Vancouver vor den Winterspielen:Traumstadt mit Macken

Vancouver gilt als Stadt mit hoher Lebensqualität und kämpft gleichzeitig mit Problemen wie Drogenhandel und Bandenkriminalität. Dazu sind nicht alle Einheimischen von den nahenden Winterspielen begeistert.

Vancouver ist die Großstadt mit der höchsten Lebensqualität weltweit. So sieht es das britische Wirtschaftsmagazin Economist, das Städte nach der Sicherheitslage, ihren Freizeit- und Kulturangeboten, der Leistungsfähigkeit der Kommunikationsnetze und der Verkehrssituation beurteilt hat.

Die kanadische Hafenstadt bekam dabei 98 von 100 Punkten. Doch was macht abseits solcher Zahlenspiele den Reiz Vancouvers aus? Und wie sehen das die Vancouverites selbst kurz vor Beginn der Olympischen Winterspiele im Februar 2010?

"Im Großraum Vancouver kann man morgens Skifahren und nachmittags Segeln gehen und ist rechtzeitig wieder zurück, um das Nachtleben in der Innenstadt zu genießen" - so zitiert der ausgewanderte Deutsche Manfred Scholermann einen häufig zu hörenden Spruch.

Der Satz stimmt auch dann, wenn Skifahren und Segeln ersetzt werden durch Golfen, Mountainbiking, Gleitschirmfliegen, Bergsteigen, Klettern, Rudern, Kajakfahren, Angeln oder Tauchen.

Keine Frage: Ihrer Lage zwischen den Coast Mountains, dem Frazer River und der Strait of Georgia, die Vancouver mit dem Pazifik verbindet, verdankt die Stadt ein Angebot an Frischluftaktivitäten, das weltweit nur schwer zu schlagen ist.

Manfred Scholermann, der in den 60er Jahren nach Kanada kam, ist heute Chef eines Unternehmens, das in und um Vancouver Tagestouren organisiert. Im Angebot sind Whale Watching, Wanderungen in den geschützten Resten des ursprünglichen Küstenregenwaldes und Rundgänge durch Chinatown.

Heute zieht es Scholermann in den Stanley Park. Auf einer Halbinsel zwischen English Bay und Burrard Inlet gelegen, ist er mit 400 Hektar einer der größten Stadtparks Nordamerikas.

Ein neun Kilometer langer Rundweg für Radfahrer, Skater und Fußgänger führt am Wasser um den Park herum - vorbei an Felsen und Stränden. Das warme Wetter hat noch einige Sonnenanbeter angelockt. Mit ihren dunklen Designerbrillen liegen sie im grauen Sand und schauen aufs Meer, angelehnt an angeschwemmte, vom Salzwasser gebleichte Baumstämme. Sie leuchten weiß in der Sonne und dienen als eine Art Strandkorbersatz.

Ins klare Wasser geht jedoch kaum einer - es ist das ganze Jahr hindurch für die meisten zu kalt.

"Entscheidend ist das Eishockey-Finale"

Der Wald des Parks lässt erahnen, was neben Gold und Pelzen vor rund 150 Jahren die ersten fremden Siedler in die Gegend lockte: riesenhafte Bäume, die wie hölzerne Mondraketen in den Himmel ragen. Da gibt es Sitka-Fichten, deren Stämme bei Wuchshöhen von 50 bis 70 Metern fünf Meter Durchmesser erreichen können, die Hemlocktannen, die ebenfalls 70 Meter schaffen können und Douglasien - die weltgrößte maß einst 133 Meter.

Sie alle sind nicht weniger beeindruckend als die grünblau schimmernden Glas-Stahl-Fassaden der Wolkenkratzerkette am Ufer von Coal Harbour und False Creek.

Ein Outdoor-Fan ist auch Thomas Haas. Der im Schwarzwald aufgewachsene 41-Jährige lebt seit 1995 in Vancouver und betreibt in einem Industriegebiet in North-Vancouver eine Patisserie. Schlank halte er sich mit Bergläufen, sagt er und holt eine Urkunde hervor: für das Siegerteam des jährlichen Bergrennens auf den 1221 Meter hohen Grouse Mountain. Den "Grouse Grind Trail" auf einen der drei Hausberge der Stadt - 853 Höhenmeter auf 2,9 Kilometern - schafften er und seine Mitarbeiter in knapp 35 Minuten. Untrainierte sollten bis zu zwei Stunden für den Bergpfad einkalkulieren. Die Terrasse der Seilbahnstation - für den Rückweg! - entschädigt an klaren Tagen mit dem besten Blick auf Vancouver für den schweißtreibenden Anstieg.

Unten, hinter den Hochhäusern, liegen die Sportarenen Vancouvers: das überdachte "BC Place Stadium" mit 60.000 Sitzplätzen sowie die Eishockeyhalle. Daniel ist auf dem Weg dorthin. Er trägt ein Trikot der Calgary Flames, die an diesem Tag gegen die Vancouver Canucks antreten - ein westkanadisches Lokalderby. "Das will keiner verlieren", sagt er - obwohl es nur ein Vorbereitungsspiel ist. Mit mehr als 18.000 Zuschauern ist die Halle fast ausverkauft.

Begeisterung hält sich bei vielen Einheimischen in Grenzen

Nach dem Spiel zieht es einige Fans noch in die Restaurants, Bars und Discos von Yaletown. Eine Insel glückseliger Sportfans ist Vancouver dennoch nicht. Die Begeisterung für die Winterspiele hält sich auch bei vielen Einheimischen in Grenzen: "Ich denke, dass die Spiele eine total hochgejubelte Veranstaltung sind", sagt etwa Daryl Zimmermann, der vor dem Eishockeyspiel die Fans mit seinem Saxofon unterhielt. Aber auch er ist sich sicher: "Die Mehrheit hier findet die Spiele gut, einfach weil sie Sport lieben und denken, das ist eine gute Gelegenheit, Vancouver der Welt zu präsentieren."

Probleme hat die Stadt genug. Obdachlose gehören dazu, außerdem gilt sie als Drogen-Umschlagplatz. Mit Waffengewalt stecken Banden regelmäßig ihre Claims ab. Ein Streitpunkt ist auch das Olympische Dorf - die Kosten für die Designerwohnungen ufern aus.

Der Erfolg Olympias hängt für viele Vancouverites aber weniger von solchen Dingen ab. Daniel bringt die Erwartungen auf den Punkt: "Entscheidend ist, dass wir das Eishockey-Finale gewinnen - gegen die USA."

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