Vandalismus an Sehenswürdigkeiten:"Ich war hier"

Eingeritzte Namen im Aufgang zum Turm der St.Paulskirche an der Münchner Theresienwiese

Die krakelige Schrift, die einfallslosen Botschaften: Solche Kritzeleien "zieren" nicht nur den Aufgang zum Turm der St. Paulskirche an der Münchner Theresienwiese, sondern Sehenswürdigkeiten auf der ganzen Welt.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

"J" und "N" hatten zwei Amerikanerinnen in eine Wand des Kolosseums geritzt - dann kam die Polizei. Warum verewigen sich Touristen auf Denkmälern? Und wieso schreiben sie nicht wenigstens schlaue Sachen?

Von Sarah K. Schmidt

Gerade hatten sie das "J" und das "N" fertig - etwa acht Zentimeter hoch, in den Stein eingekerbt - als die Carabinieri die beiden Kalifornierinnen festnahmen. Denn die 21 und 25 Jahre alten Frauen hatten ihre Initialen nicht irgendwo verewigt. Sie hatten sie mit Hilfe einer Münze in eine Mauer des Kolosseums geritzt. Leugnen war zwecklos: Kurz bevor die Polizei die Amerikanerinnen erwischte, hatten diese ihr Werk auf einem Selfie festgehalten, wie der Guardian berichtet.

Dass es nicht erlaubt ist, die Anfangsbuchstaben des eigenen Vornamens in ein knapp 2000 Jahre altes, weltberühmtes Bauwerk zu kratzen - darauf hätten die beiden Delinquentinnen vermutlich auch ohne die überall aufgestellten Verbotsschilder kommen können. Ihnen droht nun eine empfindliche Strafe. Vergangenen November wurde ein Russe, der ein großes "K" in dem alten Amphitheater hinterließ, zu einer Geldbuße von 20 000 Euro verurteilt.

Immer wieder erregen besonders spektakuläre Fehltritte von Touristen mediales Aufsehen. Vor anderthalb Jahren ging zum Beispiel die Nachricht von einem 14-jährigen Chinesen um die Welt, der in einem Tempel im ägyptischen Luxor "Ding Jinhao war hier" in die Hieroglyphen geritzt hatte. Doch jeder, der auf Aussichtsplattformen, in Höhlen, Ruinen oder sonstigen touristischen Anziehungsorten weilt, weiß: Dieser Vandalismus ist keine Ausnahme.

Souvenir mitnehmen, Kritzelei hinterlassen

Auf der einen Seite steht der Wunsch, ein Souvenir vom Urlaubsort mitzunehmen. Sicher, die ästhetische Qualität all der Mini-Eiffeltürme und "I love NY/Barcelona/Austria"-T-Shirts muss dringend hinterfragt werden. Grundlegend ist jedoch nichts dagegen einzuwenden, dass Menschen sich zu völlig überteuerten Preisen einen Gegenstand mit nach Hause nehmen. Dort sollen die Mitbringsel an die schöne Reise erinnern, wenn sich der Besitzer schon längst wieder urlaubsreif fühlt. Wirklich unvergesslich sind verbotene Souvenirs: Wer etwa aus der Türkei Steine von historischen Stätten einsammelt oder vom Straßenhändler kauft, landet statt am Zielflughafen im Gefängnis - wegen Schmuggels antiker Kunstschätze.

Das Verlangen, dem Urlaubsort selbst einen persönlichen, unauslöschlichen Stempel aufzudrücken, ist ebenfalls aus rechtlicher und moralischer Sicht problematisch: Sämtliche späteren Besucher müssen künftig Botschaften ertragen wie: "Alex + Jessy foreva ♥" und "Susi war hier 2008". Vielen Dank auch.

Zwei Fragen drängen sich da auf: Sind Alex und Jessy noch so verliebt wie während ihrer Griechenland-Reise? Und: Warum machen sie so etwas?

Ist doch sowieso kaputt

Eine interessante Erklärung hat ein Sprecher der Aufsichtsbehörde für das archäologische Erbe Roms nach dem Vorfall im Kolosseum. "Es gibt eine unterschiedliche Wahrnehmung", sagt dieser dem Guardian. "Museen werden wie Kirchen behandelt, heilige Plätze, an denen die Dinge besonders wertvoll sind. Das Kolosseum hingegen wird als Ruine betrachtet, die eh schon leergeräumt wurde."

Für flegelhafte Reisende mit Mitteilungsdrang gilt also offenbar: Was schon kaputt ist, dürfen wir ruhig besudeln. Sobald eine kritische Menge von, sagen wir, zwei bis drei Schmierereien vorhanden ist, brechen schließlich alle Dämme. Wo manche sich herausgenommen haben, ihren Namen über das Kulturerbe zu setzen, finden andere, es müsse gleiches Unrecht für alle gelten: "Dieter war aber auch hier"

Eine Botschaft an die Nachwelt

Vielleicht überkommt den Menschen angesichts eines Jahrtausende alten Bauwerks plötzlich ein kaum auszuhaltendes Gefühl der Vergänglichkeit - und damit der Wunsch, ebenfalls Spuren zu hinterlassen? Womöglich ist dieser plötzliche Impuls derart stark, dass wie in Trance zum nächsten Taschenmesser, Filzstift oder Schüsselbund gegriffen wird, um künftigen Generationen eine Botschaft mit auf den Weg zu geben, aus dann schon lange vergangenen Zeiten.

Werden dereinst Kunsthistoriker rätseln, welshalb "Matze stinkt"? Oder ob die Pimmelbildchen mit Ohren Aufrufe zu lautstarken Orgien waren? "Bitte stöhnen Sie hier."

Vielleicht kommen die Historiker aber darauf, dass die mindertalentierten Gelegenheitsvandalen doch nicht in den großen Dimensionen von Lebenssinn und Vergänglichkeit dachten. Vermutlich denken sie überhaupt nicht, sondern sind einfach nur albern, rücksichtslos und unreif - wie schon Vertreter aus allen Generationen der Menschheitsgeschichte vor ihnen.

"Paris hic fuit", schmierten schon die alten Römer auf Wände

Denn bei den Wandschmierereien handelt es sich keineswegs um ein neues Phänomen. Ritzzeichnungen primitiver Natur gehörten fest zum Straßenbild des antiken Roms. Selbst die Sprüche waren dieselben: "Paris hic fuit" ("Paris war hier") oder "Murtis, bene felas" ("Murtis, du bläst gut") sind Beispiele, die der Archäologe Martin Langner in seiner Dissertation über "Antike Graffitizeichnungen, ihre Motive, Gestaltung und Bedeutung" zusammengetragen hat.

Und nur weil der schleswig-holsteinische Ritter Dettlof Schinkel unbedingt seinen Namen, sein Wappen und das Datum an das koptische St.-Antonius-Kloster auf dem Galata-Plateau im heutigen Ägypten ritzen musste, wissen wir, dass dieser 1436 dort während seiner Pilgerreise verweilte. Ja, Dettlof war hier.

Als Rechtfertigung können diese historischen Bezüge aber natürlich nicht dienen. Und so möchte man Jenny und Nicole - oder wie auch immer die beiden Amerikanerinnen vom Kolosseum heißen - zurufen: "Zeigt euch als zivilisierte Menschen der Moderne und greift gefälligst zu euren Smartphones!" Wenn es sein muss auch mit Selfiestange.

Denn anders als Paris und Dettlof Schinkel können moderne Reisende einfach Sonnenbrille und Hintergrund zurechtrücken, ein schönes Selfie bei Facebook, Twitter oder Instagram hochladen und Freunden, Fremden und der ganzen Welt jetzt sofort und bis in alle digitale Ewigkeit mitteilen: "Ich war hier!"

Vielleicht gibt es dafür sogar ein "Gefällt mir".

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