Weihnachtseinkäufe:Schöne Bescherung

Weihnachten nur im Winter? Eigentlich schade! In ein paar Städten ist das ganze Jahr Heiligabend.

Georg Etscheit

Im Herbst beginnt für nicht wenige Menschen eine Zeit der Leiden: Weihnachten kündigt sich an, das Fest der Liebe und Besinnlichkeit.

Christbaumkugel aus dem Weihnachtsdorf, ddp

Christbaumkugel aus dem Weihnachtsdorf in Rothenburg ob der Tauber

(Foto: Foto: ddp)

Spätestens im September liegen Lebkuchen und Printen in den Supermarktregalen, Anfang November gesellen sich Schoko-Nikoläuse hinzu, und pünktlich zur Adventszeit sind die Fußgängerzonen mit Bretterbuden vollgerammelt, in denen allerlei Plunder aus Fernost feilgeboten wird.

Untermalt von süßlicher Chormusik, wabert der Geruch von gebrannten Mandeln und Glühwein durch die Straßen. Neuerdings werden sogar ganze Hochhäuser zu weithin sichtbaren, zyklopischen Adventskalendern oder Weihnachtsbäumen umgestaltet. Niemand soll dem Fest entgehen können.

Mit der deutschen Weihnacht ist es wie mit dem Kölner Karneval: Wer nicht mitmachen will, muss außer Landes gehen. Weihnachtsmuffel buchen deshalb schon im Sommer eine Fernreise - am besten in Staaten wie China, Birma oder Nordkorea, wo noch Christen verfolgt werden.

Harald Wohlfahrt ist kein Weihnachtsmuffel. Er ist das Gegenteil davon. Selbst auf mehrmalige Nachfrage ist ihm kein negatives Wort über das Hochfest der spätkapitalistischen Konsumgesellschaft zu entlocken.

Ein veritables Weihnachtsimperium

Das wäre auch ziemlich überraschend. Denn der Geschäftsmann mit schütterem Haupthaar, Schnauzer, dezenter Brille und einer durchaus nicht aufgesetzt wirkenden adventlichen Heiterkeit ist Inhaber eines veritablen Weihnachtsimperiums, eines weltumspannenden Netzes von ganzjährig geöffneten Weihnachtsfachgeschäften.

In den wichtigsten deutschen Zentren des Massentourismus wie Heidelberg, Rüdesheim, Garmisch-Partenkirchen, Oberammergau und Nürnberg hat der 52-jährige Unternehmer Geschäfte eröffnet, außerdem im elsässischen Riquewihr und im belgischen Brügge. Feste Niederlassungen gibt es auch in Japan und den USA.

Benannt ist die Firma nach Käthe Wohlfahrt, der Mutter des heutigen Inhabers, die nach dem Krieg auf US-Militärbasen erzgebirgische Weihnachtsvolkskunst verkaufte. Ob draußen Hitze brütet oder Kälte klirrt - bei Käthe Wohlfahrt bekommen Weihnachtsfans immer, was das Herz zu begehren meint: Glaskugeln und Baumanhänger in allen Farben und Variationen, Weihnachtspyramiden, Räuchermännchen, Nussknacker, Schwibbögen und Spieldosen aus dem Erzgebirge, Weihnachtsmänner, Engel in dutzenderlei Gestalt, Krippen, Kerzenhalter und Zubehör von der Lichterkette bis zum original Bleilametta.

Nebst einem kleineren Sortiment eher zeitloser Hervorbringungen der heimischen Souvenirindustrie: Kuckucksuhren, Hummelfiguren, Künstlerpuppen, Teddybären und Mozartkugeln. Heinrich Bölls skurrile, aber auch ein wenig gruselige Geschichte vom immerwährenden Weihnachtsfest, hier hat sie Gestalt angenommen.

Schöne Bescherung

Am Stammsitz der Firma, in Rothenburg ob der Tauber, hat Wohlfahrt, nach eigenen Angaben ein Pionier des ,,Erlebniseinkaufs'', in einem entkernten mittelalterlichen Häuserkomplex ein ,,Weihnachtsdorf'' aufgebaut.

Weihnachtseinkäufe: Seit 25 Jahren gibt es das Weihnachtsdorf.

Seit 25 Jahren gibt es das Weihnachtsdorf.

(Foto: Foto: ddp)

Reduit der Heimeligkeit

Über dem 1000 Quadratmeter großen Verkaufsraum, der einer fränkischen Fachidylle nachempfunden ist, wölbt sich ein künstlicher Sternenhimmel. Hier türmen sich mehr als 30000 verschiedene Weihnachtsartikel. Das Touristenmekka Rothenburg ist selbst so etwas wie ein überdimensionales Weihnachtsdorf aus dem Faller-Modellbauprospekt. Ein Reduit der Heimeligkeit.

Manchmal ist man versucht, hinter die pittoresken Fachwerkhäuser zu spitzen, ob da nicht Strebebalken irgendwelche Sperrholzfassaden in der Senkrechten halten. Und werden die Menschen in den verwinkelten Altstadtgassen nicht vielleicht von einem verborgenen Mechanismus angetrieben? Wie die zur Weihnachtszeit auch bei Wohlfahrt aufgebauten, von mechanisch animierten Plüschtieren bevölkerten Märchenlandschaften der Firma Steiff.

Wohlfahrt stilisiert sich gerne zum Hüter der deutschen Weihnacht und zu ihrem wichtigsten Botschafter. ,,Wir bewahren die Tradition und sind selbst auch schon ein wenig ein Teil von ihr'', sagt Wohlfahrt und lächelt sein Adventslächeln.

Deutsche Weihnacht, das ist für ihn das wunderweiße Lichterfest, das Kinder- und Familienfest. An Weihnachten solle man innehalten, sinniert Wohlfahrt, zur Ruhe kommen und sich auf sich selbst und den Nächsten besinnen.

Das ,,Bekenntnis zur Tradition der deutschen Weihnacht'' ist auch in der offiziellen Firmenphilosophie festgeschrieben. ,,Wir möchten dazu beitragen, dass die Weihnachtserinnerungen unserer Kindheit, die wir als Kinder im Haus unserer Eltern liebgewonnen haben und die Besinnlichkeit des Weihnachtsfestes erhalten bleiben'', heißt es in einer Handreichung für die Presse.

Es ist ein biedermeierliches Bild, für das Wohlfahrt die Deutungshoheit beansprucht. ,,Der Baum muss glänzen, glitzern, funkeln, blenden, dass einem die Augen übergehen'', schrieb das 1853 gegründete Familienblatt ,,Die Gartenlaube''. Das Zitat ist im firmeneigenen Weihnachtsmuseum auf einer Texttafel zu lesen.

Deutsche Weihnacht war Schaufenster des neuen Wohlstandes der Gründerzeit, familiäres Bollwerk gegenüber dem Staat, aber auch Gegenwelt zu den Unbilden der Industrialisierung.

Schöne Bescherung

Weihnachtseinkäufe: Weihnachtsfans kommen zum Einkauf sogar über den Atlantik geflogen.

Weihnachtsfans kommen zum Einkauf sogar über den Atlantik geflogen.

(Foto: Foto: ddp)

Paradoxerweise florierte die Weihnachtsindustrie vor allem in armen Regionen wie dem Erzgebirge oder dem Vogtland - wo auch Wohlfahrts Familie ihren Ursprung hat. Dort verdienten sich Bergleute nach Feierabend in Heimarbeit im kümmerlichen Schein von Kienspänen mit dem Schnitzen von Weihnachtsschmuck ein kärgliches Zubrot. Und im Thüringer Wald, ehemals ein Zentrum der Glasindustrie, gossen die Arbeiter Christbaumkugeln mit giftigem Blei aus, auf dass sie in den ,,guten Stuben'' der Bürger schön glitzerten.

Über all dies wird in Wohlfahrts - durchaus sehenswertem - Weihnachtsmuseum nicht wirklich aufgeklärt. Auch die Tatsache, dass die traute deutsche Weihnacht bestens mit Judenmord und Vernichtungskrieg zusammenging, wird eher schamhaft gestreift.

Drei ,,Julkugeln'' aus dem Dritten Reich mit germanischen Motiven und ein zusammenklappbarer Mini-Feldpostbaum für den friedlichen Heiligabend im Schützengraben müssen reichen, obwohl im Giftschrank des Magazins auch Nazi-Zeug lagert. ,,Wir wollen den Menschen, die hier oft ihre Kindheit wiederentdecken, das schöne Gefühl nicht verderben'', sagt Museumsleiterin Felicitas Höptner.

In der Vorweihnachtszeit steht Harald Wohlfahrt unter Strom wie ein elektrisch beleuchteter Weihnachtsbaum. Jetzt brummt der Laden, was nicht heißen soll, dass zu anderen Jahreszeiten tote Hose wäre.

Eigens zum Adventseinkauf herangejettet

Im Advent bestückt sein Unternehmen 54 Weihnachtsmärkte in Deutschland, Italien, der Schweiz, den USA und Japan mit seinen ,,begehbaren Verkaufsstellen''.

Auch im Rothenburger Stammhaus herrscht Hochsaison. ,,Die Amerikaner und Japaner kommen vor allem im Sommer'', sagt Wohlfahrt. ,,Vor Weihnachten haben wir aber 80 Prozent deutsche Kunden.''

An den Adventswochenenden ist der Andrang so groß, dass Wohlfahrt Eintritt verlangt, um Leute abzuschrecken, die nur schauen wollen. In Endloskolonnen schieben sich die turnbeschuhten Menschenmassen durch die glitzernden Gassen des Wohlfahrtschen Weihnachtswunders. An diesem Tag hat sich eine Reisegruppe aus Texas angesagt, die eigens zum weihnachtlichen Einkauf über den Atlantik gejettet ist.

Schöne Bescherung

Weihnachtseinkäufe: Krippen in allen Formen und Größen - nur ein Artikel im Sortiment

Krippen in allen Formen und Größen - nur ein Artikel im Sortiment

(Foto: Foto: ddp)

Blickfang des Weihnachtsdorfes, heuer seit 25 Jahren in Dauerbetrieb, ist ein fünf Meter hoher, weißer Plastiktannenbaum, der mit unzähligen rosafarbenen Weihnachtskugeln - Pink ist der aktuelle Trend - und Elektrobirnchen bestückt ist und sich immerfort um die eigene Achse dreht.

Deutsche Weihnacht? Das überladene Monstrum könnte auch im New Yorker Rockefeller Center stehen oder in Hongkong. Wenn man unvorsichtigerweise das Wort ,,Kitsch'' in den Mund nimmt, verdüstert sich Wohlfahrts Miene.

Die Abstimmung mit den Füßen hat der Unternehmer wohl für sich entschieden. Von den rund 1,5 bis zwei Millionen Tagesgästen, die Rothenburg jedes Jahr heimsuchen, dürfte die Mehrzahl auch bei Käthe Wohlfahrt vorbeischauen.

Von einer Empore aus können die Menschen die Wohlfahrtsche Weihnachtsapotheose in Cinemascope bewundern. In allen Zungen der Welt hört man Rufe des Entzückens: ,,Lovely'', ,,phantastisch'', ,,très joli''.

Der Rothenburger Weihnachtsunternehmer pocht nicht nur auf Tradition, sondern auch auf deutsche Markenqualität. Von dem Weihnachtsramsch aus Fernost in manchen Baumärkten und Gartencentern distanziert er sich nachdrücklich, gegen Plagiate der teuren Eigenkreationen aus der limitierten Edition ,,Kindertraum'' zieht er gerichtlich zu Felde.

Produkte aus Asien

Allerdings sieht man auch in Wohlfahrts Regalen mancherlei Nippes, der verdächtig billig und auf Massengeschmack getrimmt ist. ,,Die haben natürlich auch Sachen aus Asien'', meint eine Konkurrentin aus einem Souvenirladen in der Nachbarschaft. Bei ihr gibt es ein kleines Räuchermännchen aus Fernost für 3,80 Euro. Die Version mit Echtheitszertifikat aus dem Erzgebirge kostet das Vierfache.

Gar keinen Spaß versteht Wohlfahrt, wenn die Rede auf die aktuelle Misere um den Weihnachtsmann kommt. Wohlfahrt hasst den ewig lustigen und jovialen Santa Claus aus der Coca-Cola-Werbung, der mittlerweile überall die Hauswände emporkrabbelt oder als monsterhafter Luftballon in den Vorgärten steht.

Erstens komme der Weihnachtsmann gar nicht aus den USA, sondern sei eine urdeutsche Schöpfung. Und zweitens sei der deutsche Weihnachtsmann eher grimmig und in sich gekehrt. ,,Wir brauchen in der Gesellschaft ja auch einen, der uns zum Nachdenken anregt'', sagt Wohlfahrt. ,,Dieses Nur-Lustige spiegelt doch die Wirklichkeit nicht wider.''

Selbst in Wohlfahrts Weihnachtsparadies sieht man freilich nur freundlich lächelnde Weihnachtsmänner. ,,So einen grimmigen Weihnachtsmann'', sagt Harald Wohlfahrt, ,,den kauft doch keiner.''

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