Von Neapel nach Sizilien:Vulkanische Gefühle

Tempel, Kirchen und Zitronen: Süditaliens Küste bietet vom Wasser aus betrachtet auch Kennern der Region neue Ansichten. Auf einem französischen Schiff gibt es neue Einsichten gratis dazu.

Von Ingrid Brunner

Wer die La Belle de l'Adriatique im Hafen von Neapel liegen sieht, stutzt zunächst. Ist die Schöne der Adria nicht in falschen Gewässern unterwegs? Oder wollen Kapitän und Mannschaft, die im Sommer die kroatische Küste befahren, einfach mal die andere Seite des Stiefels kennenlernen? Wie auch immer, die Zeit ist gut gewählt. Mimosen, Bougainvilleas, Zitrusbäume: Im März ist alles im Begriff zu erblühen. Zudem gibt es in der Vorsaison kaum Touristen, dafür überaus freundliche Einheimische, die sich in Geschäften, Bars und Restaurants überschlagen vor Diensteifrigkeit.

Also auf dorthin, wenn die Zitronen blüh'n und das Schmelzwasser von den noch schneebedeckten Gipfeln des Aspromonte in Sturzbächen zu Tal geht. Die Kreuzfahrt von Neapel entlang der Küste Kalabriens bis nach Sizilien und wieder zurück ist ein Fest fürs Auge und zugleich eine Studienreise: Nicht nur Goethe, Ibsen, Caruso, Wagner oder Bellini haben hier Spuren hinterlassen. Darüber hinaus begegnen einem auf Schritt und Tritt archäologische Fundstätten aus der Magna Graecia, der Zeit der griechischen Kolonisation, die in Kalabrien bis ins dritte vorchristliche Jahrhundert dauerte. Doch auch die Geologie hat dieser Region zu Berühmtheit und Besuchern verholfen. Die Kollision der afrikanischen und der europäischen Kontinentalplatte sorgen für tektonische Spannungen, die sich immer wieder in Erdbeben und Vulkanausbrüchen entladen. Zu sehen sein werden, mal näher, mal aus der Ferne: der Ätna, Italiens höchster (3323 Meter), der Vesuv, Italiens bestüberwachter Vulkan, sowie der Stromboli, Italiens aktivster Vulkan, von dessen "strombolianischer Aktivität" viel die Rede ist. Es verspricht also eine interessante Woche zu werden.

Und weil La Belle de l'Adriatique zu Croisi Europe, einer französischen Reederei mit Sitz in Straßburg gehört, bietet sich obendrein die Gelegenheit, an Bord die deutsch-französischen Beziehungen zu studieren und womöglich zu vertiefen.

Die Nachbarn diesseits und jenseits des Rheins auf einem Schiff, in einem Speisesaal, im Reisebus - hört sich nach einem interessanten Projekt an. Und wenn die Reiseleiterin Matilda auf der Tour entlang der Amalfiküste aus dem Stegreif "Torna a Surriento" singt, das berühmte neapolitanische Volkslied von einem Auswanderer, der nach Sorrent zur Liebsten heimkehren soll, dann ist man sich einig: Matildas Einsatz muss belohnt werden - mit frenetischem französisch-deutschem Applaus. Doch wenn die Gruppe kurz darauf Matilda durch Sorrents Gassen folgt, sei es zum wunderbar erhaltenen Kreuzgang des Klosters San Francesco, sei es zum Hotel Vittoria, wo Enrico Caruso kurz vor seinem Tod zu Gast war, dann finden die französischen Gäste, Matildas Erklärungen auf Deutsch seien viel länger und ausführlicher als die französischen. Dass man im Deutschen mehr Wörter braucht und Sätze nun mal länger sind, um dasselbe auszudrücken, überzeugt die Franzosen nicht so recht.

Kalabrische Lebensweisheit: "Gibt dir das Leben Zitronen, mach' Limocello draus."

Umgekehrt finden im malerischen Städtchen Pizzo, dem Ursprungsort des Tartufo-Eises, einige Deutsche, sie kämen ein wenig zu kurz. Dort nämlich befindet sich am Hafen im Castello Aragonese ein Museum in Erinnerung an Joachim Murat, der dort eingekerkert war und später füsiliert wurde. Murat war kurze Zeit König von Neapel, eingesetzt von Napoleon, zudem Ehemann von Caroline Bonaparte und somit Napoleons Schwager. Also ein superwichtiger Ort für die Franzosen, der gebührend lang besichtigt werden muss. Für Mitreisende, die beide Sprachen sprechen, sind derlei Begebenheiten amüsant und ernüchternd zugleich. Man fragt sich, wie man in Brüssel - bei weit mehr Interessen und Sprachen - zu einer Einigung kommen will, wenn dies schon auf einem Schiff mit vorwiegend zwei Nationen eine kleine Herausforderung ist.

kreuzfahrt_karten

SZ-Karte

Die süditalienische Antwort darauf lautet: Gibt dir das Leben Zitronen, mach Limoncello draus! Guide Matilda hat selbstredend ihr eigenes Limoncello-Rezept - wie jede süditalienische Hausfrau, die auf sich hält. Und weil sie nett ist, verrät sie es: Man setze 1 Liter reinen Alkohol, 1 Liter Wasser, 7 Zitronen, 700 Gramm Zucker an und lasse das Ganze vier Tage ziehen - basta! Und sogleich geht es zur Limoncello-Verkostung in einen winzigen Laden, in dem es alles Erdenkliche gibt, was man sonst noch aus Zitronen herstellen kann.

Und dann ist da noch Alain Loison aus Paris. Er ist Zahlmeister, Conférencier, Lektor und Gästeversteher in Personalunion. Der 57-Jährige hat Deutsch und Geschichte studiert, war Deutschlehrer, unterrichtete sogar in Deutschland - kurz, er liebt die deutsche Sprache und Kultur. Monsieur Loison beehrt sich, abends das Unterhaltungsprogramm zu moderieren - gemeinsam mit Laura, der Hostess für die deutschsprachigen Gäste. Ob denn die deutschen Passagiere besonders frankophil seien? Alain zögert, das vielleicht nicht, aber auf beiden Seiten gebe es besonders viele "fidèles", das sind die Wiederholer. Für ihn Bestätigung genug, dass die deutsch-französische Philosophie funktioniere. Abends bei Gesellschaftsspielen und Gesang beäugen sich die Passagiere beider Nationen neugierig und durchaus wohlwollend - aber zu einer echten Fraternisation will es nicht so recht kommen.

Süditalien

Die La Belle de l'Adriatique, Baujahr 2007, ist das einzige Meerschiff der elsässischen Reederei Croisi Europe, die mit 44 Schiffen vorwiegend die Flüsse Europas bereist. Die 100 Kabinen der La Belle bieten Platz für 200 Passagiere. Die nächsten Süditalienreisen finden vom 17.-24.2. und 17.-24.3. 2017 statt. Preis: ab 1328 Euro pro Person, in der Doppelkabine inkl. Vollpension und Getränken, zzgl. Anreise. Informationen: Tel. 0681-3032555, www.croisieurope.de

Es ist ein wenig wie beim Fußball: Man bleibt seinem eigenen Team treu. Die Équipe Tricolore und die Nationalelf verhalten sich fair, aber man sitzt in getrennten Fankurven. Beim Nachmittagsquiz wird nur Französisch gesprochen, ebenso beim Vortrag mit dem Titel "Le 24 août 79". Was war da los in Frankreich, im August 79? Studentenunruhen? Mais non! Gemeint ist jener August im Jahr 79 nach Christus, der Untergang von Pompeij! Alain Loison hält seinen Landsleuten einen Vortrag, als Vorbereitung auf den Besuch der Ausgrabungsstätten. 1:0 für Frankreich.

In der Summe aber überwiegen die Vorteile, mit Franzosen unterwegs zu sein. Sie legen zum Beispiel Wert auf gute Küche und reagieren sehr schnell ungnädig, wenn dies nicht der Fall ist. So ist festzustellen, dass das Essen sehr schmackhaft und abwechslungsreich ist, die Tischweine anständig und ebenso wie alle alkoholfreien Getränke im Preis inbegriffen sind. Lediglich Champagner und hochwertige Lagen sowie Jahrgangsweine gehen extra. Das schafft Transparenz und verhindert unangenehme Überraschungen bei der Abrechnung. Ein Punkt, auf den gerade die deutschen Passagiere großen Wert legen.

Und natürlich gibt es die Momente, in denen man sich ohne Worte versteht: Etwa wenn man gemeinsam auf dem Sonnendeck steht, während die La Belle de l'Adriatique den Stromboli passiert und jeder darauf wartet, dass er Feuer und Asche spuckt. Oder wenn man die rührend schöne Costa degli Dei vom Wasser aus betrachtet, Orte, Gärten und Plantagen auf Terrassen, die man der felsigen Steilküste abgerungen hat. Am letzten Tag auf Capri summen einige Hervé Villards "Capri, c'est fini", andere Rudi Schurickes "Caprifischer". Ein nachgerade strombolianischer Moment in den bilateralen Beziehungen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: