Kreuzfahrt-Glossar:Ahoi, Bordguthaben!

Illu

Illustrationen: Alper Özer

Kreuzfahrtschiffe sind ein ganz eigener Kosmos mit seltsamen Ritualen: ein Glossar von A bis Z über das Reisen auf See.

Von Ingrid Brunner, Stefan Fischer, Hans Gasser und Jochen Temsch

Ahoi, das: Ruf zur Kontaktaufnahme oder Warnung unter Seeleuten. Regional auch bei Karnevalsumzügen gebräuchlich. In bunter Pulverform ein beliebtes Mittel zur Herstellung von Limonade, wird von Kindern auch aus der hohlen Hand geleckt.

Bordguthaben, das: maritime Fantasiewährung. Dient zum Begleichen spezieller Leistungen wie Champagner an der Bar, bestimmter Spirituosen oder einem > Landgang. Wird nicht im Geldbeutel sichtbar, lässt sich deshalb besonders leicht ausgeben. Führt dementsprechend teils zu hitzigen Diskussionen bei der Endabrechnung.

Beaufortskala, die: klassifiziert die Windgeschwindigkeit zwischen Windstille (null) und Orkan (12). Benannt nach dem britischen Admiral Sir Francis Beaufort (1774 bis 1857), der als Hydrograf der englischen Krone besonders genaue Seekarten angefertigt hat. Windstärken jenseits von 6 sind an Bord eher unerwünscht, denn dann droht > Seekrankheit.

Captain's Dinner, das: versöhnliches Finale einer jeden Episode der deutschen Fernsehserie >Traumschiff. Findet im Bordrestaurant statt. Stets angekündigt von gedimmtem Licht, dem Abspielen des "Dinner-Marsches" von James Last sowie rhythmisch dazu klatschenden Passagieren, während das Servicepersonal Eisbomben heranträgt. Galt im richtigen Leben zu Zeiten, als man noch Frack und Abendkleid (> Dresscode) auf Kreuzfahrtschiffen trug, als Höhepunkt einer jeden Reise.

Dresscode, der: Bekleidungsempfehlung des Kreuzfahrtdirektors, veröffentlicht in der täglich erscheinenden Bordzeitung. Zu bestimmten Anlässen auf manchen Schiffen erwünscht. Entgegen der Einstellung mancher Urlauber gehören Flipflops und Bikinis selten dazu, dafür Schuhe aus Leder und das Bein bedeckende Bekleidung.

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Etmal, das: die Strecke, die ein Schiff von Mittag bis zum nächsten Mittag zurücklegt. Wird auf einigen Schiffen, etwa denen der Reederei Cunard, noch täglich mit dem Läuten der Schiffsglocke und dem Verlesen durch den Kapitän zelebriert. Wird von Kreuzfahrt-Anfängern teils für den Ruf zum Mittagstisch gehalten.

Flagge, die: bezeichnet das Land, in dem ein Schiff registriert ist. Insofern fahren viele Schiffe unter falscher F. - denn auch, wenn sie im Eigentum amerikanischer, italienischer oder deutscher Reeder sind, fahren sie häufig unter der Flagge Maltas, Panamas, Nassaus oder Zyperns. Das erspart den Reedereien Kosten und manche Pflichten gegenüber Angestellten. Moderne Piraten, von denen sich etwa am Horn von Afrika auch Kreuzfahrtschiffe bedroht fühlen, hissen in der Regel übrigens keine Piraten-F. mehr.

Gentleman Host, der: im deutschen Sprachraum auch als Eintänzer bekannt. Viel beneidete Position, da Schwarm einsamer Witwen und alleinreisender Damen, die er formvollendet zum Tanz führt. Muss qua Vertrag stets Gentleman und einsames Herz bleiben. Wünscht sich deshalb insgeheim eine Eintänzerin.

Gangway, die: bewegliche Treppe, die den Passagieren das Betreten und Verlassen des Schiffes im > Hafen ermöglicht. Im Gegensatz zur G. dient die Jakobsleiter, eine aus Tauen und Holztritten geknotete Strickleiter, zum Betreten des Schiffes auch während der Fahrt.

Hafen, der: innerstädtische Parkplätze für Kreuzfahrtschiffe mit horrenden Parkgebühren. Chronisch überfüllt, vor allem in Venedig, Nassau, Miami, Dubrovnik und Hamburg. Startpunkt der Passagiere für den > Landgang. Weshalb auch die Stadtzentren dann chronisch überfüllt sind. Im H. lassen die Schiffe ihre Dieselmotoren laufen, weil kein > MS über eine passende Steckdose verfügt für die Stromnetze des jeweiligen H.-Kais. Führt zu chronischen Atemwegserkrankungen bei den Bewohnern der H.-Städte.

Insel, die: Neuerfindung der Kreuzfahrtindustrie: künstliches Riff plus Plastikpalmen, geharktem Sandstrand und Spielzeugfischen im Wasser - garantiert moskitofreies und haisicheres Eiland, auf dem keine Schadenersatzklagen drohen.

Jungfernfahrt, die: erste Fahrt eines neu in Dienst gestellten Schiffes. Das Publikum muss aber weder jung noch weiblich sein.

Kabine, die: Aufenthaltsort der Passagiere. Kann man grob in Innen- und Außenkabine unterteilen. Dazwischen verläuft die soziale Kluft. Erstere ist günstiger, bietet aber selten Tageslicht. Letztere ist teurer, hat meist Aussicht und sogar Balkon. Neuere Schiffe haben das Problem gelöst: Sie projizieren an die Wand der Innenkabine ein dimmbares Standbild des > Ozeans.

Love Boat, the - Zodiac, das

Landgang, der: einerseits eine logistische Meisterleistung, weil innerhalb weniger Stunden ein paar Tausend Passagiere vom Schiff in Busse verfrachtet werden, um einen Ausflug zu machen mit Sightseeing, Shopping und Snack in einem typischen Restaurant. Zugleich eine geniale Idee zur Querfinanzierung der All-inclusive-Kreuzfahrt. Mit den in der Regel kostspieligen Erkundungen des Landes hinter der Küste verdient die Reederei das Geld, das sie bei Lockvogelangeboten einspart.

Love Boat, the: amerikanische Seifenoper aus den Siebzigern, die auf einem Schiff spielt. Nach dem Motto "Drehort schlägt Drehbuch" regelt Kapitän Stubing vor exotischer Kulisse Herzensangelegenheiten, vollzieht Trauungen und löst schier unlösbare Probleme. Nicht zufällig kommt einem das Muster bekannt vor: L. stand Pate für die deutsche Serie >Traumschiff.

> MS, das: Präfix, der für Motor Ship steht. Bösen Zungen zufolge die Abkürzung für Mumienschlepper, was natürlich gemein ist und an der Wirklichkeit vorbei geht. Reedereien werben schon länger mit Party- und Familienschiffen ums junge Publikum. Sogar Heavy-Metal-Kreuzfahrten finden reißenden Absatz, wobei HMS nicht für Heavy-Metal-Ship oder Halbmastwurfsicherung steht, sondern immer noch für Her oder His Majesty's Ship.

Niedergang, der: schmale, steile Stiege oder Leiter, die ein Deck mit dem anderen verbindet. Auf großen Schiffen eher in den Unterdecks zu finden, wo sich die Crew geräuschlos um die Logistik und die Technik kümmert. Ein N. der Kreuzfahrtbranche steht derzeit nicht zu befürchten.

Ozean, der: natürliches Habitat von Kreuzfahrtschiffen (MS). Die > MS haben die Wale als größte Organismen im O. abgelöst. Von manchen Passagieren als lästige, ewig gleich anzusehende Wassermasse verunglimpft, deren Überquerung den nächsten > Landgang hinauszögert.

Pax, die: Abkürzung für persons approximately. Viele > MS sind so groß, dass man die Zahl der Passagiere nicht mehr genau ermitteln kann. Deshalb wurde diese Maßeinheit geschaffen für Passagiere in geschätzter oder gerundeter Anzahl.

Queen, die: Königin von Großbritannien und Staatsoberhaupt von mehr als einem Dutzend weiteren Ländern, darunter den bei der Kreuzfahrt-Industrie beliebten Bahamas. Zudem ein beliebtes Prädikat von zu HMS geadelten > MS, die mit Vornamen stets Victoria, Mary oder Elizabeth heißen. Die Q. übernimmt die Schiffstaufen dieser Meeresboliden gerne persönlich. Denn dann kann sie mit Champagnerflaschen um sich werfen, was ihr aus Gründen der royalen Contenance gegenüber britischen Premiers sowie ausgewählten Mitgliedern der Familie Windsor verwehrt ist.

Reling, die: bevorzugter Aufenthaltsort, wenn die Bars und Restaurants geschlossen haben oder die > Kabine gereinigt wird. An der R. produzieren sich tagsüber selbsternannte Matrosen ("Land in Sicht!"), morgens und abends postieren sich an ihr Romantiker, um die Sonne auf- respektive untergehen zu sehen. Wenn alle anderen beim Essen sind, der ideale Ort für einen Heiratsantrag (> Traumschiff). Der kann jedoch empfindlich gestört werden durch Würgegeräusche anderer Passagiere (> Seekrankheit).

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Seekrankheit, die: heftige Übelkeit, die Anfänger schon auf dem im Hafen dümpelnden Pott befällt. Profis werden nicht mal bei Windstärke 8 grünlich im Gesicht. Sie wissen, dass man sich nicht an die > Reling hängen darf, sondern sich im Inneren hinsetzt und den Kopf an eine Wand lehnt. Medikamente gegen S. sollte man nicht vor dem > Captain's Dinner nehmen. Sie machen nämlich müde.

Traumschiff, das: das Paradies für alle, die nicht mit ihren leiblichen Eltern reisen möchten, Mutti aber doch dabei haben wollen. Denn an Bord des T. gibt es Beatrice, die Chef-Hostess. Sie kümmert sich in den bald 80 Filmen der ZDF-Schmonzetten-Reihe um die kleinen und großen Sorgen der Passagiere, und wer am Ende einer Reise auf dem T. nicht einer Heirat entgegensieht, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen, nicht mal auf dem > Love Boat . Hat mit der Realität einer Kreuzfahrt nichts zu tun. Dreharbeiten für das T. stellen laut einem Gerichtsurteil sogar einen Reisemangel für die realen Passagiere dar. Und Beatrice geht Ende des Jahres auch von Bord.

Vormittagsbouillon, die: Mahlzeit, die das Hungergefühl der Passagiere zwischen Frühstück und Mittagessen stillt. Entfällt an Tagen mit > Landgang.

Welle, die: häufige Ursache der > Seekrankheit. Wird zum Teil von den > MS in Form einer Bug-W. selbst verursacht. Je mehr Kreuzfahrtschiffe auf einem > Ozean unterwegs sind, desto mehr Passagiere drängt es deshalb an die > Reling.

XXL-Schiff, das: Übergröße bei Kreuzfahrtschiffen, Nachfrage steigend. Das größte von ihnen, die Harmony of the Seas, bietet Platz für 5477 Passagiere. Im Winter während der Hauptsaison liegen im Hafen von Nassau schon mal sechs oder mehr dieser Riesenpötte. Passagiere kommen sich vor wie in einer Hochhausschlucht in Manhattan. Die Branche nennt solche Schiffe gern selbstironisch XXL-Schiffe.

Yacht, die: schwimmendes Quartier für die Individualtouristen unter den Schiffsurlaubern. Wer eher der Backpacker-Typ ist, wählt eine Mehrbett- auf einer Segel-Y. Und geht dem Kapitän zur Hand bei allem, was dieser verlangt. Hedonisten wählen eine Tour, bei der sie keinen Finger rühren müssen und den ganzen Tag an der lehnen können. Der wichtigste Mann an Bord ist nicht der Kapitän, sondern der Koch. Wer reich ist, besitzt seine eigene Y. Wer den Haushalt eines afrikanischen Kleinstaates stemmen könnte, dessen Y. ist größer als manches und nur unwesentlich kleiner als ein .

Zodiac, das: klassisches Beispiel dafür, wie ein Hersteller zur Begriffsbezeichnung wurde: Z. fertigt robuste Schlauchboote, denen scharfkantige Steine oder Treibeis nicht die Luft aus den Kammern holen. Meist im Einsatz auf Expeditionskreuzfahrten, wo Z. für den , für Exkursionen und Naturbeobachtungen zur Ausrüstung gehören.

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