Venedig:Verlieren, was man erhalten möchte

Sanierung in Schanden: Auf dem Markusplatz in Venedig hält die Großreklame Einzug. Doch das Geld für die Vermietung soll den alten Fassaden nützen.

Burkhard Müller

Auch im Zeitalter des gnadenlos herumtrampelnden Massentourismus hat sich Venedig immer noch einen ganz besonderen Charme bewahrt, den es mit keiner anderen Stadt teilen musste. Das beruhte auf zwei Dingen. Auf der Hand liegt das eine: Venedig ist die Stadt ohne Autos, in seiner Gänze und physisch-grundsätzlich, und nicht nur partiell und widerruflich wie andere Städte, die ihre Fußgängerzonen mit den Panzersperren der Geranienkübel aus Waschbeton gegen motorisierte Eindringlinge zu verteidigen haben.

Venedig: Man möchte es sich lieber nicht vorstellen: Der Markusplatz als Reklamefläche.

Man möchte es sich lieber nicht vorstellen: Der Markusplatz als Reklamefläche.

(Foto: Foto: pixelio)

Das andere bemerkt man nicht gleich, sondern erst, wenn es in Gefahr gerät: Es gab hier keine Werbung, wenigstens nicht in ihrer riesengroßen, aufdringlichen Gestalt.

So groß wie ein halbes Schwimmbecken

Das also ändert sich jetzt. Auf dem Markusplatz, gegenüber dem Dogenpalast, am Correr-Museum, ist eine Werbefläche von 240 Quadratmetern hochgegangen (die halbe Größe eines Schwimmbeckens von olympischem Format, wie die Presse-Agenturen zu erwähnen nicht vergaßen).

Es handelt sich um eine Reklame für die Uhrenmarke Swatch, die sich der Figur eines Schurken aus einem James-Bond-Film bedient. Ein weiteres Riesenplakat in der Nähe wirbt für Lancia, und auch die Seufzerbrücke ist kommerziell beflaggt worden.

Natürlich gab es sofort Streit. Und natürlich konnte man sich die Argumente, die beide Seiten vorbringen würden, denken, bevor die Debatte losging. Da steht auf der einen Seite die Kulturschande, auf der anderen das Geld, das sich mit ihr verdienen lässt.

Und zwar handelt es sich, was die Sache sofort vertrackt macht, um Geld, das dringend benötigt wird, um die verschandelten Strukturen zu retten: 50.000 Euro pro Monat bringt die Vermietung der Fläche, während des Karnevals 75.000. Das ist eine Menge Geld für die Erlaubnis, ein Plakat aufzuhängen, damit lässt sich schon was anfangen.

Eine kosmetische Schlamm-Maske

Solang die Baugerüste stehen, von welchen die Fassade ja ohnehin verunstaltet wird, darf auch die Reklame prangen. In gewissem Sinn wäre dieses Plakat also, obwohl es nicht danach aussieht, ein kosmetisches Hilfsmittel, wie eine hässliche Schlamm-Maske, die man auf ein runzliges Gesicht aufträgt, damit es unter ihr desto strahlender und faltenfrei wieder zum Vorschein käme.

Die entsprechenden staatlichen Mittel sollen nächstes Jahr um 25,8 Prozent gekürzt werden. Wo das Geld für die Bauaufgaben hernehmen? Und ist nicht letzthin schon eine Verzierung vom Dogenpalast abgebröckelt und auf die Straße gestürzt? Wenn so etwas einen Touristen trifft!

Der Schlamm hätte sogar noch hässlicher sein können: Es lag der Stadt ein Angebot vor, das ein gigantisches Bild der gesamten italienischen Fußball-Nationalmannschaft in Unterhosen gezeigt hätte. Schlimmer geht's immer. Das ist ein schwacher, möglicherweise sogar ein zynischer Trost.

Argwohn regt sich, dass diese so sinnfällige Koppelung von Baugerüst und Sponsor, von hohem Zweck und bedenklichem Mittel, nur einen besonders hinterlistigen Einstieg bedeuten könnte. Der Mietpreis der Fläche könnte, wie man hört, auf 158.000 Euro pro Monat steigen, wenn anstelle des Provisoriums ein digitaler Schirm gleicher Größe träte - und der bliebe dann wohl.

Die Reinheit der Kitschpostkarte

Außer denen, die mit diesem Arrangement Geld machen, dürfte niemand bei solchem Anblick ungetrübte Freude empfinden. Sollte man es beklagen? Dabei geriete man leicht in die verfängliche Position des Idealisten, der für die Reinheit der Kitschpostkarte kämpft; denn wer will bezweifeln, dass, wenn nicht Venedig, so doch das Bild von Venedig schon lang zu einer solchen heruntergekommen ist?

Besser, man argumentiert kühl dialektisch: Die exorbitanten Preise, die sich an diesem Ort fordern lassen, verdanken sich seiner Einzigartigkeit, die zentral in der Abwesenheit bestimmter Dinge wurzelt, welche uns überall sonst auf der Welt belästigen, und nur hier nicht da sind; dazu gehört jedenfalls die Omnipräsenz der Werbung.

Wer also hier, auch hier und gerade hier, das Werbebanner hisst, hebt das ihm so kostbare Alleinstellungsmerkmal auf; er zerstört letztlich den Gegenwert dessen, wofür er gezahlt hat.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: