Verkehr in Florenz:Eine Linie teilt die Kunststadt

Florenz erstickt im Verkehr und stimmt nun über die mögliche Rettung ab: eine Tramlinie durch das Zentrum.

Henning Klüver

Ja? - Nein! Nein? - Ja! Nirgendwo in Italien streitet man sich so herzhaft untereinander wie am Arno. Ganz egal, worum es dabei geht. Ob es sich im Mittelalter um den Bau der Pfei-ler für den Dom handelte, oder ob in der Gegenwart der Bau einer Straßenbahnlinie strittig ist - immer schlägt sich "der zornwütige Florentiner", wie es schon in Dantes Göttlicher Komödie (Inferno Kap. VIII, 61) heißt, "die Zähne in das eigene Fleisch".

Verkehr in Florenz: Eine Straßenbahnlinie erhitzt die Gemüter in Florenz.

Eine Straßenbahnlinie erhitzt die Gemüter in Florenz.

(Foto: Foto: iStock)

Diesmal geht es wirklich um eine Tram, eine ganz modern aussehende "Jumbo-Tram", wie man sie bereits in Mailand oder Rom kennt. Ihretwegen sind die ehrwürdigen Mauern und Hauswände von Florenz vollgepflastert mit Plakaten, auf denen abwechselnd mit riesigen Lettern "Sì" oder "No" zu lesen ist. "Ja" und "Nein" lautet auch die kontroverse Botschaft der Werbespots, die lokale Fernseh- und Radiostationen ausstrahlen. Ein Appell zur Entscheidung, der durch unzählige SMS und E-Mails noch verstärkt wird.

Denn am Sonntag stimmt die Stadtbevölkerung darüber ab, ob die Kommunalverwaltung ihre Pläne zur Verkehrsberuhigung der Innenstadt weiter umsetzen soll oder nicht. Wobei es im Kern darum geht, ob die neue Tramlinie 2 am äußersten Winkel des Domplatzes und nur wenige Meter vom Baptisterium entfernt vorbeifahren darf. An jenem kunsthistorisch bedeutsamen Ort also, an dem die Renaissance einst ihren Anfang nahm.

Ja, sie darf, sagt die Stadtverwaltung - und verweist auf Untersuchungen: Durch die Straßenbahn im Zentrum und weitere Verkehrsberuhigung könnte das Aufkommen an Fahrzeugen um 50 Prozent gesenkt werden. Nein, sie darf nicht, sagt die Opposition, die von vielen, auch ortsfremden Kunsthistorikern unterstützt wird, weil die supermoderne Tram am Domplatz eine Beleidigung für das Auge der Kunstliebhaber sei, die alljährlich in Scharen nach Florenz strömen. Und weil die Erschütterungen der vorbeiratternden 32 Meter langen Züge die Mosaike des Baptisteriums in bedrohliche Schwingungen versetzen könnten.

Schlechte Schwingungen

Gar nicht wahr, antworten die Experten, die Tram "rattere" nicht, sie würde auf einem speziell gedämpften Gleiskörper "gleiten", außerdem an dieser Stelle mit Akkubetrieb fahren und daher keine Oberleitung benötigen. Vor allem verursache sie weniger schlechte Schwingungen und Abgase als die 2300 Busse, die inzwischen täglich hier vorbeifahren. Die Stadt scheint tief gespalten zu sein; man streitet um Bäume, die wegen der Tram abgeholzt (und wieder angepflanzt) werden, hat die Unesco angerufen (die aber nichts gegen eine Tram am Dom einzuwenden hat). Sogar die lokalen Umweltschutzverbände haben sich über das Verkehrsproblem der Innenstadt entzweit.

Eine Linie teilt die Kunststadt

In Florenz herrscht also dicke Luft, und das auch nicht erst seit gestern. Als der Marquis de Sade hier 1775 eintraf, stellte er fest, dass die Einwohner "mager und blass" seien und wegen der "ganzjährigen schlechten Luft" zur Schwindsucht neigten.

Verkehr in Florenz: Motorroller knattern durch die Innenstadt von Florenz.

Motorroller knattern durch die Innenstadt von Florenz.

(Foto: Foto: iStock)

Die Schwindsucht hat man heute im Griff, die schlechte Luft nicht. Das liegt am Zusammenspiel einer verhängnisvollen Tal-Kessel-Lage mit einem chaotischen Verkehrsaufkommen, das jeder Tourist am eigenen Leib spürt, wenn er die Stadt am Arno besucht.

Um Linderung zu schaffen, hat die Kommune bereits vor einigen Jahren eine Innenstadtzone eingerichtet, in die eigentlich nur Anwohner und Pendler mit Sondergenehmigungen für den Weg zum Arbeitsplatz fahren dürfen.

Doch die Ausnahmen waren bald die Regel, und zusätzlich wird die Stadt immer stärker vom Strom der knatternden Mopeds und Motorräder belästigt.

Außerdem geht es nicht nur um die Luft, sondern schlicht ums Geld: Nach einer Untersuchung der Region Toskana gehen im Jahr 100000 Arbeitsstunden durch Verkehrsprobleme wie Stau und Parkplatzsuche verloren.

Drei große Straßenbahnverbindungen (zwei zu Vororten wie Scandicci sowie zum Flughafen, eine im Zentrum selbst) sollen nun Abhilfe schaffen. Vorausgesetzt, die Florentiner stimmen zu. Das Ergebnis dieser von Oppositionsgruppen nach einer Sammlung von 15000 Unterschriften erzwungenen Volksbefragung ist als "beratendes Referendum" einerseits nicht bindend, andererseits aber kaum zu übergehen.

Bürgermeister Leonardo Domenici warnt bereits: Dies sei ein Zusammenstoß zwischen Reformern und Ewiggestrigen, zwischen denen, "die etwas verändern wollen und denen, die sich dem Status quo ausliefern".

Pro und contra Tram: Wer glaubt, dass in diesem Referendum die Verhältnisse ganz klar sind, der vergisst, wo er sich befindet. Mit "Ja" stimmt in Florenz, wer dagegen ist. Genauer gesagt dafür, dass die Linienstrecke durch das historische Zentrum aufgehoben wird. Und wer für die Tram ist, muss "Nein" sagen. Es ist durchaus verwirrend. In Florenz, schrieb der Schriftsteller Curzio Malaparte einmal, seien eben "Sonderbarkeiten aller Art zu Hause".

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