Italien:Vernachlässigte Schönheit

Bassano del Grappe in der Region Venetien in Italien McPBBO McPBBO

Vorne ein anmutiges Renaissance-Städtchen, dahinter die mächtige Dolomiten-Kette: Der Ort Bassano del Grappa und seine überdachte hölzerne Brücke über die Brenta, die Ponte degli Alpi. Die Region Veneto wartet mit allerhand Schönheit auf, die es noch zu entdecken gilt.

(Foto: imago/McPHOTO)

Nur eine gute Autostunde von Venedig entfernt liegt das meist unbeachtete Veneto. Höchste Zeit für eine Entdeckungsreise.

Von Thomas Steinfeld

Auf der Nordseite des Hügels von Asolo führt ein steiler Weg zurück in die Stadt. Von dort hat man einen weiten Blick über das Vorland der Dolomiten, aus dem dann die Berge in drei, vier Anläufen herausragen. Vorne sind sie noch waldbestanden, im Hintergrund regieren Fels und Schnee. Unten im Grünen noch, nur ein paar Hundert Meter den ersten Hang hinauf, scheint etwas Seltsames zu stehen, ein strahlend weißer Palast vielleicht oder eine galaktische Kommandozentrale, ein aus allen Zusammenhängen gerissener Bau, der aussieht, als hätte ihn eine verloren gegangene Zivilisation aus dem "Krieg der Sterne" hier zurückgelassen. So genau ist das auf zehn Kilometer Entfernung nicht zu erkennen. Es ist aber ein Tempel, dessen Kuppelhalle beinahe so groß und von ähnlicher Form ist wie das Pantheon in Rom, während die Vorhalle den Parthenon in Athen nachbildet. Aber es gibt hier weit und breit keine Großstadt, sondern nur ein Dorf namens Possagno, dessen Einwohner sich hauptsächlich mit der Herstellung von Prosecco beschäftigen. Eine Treppe führt in vielen Hundert Stufen von der Piazza zur Kirche hinauf.

Entworfen wurde der Tempel von Antonio Canova, einem der berühmtesten Bildhauer des Klassizismus. In Possagno wurde er im Jahr 1757 geboren, und hier wollte er nach seinem Tod 1822 begraben sein. Noch heute liegt sein Körper hier, nur sein Herz wird in der Kirche Santa Maria Gloriosa dei Frari in Venedig verwahrt, und seine rechte Hand befindet sich nicht weit davon in der Accademia, dem Museum für venezianische Kunst. Friedlich scheint diese letzte Landschaft vor dem Gebirge dennoch zu sein, reich und fruchtbar, einem großen Garten ähnlicher, als es die industrialisierte Landwirtschaft in der Ebene je sein könnte. Und wenn es in Possagno, vom Tempel sowie dem Geburtshaus Canovas mit dem dazugehörigen Museum abgesehen, auch wenig zu betrachten gibt, so liegen in der Umgebung doch viele alte und reizvolle Städte in kurzen Entfernungen voneinander. Und wenn den meisten von ihnen etwas versponnen Spektakuläres eigen zu sein scheint, so liegt das daran, dass sich dahinter jeweils eine ungewöhnliche historische Konstellation verbirgt - und wir heute oft nicht mehr den Zusammenhang verstehen, in dem das scheinbar Vermessene einmal stand.

Italien: SZ-Karte

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So ist es auch mit dem Tempel von Possagno. Denn Antonio Canova war nicht nur irgendein guter Bildhauer. Seinen Zeitgenossen erschien er als den griechischen Vorbildern ebenbürtig, er belieferte die europäischen Königshäuser mit klassizistischen Skulpturen, und vor allem verlieh er Napoleon und dessen Familie die angemessen antike Gestalt. Die Grabkirche, die heute vor den grünen Hängen der Dolomiten fast grotesk erscheint, war einmal der Ausdruck tatsächlicher Größe - so wie die kleine Stadt Asolo um das Jahr 1500 eine bedeutende europäische Residenz gewesen war, weil die Venezianer die Königin von Zypern dorthin verbannt hatten. Für reale Größe in einem ganz anderen Genre steht das monumentale Grabmal in Beton, das Carlo Scarpa, einer der bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts, in den Siebzigern ein wenig südlich von Asolo errichtete: Es ist dem Unternehmer Giuseppe Brion gewidmet, der in seinem kurzen Leben die italienische Unterhaltungselektronik von Grund auf verändert hatte.

In der Birreria Ottone darf der Gast nach dem Essen ungestört in den Nachmittag hinüberdösen

Wer diese Gegend auch nur halbwegs gründlich kennenlernen will, braucht mindestens eine Woche und richtet sich am besten in Bassano del Grappa ein, in einer jener vielen alten Städte der italienischen Provinz, in denen es zwar ein wenig Tourismus gibt, die davon aber so unberührt zu sein scheinen, als würden dessen unangenehme Effekte von einer Hornhaut abgehalten. In der Stadt, deren berühmtestes Bauwerk die gedeckte hölzerne Brücke über die Brenta ist, an deren Gestalt auch Andrea Palladio mitgewirkt haben soll, gibt es zwar auch darüber hinaus Sehenswürdigkeiten: zwei, drei im Kern gotische Kirchen, Palladios "Villa Angarano", vielleicht sogar die Trinkstube der Distilleria Nardini. Darüber hinaus aber ist Bassano ein handliches Gemeinwesen der ewigen Renaissance, mit Arkaden, langen Gassen und zwei Plätzen, die man mit Vorteil an einem Samstagmorgen, zur Zeit des Wochenmarkts besucht. Zum Mittagessen geht es dann in die Birreria Ottone, ein weitgehend erhaltenes Restaurant aus dem 19. Jahrhundert, und je weiter das Essen voranschreitet, desto tiefer versinkt der Nachmittag in einem warmen, wohligen Dusel, den niemand zu stören beabsichtigt, am allerwenigsten der Kellner in seiner langen Schürze.

In Breganze, ein paar Kilometer westlich von Bassano, stehen noch die Ruinen einer Fabrik namens Laverda, die vor dem Siegeszug der japanischen Konkurrenz einige der besten Motorräder der Welt herstellte (das Schönste von allen: die 750 GT aus den frühen Siebzigern). Statt dessen gibt es dort heute einen ungewöhnlichen, weil einem Bordeaux ähnelnden Rotwein (vor allem: den "Palazzotto" aus dem Hause Maculan). Die kleine Stadt Marostica nebenan besitzt eine zu groß geratene Piazza, auf der alle zwei Jahre ein Schachspiel mit lebendigen Figuren stattfindet, und eine riesenhafte Mauer, die nicht nur die Stadt, sondern auch den halben Berg dahinter umschließt. Die Frage, warum ausgerechnet Marostica in Gestalt des Geschäfts der Familie Gastaldello einen so außerordentlich guten Käseladen besitzt, ist damit indessen ebenso wenig geklärt wie das Rätsel, warum sich in einer Kleinstadt wie Conegliano ein Theater aus dem Jahr 1868 befinden kann, das sich in einem mittelalterlichen, sehr sehenswerten Zentrum erhebt, wiederum das alte Griechenland aufleben lässt - und offenbar regelmäßig bespielt wird.

Eine gute Karte vorausgesetzt (oder ein entsprechendes Navigationsgerät), ist es leicht, sich in dieser Gegend auch abseits der großen Straßen zurechtzufinden. Es lohnt sich, vor allem für Fußgänger und Radfahrer. Denn die hügelige Landschaft ist, vor allem des Weinbaus wegen, von zahllosen oft asphaltierten Wirtschaftswegen durchzogen.

Im Norden, die Berge hinauf, werden die Wege kaum weniger, aus einem fatalen Grund: Der Monte Grappa war im Ersten Weltkrieg die letzte Bastion der italienischen Armee gegen die herandrängenden Österreicher. Wäre er preisgegeben worden, wäre nicht nur das Veneto, sondern die ganze Ebene des Po offen gewesen. Viele der alten Militärstraßen sind noch heute befahrbar, vielleicht nicht mit dem Auto, aber doch, für den, der es mag, mit einem Mountainbike. Und davon abgesehen: Die für Italien geltende Regel, dass jeder idyllische Weg vor einem Maschendrahtzaun mit einem bellenden Hund dahinter endet, findet im Vorland der Dolomiten noch keine Anwendung.

Ein Nachmittag schließlich muss dem Caffè Centrale in Asolo gewidmet sein, auch dies ein historischer Ort. Dort sitzt man im Freien wie in einem Ausguck, während sich der gesamte Verkehr der Stadt (es sind hauptsächlich Fußgänger) um den Gast herumzuwinden hat. Einem eher albernen Einfall folgend, haben die Wirte als Sitzgelegenheiten Regiestühle aufgestellt. Sie tragen jeweils den Namen eines berühmten Besuchers auf dem Rücken: Ernest Hemingway, Henry James, Arnold Schönberg. Nach einer Weile fällt dem Besucher auf, dass die englischen und italienischen Namen bei weitem überwiegen, während, der geografischen Nähe zu Österreich zum Trotz, wenig deutsche Namen vorkommen. Und während etliche der berühmten Gäste zeitweilig in Asolo wohnten, die Schauspielerin Eleonora Duse zum Beispiel oder der viktorianische Dichter Robert Browning, scheint kein deutschsprachiger Prominenter diese Stadt zu seinem Ort gemacht zu haben. Ob da etwas nachzuholen bliebe? Schöner wäre es, man lernte etwas über die minderen Wunder der italienischen Provinz.

Informationen

Anreise: Von Deutschland mit dem Auto, dem Zug oder mit Air Dolomiti bis Venedig, www.airdolomiti.de/.

Unterkunft: Guter Startpunkt ist Bassano del Grappa, das Bonnoto Hotel Belvedere in der Viale delle Fosse ist zentral gelegen und hat Atmosphäre, www.bonotto.it/en/hotel-belvedere.

Sehenswert: Das Canova-Museum in Possagno, www.museocanova.it/. In der Distilleria Nardini in Brenta können Besucher Grappa und anderes Hochprozentiges verkosten. Im Grappa-Museum Poli Museo della Grappa lernt man die Historie und die Herstellung von Grappa kennen, www.poligrappa.it/. Caffè Centrale: Via Roma 72 in Asolo, www.caffecentrale.com.

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