Vietnam:Drache im Anflug

Zum ersten Mal wird eine Gesamtschau von Artefakten alter vietnamesischer Völker in Deutschland zu sehen sein. Ein Besuch ihrer alten Tempel zeigt die Pracht dieser Kulturen.

Von Monika Maier-Albang

Zum Tor der Zitadelle des "Aufsteigenden Drachen" kommt man gerade noch. Dann versagt der Taschenschirm. Es schüttet, und zwar so, dass die Menschen später auf ihren Motorrädern durch knietief geflutete Kreuzungen fahren. Bleibt ihnen auch nichts anderes übrig in Hanoi, der Millionenstadt, die so gut wie keinen öffentlichen Nahverkehr kennt, dafür aber mehrmals im Jahr Taifune wie diesen erlebt.

An sonnigen Tagen stellen sich vor dem Tor des einstigen Kaiserhofs Uni-Absolventen für ein Foto auf, wohlgeordnet, wie sie das gewohnt sind - durchs Mausoleum, in dem Ho Chí Minh unter einem gläsernen Sarg keine letzte Ruhe finden darf, wird noch immer jedes Schulkind in Zweierreihe geführt. Touristen müssen es ihnen gleichtun. Und nur die sind auch so verrückt, die Zitadelle Thăng Long im Regen zu besuchen. Das Wasser steht mittlerweile in tiefen Pfützen auf den Wegen, und dort, wo Ausgrabungsstätten überdacht sind, spucken Pumpen es in einen eigens angelegten Teich. Nicht, dass jemand auf die Idee käme zu sagen: Hier kann man zusehen, wie eine Kultur untergeht.

Die Amerikaner bombardierten die Tempel: Kämpfer des Vietcong hielten sich dort versteckt

Denn was wäre das für ein Zeichen? Eines, das dem sozialistischen Einparteienstaat Vietnam nicht recht sein kann. Schließlich diente Thăng Long, die Keimzelle der heutigen Hauptstadt, über Jahrhunderte verschiedenen Dynastien des Nordens als Residenz. Seit 2002 graben Archäologen hier, inmitten der Großstadt. 2010 wurden Teile der Zitadelle zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt. Drei Mal fielen die Mongolen in die kaiserliche Residenz ein, machten sie dem Erdboden gleich. Drei Mal entstand sie neu. Die Zitadelle ist ein mit Nationalstolz schwer beladener Ort: Symbol für die Macht des Dai Viet, jenes Staates, der die Chinesen, die Khmer und die Cham in ihre Schranken wies. Und damit auch ein Symbol für die Zerrissenheit des Landes. Was heute eine Nation ist, war schon früh in einen Norden und einen Süden getrennt, hatte unterschiedliche Besatzer - und machte unterschiedliche Kriegserfahrungen.

Vietnam: Der Archäologe Tran Ky Phuong kennt die Tempel von My Son seit Jahrzehnten. Barbara Rüschoff-Thale hat die Freigabe der Funde von dort mit erwirkt.

Der Archäologe Tran Ky Phuong kennt die Tempel von My Son seit Jahrzehnten. Barbara Rüschoff-Thale hat die Freigabe der Funde von dort mit erwirkt.

(Foto: Maier-Albang)

Tran Ky Phuong kann von den jüngsten so einiges berichten. 65 Jahre alt ist er, auf seiner Visitenkarte steht "Experte für Cham-Kultur". Aber er ist mehr als das. Viele Jahre bis zu seiner Pensionierung leitete er das Cham-Museum in Da Nang, er könnte Tage durch die weitläufigen Tempelanlagen der Cham in My Son führen. Er kennt jede Shiva-Figur und jeden Ziegelstein, den die Baumeister mit dem gleichen Baumharz verklebten, mit dem heute noch die Fischer ihre Boote abdichten.

Tran Ky Phuong hatte gerade sein Archäologie-Studium in Saigon abgeschlossen, als er im März 1978 zum ersten Mal nach My Son kam, an den Fuß des "Schönen Berges". Der Kurator, damals noch überzeugter Kommunist, sollte begutachten, was übrig geblieben war von den Tempelanlagen. Kämpfer der Vietcong hatten die Bauten während des Krieges als Versteck genutzt, amerikanische Kampfflugzeuge überzogen das Tal mit einem Bombenteppich und zerstörten einen Großteil der bis dahin dokumentierten 70 Tempelanlagen. Kaum drei Jahre nach Ende des Vietnamkriegs dort zu arbeiten war ein gefährliches Unterfangen: Im Boden lagen Blindgänger, neun Menschen, erzählt Tran Ky Phuong, seien bei der Räumung der Minen ums Leben gekommen. Noch heute ist die Erde hier zerklüftet. Die Touristen aus China, Südkorea, den USA aber werden sanft im E-Auto vom Busparkplatz zum Tempelgelände gefahren, wo sie eine gepflegte Anlage und Tänzerinnen erwarten, deren indisch anmutende Aufführung Tran Ky Phuong mit asiatischem Feingefühl als "nicht ganz authentisch" wertet.

Informationen

Reisearrangement: Der Reiseveranstalter Gebeco hat zusätzlich zu den bestehenden Vietnam-Reisen aus Anlass der Ausstellung eine 14-tägige Reise aufgelegt, die zu den Fundorten vieler Exponate führt, u. a. in die Ausgrabungsstätten Thăng Long und My Son. Die Reise "Kulturschätze in Vietnam und Kambodscha" kostet p. P. ab 2155 Euro inkl. Flüge mit Vietnam Airlines, www.gebeco.de.

Ausstellung: Die Ausstellung "Schätze der Archäologie Vietnams" ist ab 7. Oktober im LWL-Museum für Archäologie in Herne zu sehen (bis 26. 2. 2017), danach im Staatlichen Museum für Archäologie in Chemnitz (30. 3. 2017 bis 20. 8. 2017) und in den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim (16. 9. 2017 bis 7. 1. 2018), www.vietnam-ausstellung.de.

An die 20 Anlagen sind in ihrer ursprünglichen Struktur erhalten geblieben, mit Vorhalle und Kalan, dem Haupttempel, und auch wenn die hinduistischen Tempel der Cham an die Bauwerke ihrer Nachbarn in Bagan oder Angkor Wat nicht heranreichen, so bekommt man doch einen Eindruck von der Macht der Cham im 9. und 10. Jahrhundert. In schlechten Zeiten waren die Cham als Seeräuber unterwegs, in guten bezogen sie von den Bergvölkern Elfenbein, wertvolle Hölzer und Kräuter - Luxusgüter, die in China begehrt waren. Im Gegenzug bekamen die Bergbewohner Salz, "das war überlebenswichtig", sagt Tran Ky Phuong, "eine Waffe, die noch die Franzosen zu nutzen wussten".

Der Norden, der Süden - das ist, so sagt der Archäologe, noch heute kein einfaches Verhältnis. Aus Hanoi, dem Regierungssitz, kämen Männer mit Geld und Beziehungen, die Land aufkaufen, erzählt man im Süden, wohin die Touristen ans Meer fahren. Nach Hoi An etwa. In der Hafenstadt, in der heute viele Nachfahren chinesischer Händler leben, lassen die asiatischen Gäste am Abend Lichterschiffchen auf dem Fluss schwimmen, die Europäer sitzen unter Stofflaternen und freuen sich über die Wärme und die billigen Souvenirs: Seidenkleider, Ledertaschen, Teelichter aus Kokosnuss-Schalen. Das Land lockt mit Bergdörfern wie Mai Chau, in dem die Gäste mit Mountainbikes vorbei an Reisterrassen und Wasserbüffeln radeln. Oder mit den etwas zu routinierten Paddlern in der sogenannten Trockenen Halong-Bucht, die mit den Füßen rudern. Vielerorts entstehen gerade große Hotelanlagen. Wer den Strand entlangfährt, der Hoi An mit Da Nang verbindet, kommt über Kilometer an Bautafeln und Zäunen vorbei, hinter denen hier ein Golfplatz entsteht, dort ein Pool angelegt wird.

Und dann kommen die Deutschen und wollen den Norden und den Süden zusammenführen: ein Land, eine Ausstellung. "Ein Wagnis war das schon", sagt Barbara Rüschoff-Thale, Kulturdezernentin des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe. Aber: Das Vorhaben scheint zu glücken. Von Oktober an werden nacheinander in Herne, Chemnitz und Mannheim Grabungsfunde aus Vietnam zu sehen sein. Die Funde, die größtenteils das Land noch nie verlassen haben, datieren zurück bis zur ersten Besiedlungsgeschichte. Schon in der Jungsteinzeit wurden Hirse und Reis angebaut, Schweine und Hunde als Fleischlieferanten gehalten. Die Funde, die länger als ein Jahr in Deutschland bleiben werden, stammen aus dem Nationalmuseum sowie aus acht Provinzmuseen. Sie zu sichten, sie zusammenzuführen, die Ausfuhrgenehmigungen zu bekommen, war ein mühsamer Prozess. Zwölf Jahre haben die Vorbereitungen in Anspruch genommen. Die letzten Unterschriften hat Rüschoff-Thale Ende August in Hanoi bekommen.

Unterschriften sind wichtig in Vietnam, Beziehungen ebenso. Archäologie ist in Vietnam selten unpolitisch. Viele Grabungsfunde aus der Zeit der chinesischen Besatzung - immerhin 1000 Jahre - liegen bis heute in den Archiven. Anderes wird umso lieber hervorgehoben: Jedes Regionalmuseum zeigt Steine von den Spratly-Inseln. Um die hierzulande weitgehend unbekannte Inselgruppe im Südchinesischen Meer streiten sich Vietnam, China und Taiwan.

Vietnam: SZ-Karte: Mainka

SZ-Karte: Mainka

Kompliziert war auch die Logistik. Die Keramiken, Bronzetrommeln, steinernen Stelen, Jadezepter, Terrakotta-Figuren und Spuckgefäße für Betelnüsse mussten zunächst nach Hanoi gebracht werden. Jedes einzelne Ausstellungsstück wurde dann im neonlichtbeschienenen Keller des Nationalmuseums von deutschen und vietnamesischen Experten begutachtet und, nachdem sein Zustand dokumentiert war, in eigens in Hongkong gefertigte Transportkisten verpackt. Nach Deutschland kamen sie im klimatisierten Frachtraum eines Flugzeugs. Der Ausfuhr einiger Fundstücke, die als Nationalschatz gelten, musste der Premierminister zustimmen.

Die Zusammenarbeit zwischen deutschen und vietnamesischen Forschern geht zurück auf die DDR-Zeit. Die erste gemeinsame Expedition führte 1964 in den Dschungel, an den Roten Fluss, wo ein Team aus circa 100 Wissenschaftlern beider Länder eiszeitliche Funde im Hang-Hùm-Höhlensystem erforschte. Die Deutschen hatten ungarische Salami, löslichen Kaffee, Kondensmilch und Toilettenpapier im Gepäck - was man eben gern bei sich hat in der unbekannten Fremde. Heute reisen die Experten mit leichterem Gepäck, dafür ist die Technik etwas ausgefeilter. Andreas Weisgerber, ein Restaurator aus Münster, ist in Hanoi, um dort bei der Erforschung eines besonders wertvollen Bootsgrabes zu helfen - eine Gegenleistung für die Leihgaben, die Vietnam ohne Gebühr zur Verfügung stellt. Ein 3-D-Scanner ist mitgereist und kam sogar durch den Zoll - sieht ja auch aus wie ein Fotoapparat. Was man sonst noch braucht im Sommer in Vietnam? Ein Blick auf Weisgerbers nasse Schuhe, ein Blick zum Himmel: Ein großer Schirm kann nicht schaden.

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