Vinschgau:Oben bleiben

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Am Beispiel eines Bergbauernhofes in Südtirol zeigt sich die rasante Entwicklung der vergangenen 40 Jahre - auch und vor allem jene des Tourismus, der bis auf die höchsten Höfe vorgedrungen ist.

Von Hans Gasser

Als das Dach wieder drauf war auf ihrem Bauernhof, da haben sich Ida und Peter Ladurner einfach hingesetzt und geschaut, eine ganze Stunde lang, ein Luxus. "Ja, es ist etwas G'scheits geworden", sagt der Bauer, und seine Frau, die lange skeptisch war, gibt ihm recht. 2013 hatten sie den Schnatzhof, gelegen auf 1553 Meter am Sonnenberg im Vinschgau und seit 400 Jahren im Familienbesitz, noch einmal aufwendig umgebaut. Aus der Jausenstation, die fast 30 Jahre lang ein Zubrot für den Bergbauernhof gebracht hatte, wurde ein Drei-Sterne-Betrieb für Urlaub auf dem Bauernhof, drahtloses Internet inklusive. Man war ein weiteres Mal mit der Zeit gegangen.

"Mit der Zeit gehen", so heißt auch das Buch, in dem der Fotograf Udo Bernhart, selbst gebürtiger Vinschgauer, mit Bildern aus den vergangenen vier Jahrzehnten die Entwicklung des Schnatzhofs dokumentiert. Die Geschichten und Anekdoten dazu liefert Erwin Brunner, Journalist und bis vor Kurzem Chefredakteur von National Geographic Deutschland.

"Von Ostern bis Allerheiligen kein freier Tag", sagt Ida Ladurner, "es war uns einfach allen zu viel." Deshalb wurde die Jausenstation aufgegeben, man hat auf besser berechenbare Hausgäste umgestellt. Zwei Fotos, zwischen denen 30 Jahre liegen, illustrieren diese Entwicklung: Sie zeigen beide die hölzerne Bauernstube mit Kruzifix und großem Tisch. 1984 sitzt die Familie daran und hört einem weißhaarigen Zitherspieler zu. 2014 sitzen zwei Urlauber-Familien mit ihren Kindern daran, die Funktionsjacken über die Stuhllehne gehängt. "Dass nun nicht mehr die Nachbarsleute zum Ratschen kommen, sondern die Städter zum Staunen", schreibt Brunner, "die Stube wird es still ertragen. Wissend, dass sich wohl alles ändern kann, damit es so bleiben kann, wie es ist".

Natürlich ist diese Entwicklung, zumal im touristisch überfluteten Südtirol, auch schon einige Jahre alt. Bevor die Hausgäste in der Stube saßen, waren dort jahrzehntelang eben die Tagesgäste und aßen Speck oder Lammbraten. Der Ort für viele Bauernfamilien ist schon lange nicht mehr die Stube, wo die Fremden sitzen, sondern die Küche. Bernharts reportagenhafte Bilder zeigen sonst wenig vom Tourismus, sie halten sich an die Bauernfamilie und zeigen, wie geschickt sich diese über die Jahre angepasst hat. Es gibt im Alpenraum ja genug Beispiele von verlassenen Bergdörfern, von Entvölkerung zugunsten der Städte. In Südtirol konnte man das - auch dank vielerlei Subventionen für die Bergbauern - großteils verhindern.

Das Buch handelt aber auch davon, was in knapp 40 Jahren alles verschwunden ist. Oft sind das Dinge, die schön für die Touristen sind, aber anstrengend für die Bauern. So wurde auf den Feldern bis 1986 noch Roggen angebaut, für das Vinschgerl-Brot. Goldfarbene Ähren, zu Garben gebunden und dann in der hofeigenen Mühle gemahlen, das war natürlich schön anzuschauen, hat sich aber nicht mehr rentiert. Stattdessen wurden reine Wiesen daraus, künstlich bewässert, um die Hochleistungskühe im Stall zu neuen Milchrekorden zu führen. Das Buch thematisiert diese Entwicklung - mit einer manchmal etwas plakativen Früher-Heute-Bildauswahl -, hütet sich aber davor, sie zu kritisieren. Nostalgie ist das eine und wirtschaftlicher Erfolg das andere. Und der gibt den Ladurners recht.

Udo Bernhart, Erwin Brunner: Mit der Zeit gehen. Bauernleben auf dem Sonnenberg. Edition Raetia, Bozen 2014. 184 Seiten, 29,90 Euro.

© SZ vom 21.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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