Verschollenes Air-France-Flugzeug:"Wie ein Hammerschlag"

Spurensuche auf hoher See: An Tag eins nach dem Verschwinden gibt Flug AF 447 weiter Rätsel auf. Klar ist bislang nur, dass die verschollene Air-France-Maschine in ein schweres Unwetter geraten war. Luftfahrtexperte Jörg Handwerg von der Vereinigung Cockpit zur Gefahr von Blitzeinschlägen.

Daniela Dau

Nach dem Absturz einer Maschine der Air France über dem Atlantik wird weiter nach dem Wrack und nach der Ursache der Katastophe gesucht. Während die Fluggesellschaft in einer ersten Stellungnahme einen Blitzeinschlag als möglichen Grund nannte, sind Luftfahrtexperten skeptisch. sueddeutsche.de sprach mit Jörg Handwerg von der Pilotenvereinigung Cockpit über die Auswirkung von Blitzeinschlägen während des Flugs und die technische Ausrüstung des verunglückten Airbus A330-200.

sueddeutsche.de: Wie bekommen Passagiere mit, wenn der Blitz in ein Flugzeug einschlägt?

Jörg Handwerg: Es tut einen Schlag. Es hört sich an, als ob jemand mit einem großen Hammer auf die Maschine haut. Das Flugzeug wackelt nicht wie bei Turbulenzen, vielmehr vibriert es eher. Mir selbst ist das als Pilot auch schon ein paar Mal passiert.

sueddeutsche.de: Wie registriert der Pilot einen Blitzeinschlag?

Handwerg: Das kommt darauf an, wo der Blitz auf das Flugzeug trifft. Oft ist das im Nasenbereich der Fall, zum Beispiel im Steigflug. Dann spürt man einen Schlag, oftmals wird es auch sehr hell und das Flugzeug schüttelt sich.

sueddeutsche.de: Für Flugzeuge gilt das Prinzip des Faradayschen Käfigs. Was bedeutet das?

Handwerg: Beim Faradayschen Käfig bewegen sich die Ladungsteilchen, also die elektrische Energie, auf der Außenhaut des Flugzeugs entlang. Passagiere werden dadurch nicht beeinträchtigt, selbst wenn sie von innen den eisernen Körper des Flugzeugs anfassen würden, was ja durch die Kabinenverkleidung gar nicht möglich ist.

sueddeutsche.de: Wie groß sind die Schäden, die ein Blitz am Flugzeug verursachen kann?

Handwerg: Normalerweise sind die Schäden nicht sehr groß. Nach der Landung wird das Flugzeug inspiziert und je nachdem wo der Blitz eingetreten oder ausgetreten ist, sind Schäden im Lack sichtbar, manchmal auch ein kleines Loch.

sueddeutsche.de: Am vermuteten Unglücksort im Atlantik soll zur Absturzzeit ein schweres Gewitter getobt haben. Wie stellen sich Piloten auf so eine Wetterlage ein?

Handwerg: Im Bereich des Äquators herrscht eine innertropische Konvergenzzone mit sehr häufigen und auch schweren Gewittern. Das ist in diesen Breiten fast eine normale Wetterlage. Piloten, die auf der Südamerika-Route fliegen, sind darauf eingestellt.

In der Regel umfliegt man solche Gebiete, mitten hindurchzusteuern wäre zu gefährlich. Gewitter bestehen aus sehr aktiven Kerngebieten und ruhigeren Randzonen, das ist auf dem Wetterradar recht gut zu sehen. Piloten werden versuchen, einen Weg zu finden, der möglichst störungsfrei ist.

"Das deutet auf ein sehr schnelles Geschehen hin"

sueddeutsche.de: Offensichtlich hat es keinen aktiven Notruf des Piloten gegeben, nur ein automatisiertes Störungssignal. Welche Erklärung kann es dafür geben?

Airbus A330-200: Interview mit Cockpit-Pressesprecher Jörg Handwerg, Cockpit

Jörg Handwerg von der Vereinigung Cockpit

(Foto: Foto: cockpit)

Handwerg: Das deutet auf ein sehr schnelles Geschehen hin. Eine Folge von technischen Pannen kann die Ursache sein, aber auch die Stressbelastung des Piloten. Spekulationen helfen hier allerdings nicht viel weiter.

Flugzeuge setzen während ihres Fluges eine Vielzahl von elektronischen Signalen und Störungsmeldungen über aktuell nicht funktionierende Teile des Computersystems ab. Eine einzelne Meldung bedeutet aber nicht, dass tatsächlich ein Fehler vorliegt, beziehungsweise, dass dieser von Dauer ist. Es kann zum Beispiel auch der fehlermeldende Sensor sein, der defekt ist. Das ist ähnlich wie bei der Arbeit am Computer, da hängt die Maus ja auch gelegentlich - und springt dann doch wieder weiter.

sueddeutsche.de: Das verunglückte Flugzeug, der Airbus A330-200, war seit 2005 im Einsatz, hatte etwa 2500 Flüge absolviert und gilt als modern und sicher.

Handwerg: Alle modernen Flugzeuge sind in allen wichtigen Systemen mehrfach und teilweise überlappend ausgelegt. Das heißt, die Elektrik verfügt über eine sehr gute Redundanz, jedes System kann durch eine andere Einheit ersetzt werden. Gerade dieser Airbus verfügt über reichlichen Backup, was die Elektrik betrifft: Es gibt vier Generatoren an Bord, dazu noch zwei Batterien. Ein Absturz, nur weil ein elektrisches System versagt, scheint mir sehr unwahrscheinlich. Meist sind es mehrere Elemente, die in einer tragischen Verkettung aufeinandertreffen und so zum Absturz führen.

sueddeutsche.de: Was sagen Sie Passagieren, die nun kurz vor einem Flug über den Atlantik stehen?

Handwerg: Dieser Vorfall ist sehr spektakulär und aufgrund der hohen Zahl an Opfern ein furchtbar tragisches Ereignis. Aber man muss sich mal vorstellen, wie viele Flüge mit wie vielen Passagieren jeden Tag über den Atlantik gehen. Im Autoverkehr passiert vergleichsweise mehr und trotzdem macht sich keiner Sorgen, wenn er in sein Fahrzeug steigt.

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