doch am "Bridge Day" ist die Ruhe dahin.

Einmal im Jahr ist ganz West Virginia im Ausnahmezustand. Der vom Appalachen-Gebirge geprägte US-Bundesstaat ist zwar nicht gerade für sein wildes Partyleben oder für berühmte Museen bekannt.

Denn West Virginia ist eher eine herbe Schönheit voll unberührter Natur mit Wäldern, Flüssen, Golfplätzen und Bergen. Am dritten Samstag im Oktober aber steppt in West Virginia der Bär, dann feiert der Bundesstaat den "Bridge Day".

In diesem Jahr wird es am 18. Oktober dazu kommen, dass sich Hunderte "Basejumper" an der Brücke über der Schlucht des New River versammeln, um sich per Fallschirm fast 300 Meter in die Tiefe zu stürzen.

Einige Sekunden im freien Fall - dann ziehen sie die Reißleine und schweben einem Punkt am Ufer entgegen. Dort raffen die meisten alles zusammen und eilen wieder auf die Brücke. Denn ihr Ziel ist es, von 9.00 und 15.00 Uhr so oft wie möglich zu springen.

Miles Daisher ist einer der Springer und dazu sogar aus dem fernen Bundesstaat Idaho angereist. "Ich will sehen, was geht - wo meine Grenzen sind", sagt er. Auch Heather Loughlin, die aus Vermont in Neuengland hierhergekommen ist, ist ganz euphorisch: "Es ging hoch und runter, ich habe die Wolken geküsst. Es war traumhaft, perfekt."

Doch nicht alle "Basejumper" sind darauf aus, bis zu 20 Mal zu springen. Larry Lemaster aus dem Staat Ohio hat ein anderes Ziel: "Wir verkleiden uns und wir haben einfach nur Spaß." Lemasters Aufzug ist vielleicht nicht der windschnittigste, aber er fällt auf: Der nicht mehr ganz junge Mann fällt als rosa Schweinchen von der Brücke.

Im vergangenen Jahr traten insgesamt 377 Männer und Frauen auf der Brücke an, 876 Sprünge zählten die Veranstalter. Beobachtet wurden die Mutigen von mehr als 150 000 Besuchern, die jeden mit dem Satz "Three, two, one, see ya!" anfeuerten. Damit gilt der "Bridge Day" als eine der größten Veranstaltungen für Extremsportler weltweit.

Und idyllisch ist das Ganze noch dazu: "Im Oktober ist der Staat besonders schön. Die Blätter färben sich, aber das Wetter ist noch schön warm", sagt Gayle Manchin, die Frau von West Virginias Gouverneur. Das Naturschauspiel ist in dem Bergstaat, der zu 75 Prozent bewaldet ist, sehr eindrucksvoll. In Gelb, Orange und Rot leuchten die Bäume von Ende September bis Ende Oktober.

"Der Wald und die Berge sind wohl auch das, von dem die Menschen gehört haben, die noch nie in West Virginia waren", sagt die First Lady. Dafür habe schon John Denver mit seinem Song "Take me home, Country Roads" gesorgt, in dem er von den einsamen Straßen singt, den Blue Ridge Mountains und dem Shenandoah-Fluss, der sich durch den Staat schlängelt. "Und das alles, ohne dass er vorher mal hier war."

West Virginia ist ein Staat für Leute, die viel vorhaben - die wandern wollen, golfen oder fischen. Auch der Fluss, über dem sich die Brücke der Fallschirmspringer erstreckt, zieht viele Abenteurer an.

Auf einer der schönsten Strecken über den New River müssen Rafter auf 23 Kilometern ein Gefälle von fast 100 Metern überwinden - und rauschen dabei auch durch eine 300 Meter tiefe Sandstein-Schlucht, die die Einheimischen den "Grand Canyon der Ostküste" nennen.

Auch an Geschichte gibt es einiges zu entdecken: "West Virginia ist der einzige Staat, der während des amerikanischen Bürgerkriegs gegründet wurde", sagt Gayle Manchin. Bis 1862 war West Virginia ein Teil des im Osten angrenzenden Staates Virginia. Doch die Bevölkerung im westlichen Teil fühlte sich benachteiligt.

Das Streben nach einer eigenen Verwaltung wuchs - nicht zuletzt, weil die westlichen Virginians gegen die Abtrennung der Konföderierten Staaten von der Union kämpften. West Virginia wurde schließlich ein eigener Staat - und schlägt sich noch heute mit den Geistern des alten Südens herum.

Hausgeister in Lewisburg

Es spukt hier, vor allem im Örtchen Lewisburg. Mehrere Privathäuser und Hotels haben dort ihre "Hausgeister" - ein kleines Mädchen im weißen Nachthemd etwa, das verschiedene Gäste im "General Lewis Inn" schon weinend auf ihrer Bettkante gefunden haben wollen. In einem anderen Haus schluchzt nachts der Geist eines jungen Südstaatenmädchens, das sich einst umgebracht hat, weil Familie und Politik ihre Liebe zu einem Yankee aus dem Norden nicht zuließen.

Schaurig, schön und geheimnisvoll sind auch die unterirdischen Schätze des Staates: Gut 1500 Höhlen gibt es an seiner Ostgrenze. Die "Lost World Caverns" etwa zeigen 40 Meter unter der Erde den "Snowy Chandelier": einen schneeweißen, 30 Tonnen schweren Stalaktiten, der über die Jahrhunderte die Form eines Kronleuchters angenommen hat.

Der fast zehn Meter hohe "War Club", ein Stalagmit, kam dagegen zu Berühmtheit, als ein Mann namens Bob Addis fast 16 Tage lang auf ihm saß. Weder er noch die Steinformation kamen zu Schaden, und Addis findet sich seitdem im "Guinness-Buch der Rekorde" wieder.

Weitere Informationen: West Virginia Office of Tourism, c/o Kaus Media, Luisenstraße 4, 30159 Hannover, Telefon: 0511/899 89 00

© Verena Wolff - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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